1485
nicht darunter leidet. Dem Charalter einer Liebes-
pflicht entspricht es, daß das Almosen mit liebender
Fürsorge, dem Bedrängten wieder zu wirtschaft-
licher Selbständigkeit zu verhelfen, gegeben werde,
nicht aber der Absicht entspringe, durch eine hin-
geworfene Gabe sich des lästigen Bettlers so schnell
als möglich zu entledigen, was auf den Empfänger
nur abstoßend wirken kann und sein Bettlerdasein
zu einem dauernden Zustand macht.
Die auf dem Eigentum ruhenden sozialen Ver-
pflichtungen sind teils sittliche teils rechtliche. Bis
zu welchem Grad letzteres der Fall ist, hängt von
der jeweiligen Rechtsordnung ab. Die Rechts-
geschichte zeigt, daß im deutschen Recht weit
mehr sittliche Pflichten zu Rechtspflichten erstarkten
als im römischen Recht, welches die meisten sitt-
lichen Pflichten dem Privatgewissen überließ und
sich damit begnügte, nur wenigen sittlichen Pflich-
ten im Recht Nachdruck zu verleihen. Eben des-
wegen rühmt man am deutschen Recht seinen so-
zialen Charakter, während man dem römischen
nachsagt, es sei individualistisch. Es handelt sich
bei solcher Charakterisierung eben darum, ob die
sozialen Aufgaben des Eigentums in bedeuten-
dem Maß zum Ausdruck gelangen, oder ob sie,
neben das Recht des Eigentümers gehalten, fast
ganz zurücktreten. Es ist irrig, wenn Stamm-
ler in seiner scharfsinnigen Untersuchung über
„Eigentum und Besitz“ diesen Sachverhalt be-
streitet und es eine Übertreibung nennt, hier von
einem Gegensatz des individualrechtlichen und des
sog. sozialrechtlichen Eigentums zu sprechen. Dieses
sei überhaupt kein scharfer begrifflicher Gegensatz;
es gebe kein sicheres Merkmal, an dem man er-
kennen könnte, ob eine Rechtseinrichtung „sozial-
rechtlich“ sei, und es könne sich hier immer nur um
ein Mehr oder Weniger handeln, um eine ganz
verschwommene Grenze, eine durchaus fließende
Unterscheidung. Ohne gesetzliche Beschränkungen,
insbesondere des Nachbarrechts, aber auch des
öffentlichen Rechts, sei auch das römische Recht
nicht; nur habe es weniger Beschränkungen als
andere Rechte (Handwörterbuch der Staatswissen-
schaften III).
Die soziale Seite am Eigentum entspringt der
sozialen Anlage der Menschen selbst, ihrer gegen-
seitigen Bedingtheit und Hilfsbedürftigkeit, die
zum Teil mit der schon namhaft gemachten Un-
gleichheit zusammenhängt. Die Menschen sind
ihrer Natur nach zum sozialen Leben bestimmt,
mit ihrer Person sowohl als auch mit dem die
Persönlichkeit umgebenden Kreis von Sachgütern.
Trotzdem steht der gesellschaftliche Charakter des
Eigentums, wie die Menschen jetzt sind, erst in
zweiter Linie, und hier entfernt sich die christliche
von der das Gegenteil behauptenden sozialistischen
Eigentumsauffassung. Nach christlicher Auffassung
ist die Menschennatur so, wie sie sich tatsächlich
darstellt, geworden durch den Einfluß der Erb-
sünde. Wäre die Menschheit geblieben, wie sie
aus der Hand Gottes hervorgegangen ist, so wäre
Eigentum.
1486
Privatbesitz keine solche Notwendigkeit wie jetzt.
Aber Privateigentum wäre ebensowenig ganz aus-
geschlossen gewesen. Der einzelne hätte sich unbe-
denklich angeeignet, was durch Gebrauch und Ge-
wöhnung, durch den Wert der Erinnerung oder
als Produkt seines Schaffens in besonderem Maß
das Gepräge seiner Individualität angenommen
hätte oder zu seiner Persönlichkeit in engere Be-
ziehungen getreten wäre. Nur dort, wo in einem
engeren Kreis die Fehler der gesunkenen Natur
durch religiöse Ideale und sittliche Selbstsucht zu-
rückgedrängt werden, ist Gütergemeinschaft durch-
führbar. Solche Beispiele bieten die erste Christen-
gemeinde zu Jerusalem, in der alle „eines Herzens
und eines Sinns“ waren und freiwillig des Privat-
besitzes sich begaben, damit durch den Verkauf
der Güter den armen Gliedern der Gemeinde
der Unterhalt verschafft würde. Ein kollektivisti-
cher Kommunismus nach modernem Begriff war
auch dies nicht; denn es handelte sich nicht um eine
Wirtschaftsgenossenschaft, und zudem gab es da
keine rechtliche Aufhebung des Privateigentums,
sondern nur dessen vollfreie Hingabe (Pesch,
Die soziale Befähigung der kath. Kirche 401).
Auch der Kommunismus der Klöster beruht auf
vollster Freiheit und hat Autorität und Gehorsam
zur Voraussetzung.
8. Geschichtliche Entwicklung der
Eigentumsformen. So feststehend und ein-
fach der Grundgedanke des Eigentums ist, so
mannigfaltig sind räumlich und zeitlich die Eigen-
tumsformen. Es ist das Eigentumsrecht und die
jeweilige Eigentumsordnung für Erwerb und
Verteilung desselben auseinanderzuhalten. Ersteres
ist in der menschlichen Natur begründet, letztere
ist nach Ländern, Völkern, Kulturstufen verschieden
und wandelbar. In der Erforschung dieser Ent-
wicklungsreihen hat sich namentlich die historische
Richtung der modernen Nationalökonomie un-
zweifelhafte Verdienste erworben; nur verfällt sie
gern in den Fehler, die Eigentumsinstitu-
tion selber in den Fluß der Entwicklung zu
stellen und die allgemeine philosophische Begrün-
dung derselben abzulehnen. Wenn, argumentiert
man, die geschichtliche Forschung erweise, daß nicht
immer und überall die wirtschaftliche Gütererzeu-
gung auf Grund des Sondereigentums vor sich
ging, wie z. B. die bei den Südslawen und Indern
bestehenden Formen des Gesamteigentums, der ge-
meinsamen Bewirtschaftung und Nutzung zeigen,
so verbiete es sich, das Eigentum auf allgemein
und immer gültige Gründe, wie die Persönlichkeit,
die Arbeit, die zum Sondereigentum führen, zu
stützen. „Vielmehr kann die Herausbildung des
Sondereigentums, d. i. die Verfügung über Sach-
güter in der Art, daß ein einzelner sie so selb-
ständig ausübt, wie es die Rücksicht auf die gleiche
Befugnis Dritter und auf das Gemeinwohl ge-
stattet, nur aus den wirtschaftlichen Vorzügen die-
ser Form vor andern erklärt und zugleich gerecht-
fertigt werden. Soweit aber diese Vorzüge dem
—