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als in der römischen. Diese Rücksicht wirkte be-
schränkend auf die Befugnis des Eigentümers,
aber auch sozial ausgleichend auf die Gesamtheit.
Diese Beschränkungen des Besugnisrechts trafen
vor allem das Grundeigentum. Der Raubbau
war ausgeschlossen, nicht sowohl im privaten
Interesse des Eigentümers als vielmehr im öffent-
lichen Interesse. „Durch eine gesunde Wirtschaft,
unter der Kontrolle der Gemeinde sollte die Pro-
duktion ohne Ausnutzung des Bodens gesteigert,
hierdurch der Preissatz für des Lebens Notdurft
und Nahrung erniedrigt und der Arme, Unbe-
mittelte in seinen wichtigsten Interessen wirksam
geschützt werden. Es ist nicht nötig, hier auf alle
die Beschränkungen hinzuweisen, welche im Inter-
esse der Familie der Privatwillkür gesetzt wurden,
auf die einschneidenden Befugnisse, welche dem
„nächsten Erben“ am Erbgut schon bei Lebzeiten
des eventuellen Erblassers zustanden“ (Pesch, Die
soziale Befähigung der kathol. Kirche 411). Zu-
gunsten der Familie gab es Beschränkungen der
Veräußerungsbefugnisse und die Beispruchsrechte
des nächsten Erben; es bestand die Unterscheidung
von Erbgut und gewonnenem Gut, wonach der
einzelne mit dem, was er durch eigene Tätigkeit
gewonnen, freier zu schalten berechtigt war, als
mit dem, was als Eigentum der Familie betrachtet
wurde. Nur mit obrigkeitlicher Genehmigung
sollte Trennung oder Belastung bäuerlicher Güter
stattfinden, um die Leistungsfähigkeit des Hofs zu
erhalten und die Verarmung der Familie zu ver-
hüten. Der Sachsenspiegel und das ältere deutsche
Recht betrachteten überhaupt nicht den gegen-
wärtigen Inhaber des liegenden Eigens, sondern
die Familie als den wahren Eigentümer. Dem
ganz entsprechend trat auch — durch das Vor-
wiegen des Intestaterbrechts — die dem absoluten
Eigentum entsprechende Testierfreiheit sehr in den
Hintergrund.
Am stärksten trat dieser gesellschaftliche Cha-
rakter des deutschrechtlichen Eigentums am großen
Grundbesitz oder im Lehnswesen hervor. „Das
Feudalwesen im weitesten Sinn des Wortes ver-
folgte nach seiner vermögensrechtlichen Seite die
sehr wichtige Tendenz, möglichst vielen Individuen
in der gesellschaftlichen Ordnung persönlichen
dauernden Besitz zu gewähren, den Wohlstand zu
verallgemeinern, indem es zugleich die politisch-
konservative Bedeutung des Großgrundbesitzes un-
verletzt beließ. Das dem Lehnsverhältnis nach-
gebildete Kolonat (Bauernlehen) bewirkte in höchst
segensreicher Weise die auf erblichen Besitz be-
gründete Versorgung des gemeinen Mannes“
(Pesch a. a. O. 411).
Dem ganzen Geist des germanischen Rechts
entsprechend entwickelte sich auch neben dem sozial
aufgefaßten Privatbesitz ein großer Kreis von ge-
nossenschaftlichem Eigentum.
Einen wirksamen Riegel der egoistischen Aus-
nutzung des Privateigentums vorzuschieben, war
auch Ziel und Absicht des kirchlichen Zins-
Eigentum.
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verbots. Viel geschmäht und viel verkannt
stellte dasselbe doch den adäquaten Ausdruck für
den damaligen Stand des wirtschaftlichen Lebens
dar, was sogar der Sozialist Lassalle aner-
kannte (ugl. Funk, Zins u. Wucher. Eine moral-
theol. Abhandlung [18681 85).
10. Ein Wort bleibt noch zu sagen über das
Verhältnis der Staatsgewalt zum
Privateigentum der Untertanen. Vor
allem hat die Staatsgewalt das Eigentums-
recht der Untertanen zu achten und zu schützen
und sich jedes Eingriffs zu enthalten, der nicht
durch die öffentliche Wohlfahrt seine ausreichende
Rechtfertigung findet. Wie bereits oben gezeigt
wurde, verdankt das Eigentumsrecht nicht erst dem
Staatswillen seinen Ursprung; das Recht, von
den Gütern der Außenwelt sich das zum Leben
Nötige anzueignen, besteht schon vor dem Staat.
Er hat deswegen dieses Recht, das gleichsam in
die Menschennatur verankert ist, anzuerkennen und
zu beschützen. Es ist der Legaltheorie zu viel kon-
zediert, wenn gesagt wird, sie hebe das von den
andern Theorien unbeachtete Moment hervor,
„nämlich daß das Privateigentum als Recht
nicht ohne den Staat bestehen kann. So-
lange es nicht mit der Gewähr versehen ist,
die durch die Rechtsordnung und die hinter ihr
stehende Macht des Staats — oder wie nun die
Gesamtheit heißt — gegeben wird, ist das Eigen-
tum eben nur ein tatsächliches Innehaben.
In diesem Sinn schafft aber der Staat erst das
Privateigentum, wie überhaupt alle Rechtsver-
hältnisse“ (v. Scheel, Art. „Eigentum“ a. a. O. III
298 f). Und wenn dem entgegengehalten wird,
daß ja danach der Staat das Privateigentum
wieder abschaffen könne, so erklärt v. Scheel: „Daß
dem Staat diese Gewalt innewohnt, läßt sich doch
gar nicht leugnen.“ Ganz ähnliche Gedanken
hatte schon früher Lassalle in seinem „System
der erworbenen Rechte“ (1) entwickelt. Wenn
wir auch der Staatsgewalt derartige, zu weit-
gehende Befugnisse entschieden absprechen müssen,
soll doch dem Staat keineswegs die Nachtwächter-
rolle, wie Lassalle es spottend nannte, zugemutet
werden, bloß den vorhandenen Besitzstand anzu-
erkennen und zu schützen. Gewiß obliegt es der
Staatsgewalt, das Eigentum durch eine feste
Rechtsordnung zu sichern, also der sittlichen Seite
des Rechts auch mit der physischen Erzwingbarkeit
zu Hilfe zu kommen. Aber dabei hat es keines-
wegs sein Bewenden. Vielmehr fällt dem Staat
gerade auf dem Gebiet der Güterverteilung eine
hochwichtige Aufgabe zu. Daß das Privateigen-
tum wirklich die seine Existenz rechtfertigenden,
oben aufgeführten segensreichen Wirkungen in der
Gesellschaft entfalte, darauf hinzuarbeiten ist der
Staat an erster Stelle mit der nach innen wirken-
den Kirche berufen. Und hier ist wieder die Er-
haltung und Kräftigung des Mittelstands gegen
Ausbeutung und Aufsaugung ein vornehmstes
Ziel aller Sozialpolitik. Die heute dem Privat-