Full text: Staatslexikon. Erster Band: Abandon bis Elsaß-Lothringen. (1)

1491 
als in der römischen. Diese Rücksicht wirkte be- 
schränkend auf die Befugnis des Eigentümers, 
aber auch sozial ausgleichend auf die Gesamtheit. 
Diese Beschränkungen des Besugnisrechts trafen 
vor allem das Grundeigentum. Der Raubbau 
war ausgeschlossen, nicht sowohl im privaten 
Interesse des Eigentümers als vielmehr im öffent- 
lichen Interesse. „Durch eine gesunde Wirtschaft, 
unter der Kontrolle der Gemeinde sollte die Pro- 
duktion ohne Ausnutzung des Bodens gesteigert, 
hierdurch der Preissatz für des Lebens Notdurft 
und Nahrung erniedrigt und der Arme, Unbe- 
mittelte in seinen wichtigsten Interessen wirksam 
geschützt werden. Es ist nicht nötig, hier auf alle 
die Beschränkungen hinzuweisen, welche im Inter- 
esse der Familie der Privatwillkür gesetzt wurden, 
auf die einschneidenden Befugnisse, welche dem 
„nächsten Erben“ am Erbgut schon bei Lebzeiten 
des eventuellen Erblassers zustanden“ (Pesch, Die 
soziale Befähigung der kathol. Kirche 411). Zu- 
gunsten der Familie gab es Beschränkungen der 
Veräußerungsbefugnisse und die Beispruchsrechte 
des nächsten Erben; es bestand die Unterscheidung 
von Erbgut und gewonnenem Gut, wonach der 
einzelne mit dem, was er durch eigene Tätigkeit 
gewonnen, freier zu schalten berechtigt war, als 
mit dem, was als Eigentum der Familie betrachtet 
wurde. Nur mit obrigkeitlicher Genehmigung 
sollte Trennung oder Belastung bäuerlicher Güter 
stattfinden, um die Leistungsfähigkeit des Hofs zu 
erhalten und die Verarmung der Familie zu ver- 
hüten. Der Sachsenspiegel und das ältere deutsche 
Recht betrachteten überhaupt nicht den gegen- 
wärtigen Inhaber des liegenden Eigens, sondern 
die Familie als den wahren Eigentümer. Dem 
ganz entsprechend trat auch — durch das Vor- 
wiegen des Intestaterbrechts — die dem absoluten 
Eigentum entsprechende Testierfreiheit sehr in den 
Hintergrund. 
Am stärksten trat dieser gesellschaftliche Cha- 
rakter des deutschrechtlichen Eigentums am großen 
Grundbesitz oder im Lehnswesen hervor. „Das 
Feudalwesen im weitesten Sinn des Wortes ver- 
folgte nach seiner vermögensrechtlichen Seite die 
sehr wichtige Tendenz, möglichst vielen Individuen 
in der gesellschaftlichen Ordnung persönlichen 
dauernden Besitz zu gewähren, den Wohlstand zu 
verallgemeinern, indem es zugleich die politisch- 
konservative Bedeutung des Großgrundbesitzes un- 
verletzt beließ. Das dem Lehnsverhältnis nach- 
gebildete Kolonat (Bauernlehen) bewirkte in höchst 
segensreicher Weise die auf erblichen Besitz be- 
gründete Versorgung des gemeinen Mannes“ 
(Pesch a. a. O. 411). 
Dem ganzen Geist des germanischen Rechts 
entsprechend entwickelte sich auch neben dem sozial 
aufgefaßten Privatbesitz ein großer Kreis von ge- 
nossenschaftlichem Eigentum. 
Einen wirksamen Riegel der egoistischen Aus- 
nutzung des Privateigentums vorzuschieben, war 
auch Ziel und Absicht des kirchlichen Zins- 
  
Eigentum. 
  
1492 
verbots. Viel geschmäht und viel verkannt 
stellte dasselbe doch den adäquaten Ausdruck für 
den damaligen Stand des wirtschaftlichen Lebens 
dar, was sogar der Sozialist Lassalle aner- 
kannte (ugl. Funk, Zins u. Wucher. Eine moral- 
theol. Abhandlung [18681 85). 
10. Ein Wort bleibt noch zu sagen über das 
Verhältnis der Staatsgewalt zum 
Privateigentum der Untertanen. Vor 
allem hat die Staatsgewalt das Eigentums- 
recht der Untertanen zu achten und zu schützen 
und sich jedes Eingriffs zu enthalten, der nicht 
durch die öffentliche Wohlfahrt seine ausreichende 
Rechtfertigung findet. Wie bereits oben gezeigt 
wurde, verdankt das Eigentumsrecht nicht erst dem 
Staatswillen seinen Ursprung; das Recht, von 
den Gütern der Außenwelt sich das zum Leben 
Nötige anzueignen, besteht schon vor dem Staat. 
Er hat deswegen dieses Recht, das gleichsam in 
die Menschennatur verankert ist, anzuerkennen und 
zu beschützen. Es ist der Legaltheorie zu viel kon- 
zediert, wenn gesagt wird, sie hebe das von den 
andern Theorien unbeachtete Moment hervor, 
„nämlich daß das Privateigentum als Recht 
nicht ohne den Staat bestehen kann. So- 
lange es nicht mit der Gewähr versehen ist, 
die durch die Rechtsordnung und die hinter ihr 
stehende Macht des Staats — oder wie nun die 
Gesamtheit heißt — gegeben wird, ist das Eigen- 
tum eben nur ein tatsächliches Innehaben. 
In diesem Sinn schafft aber der Staat erst das 
Privateigentum, wie überhaupt alle Rechtsver- 
hältnisse“ (v. Scheel, Art. „Eigentum“ a. a. O. III 
298 f). Und wenn dem entgegengehalten wird, 
daß ja danach der Staat das Privateigentum 
wieder abschaffen könne, so erklärt v. Scheel: „Daß 
dem Staat diese Gewalt innewohnt, läßt sich doch 
gar nicht leugnen.“ Ganz ähnliche Gedanken 
hatte schon früher Lassalle in seinem „System 
der erworbenen Rechte“ (1) entwickelt. Wenn 
wir auch der Staatsgewalt derartige, zu weit- 
gehende Befugnisse entschieden absprechen müssen, 
soll doch dem Staat keineswegs die Nachtwächter- 
rolle, wie Lassalle es spottend nannte, zugemutet 
werden, bloß den vorhandenen Besitzstand anzu- 
erkennen und zu schützen. Gewiß obliegt es der 
Staatsgewalt, das Eigentum durch eine feste 
Rechtsordnung zu sichern, also der sittlichen Seite 
des Rechts auch mit der physischen Erzwingbarkeit 
zu Hilfe zu kommen. Aber dabei hat es keines- 
wegs sein Bewenden. Vielmehr fällt dem Staat 
gerade auf dem Gebiet der Güterverteilung eine 
hochwichtige Aufgabe zu. Daß das Privateigen- 
tum wirklich die seine Existenz rechtfertigenden, 
oben aufgeführten segensreichen Wirkungen in der 
Gesellschaft entfalte, darauf hinzuarbeiten ist der 
Staat an erster Stelle mit der nach innen wirken- 
den Kirche berufen. Und hier ist wieder die Er- 
haltung und Kräftigung des Mittelstands gegen 
Ausbeutung und Aufsaugung ein vornehmstes 
Ziel aller Sozialpolitik. Die heute dem Privat-
	        
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