1525
trieb bereits für eine Strecke (Wiesentalbahn) im
Staatsbudget vorgesehen. Auch in Preußen hat
schon einmal der Plan bestanden, den elektrischen
Fernbetrieb auf einer Vollbahn, nämlich der Eifel-
strecke Köln-Trier, einzurichten; die Ausführung
ist aber aus militärischen Rücksichten unterblieben.
In neuester Zeit hat man in Schweden die Elek-
trisierung sämtlicher Bahnstrecken nördlich von
Stockholm mit Ausnahme von drei Strecken ins
Auge gefaßt; das ausgedehnte Netz soll von fünf
Kraftstationen gespeist werden.
Man hat drei Wege vorgeschlagen, um die
Dampfkraft zur Bewegung von Zügen dur
elektrische Kraft zu ersetzen: 1) elektrische Loko-
motiven, die die Elektrizität zur Bewegung ihrer
Achsenmotoren selbst erzeugen; 2) Akkumulatoren-
wagen, die ihre Betriebskraft in Akkumulatoren
aufgespeichert mitführen; 3) Motorwagen, die den
Strom aus direkten Fahrleitungen (Oberleitungen
oder Niveauleitungen) entnehmen (häufigste Ver-
wendung). Der Betrieb mit elektrischen Lokomo=
tiven wird immer unter dem Mangel leiden, daß
diese Lokomotiven wesentliche Nachteile der Dampf-
lokomotive, vor allem die Notwendigkeit der Mit-
führung von Kohlen und Wasser, nicht vermeiden.
Im allgemeinen besteht der Nachteil des Dampf-
betriebs gegenüber dem elektrischen Betrieb darin,
daß 1) ein zu großes totes Gewicht der Dampf-
lokomotive vorhanden ist, das zu seiner Fortbewe-
gung Arbeit beansprucht; daß 2) an der Dampf-
lokomotive hin- und hergehende Teile vorhanden
sind, die einen ungleichmäßigen Gang der Ma-
schine verursachen und dadurch ihre Geschwindigkeit
verringern; daß 3) der Nutzeffekt beeinträchtigt
wird durch ungenügende Ausnutzung des Dampfes
bei den gebräuchlichsten Kulissensteuerungen; daß
4) durch Rauch und Ruß das reisende Publikum
und die durchfahrenen Gegenden und Ortschaften
belästigt werden und durch springende Funken die
Gefahr von Bränden nahegerückt wird; daß 5) die
Baukosten der Bahn dadurch erhöht werden, daß
der Oberbau nicht der Axenbelastung der Wagen,
sondern der der schweren, schlenkernden Lokomotive
angepaßt werden muß.
Dagegen weisen die elektrisch betriebenen Bah-
nen folgende wesentliche Vorteile auf: 1) die
ganze Last der Lokomotive wird zur Fortbewegung
durch die Motorachsen ausgenutzt; 2) es sind nur
rotierende Teile statt hin= und hergehender Massen
vorhanden, wodurch der Oberbau geschont und
gleichmäßige Geschwindigkeiterreicht wird; 3) hoher
Nutzeffekt in Energieerzeugung und Energiever=
brauch; 4) Gewichtsersparnis bei gleichem Ad-
häsionsdruck und voller Ausnutzung des Gewichts
zur Adhäsion; 5) dadurch veranlaßte Ersparnis
beim Bau; 6) Personalersparnis; 7) ruhiges,
schnelles Anfahren und kürzeres Bremsen auf der
Strecke; 8) dadurch erzielte Zeitersparnis.
C. Eisenbahnen und Kanäle. Als die
Eisenbahnen in England aufkamen, waren ihre
heftigsten Gegner die Kanalbesitzer. Zwischen den
Eisenbahnen.
1526
Eisenbahnen und Kanälen kam es alsbald zu einem
gewaltigen Wettkampf, aus dem die Eisenbahnen
auf der ganzen Linie als Sieger hervorgegangen
sind. Was ihnen zum Sieg verhalf, waren ihre
von der Wasserstraße nie zu erreichenden Vorzüge
der Schnelligkeit, Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit.
In neuerer Zeit hat man sich indessen davon über-
zeugt, daß es eine große Menge von Massengütern
gibt, bei denen die gepannten Vorzüge eine ge-
ringere Rolle spielen als der Vorzug der Billig-
keit des Transports. Da nun ein Transport auf
der Wasserstraße noch billiger zu bewerkstelligen
ch ist als auf Eisenbahnen, so wurde das Verlangen
nach Kanälen immer lauter. Dieselben sollen den
Eisenbahnen nicht als Konkurrenten entgegentreten,
sondern dieselben, indem sie sie von den Massen-
gütern entlasten, als Bundesgenossen unterstützen.
Man nimmtauch an, daß ein bei den Eisenbahnen
zunächst eintretender Ausfall an Reingewinn durch
die als Folge der Verkehrssteigerung zu erwarten-
den Mehreinnahmen bald ausgeglichen sein würde.
Besonders wertvoll ist den Eisenbahnen die Unter-
stützung durch Kanäle da, wo sie selbst am Ende
ihrer Leistungsfähigkeit angelangt sind.
Es ist auch in neuester Zeit eine Verbindung
von Eisenbahnen und Kanälen geplant worden:
die auf dem Kanal schwimmenden Fahrzeuge sollen
von einem elektrischen Motor fortbewegt werden,
der auf Schienen fährt, die neben dem Kanal auf
dem Leinpfad herlaufen. Ein solcher Betrieb ist
z. B. vorhanden an dem 1906 eröffneten Teltow-
kanal und wird geplant für den im Bau begriffenen
Kanal vom Rhein nach Hannover. Da die Rei-
bung zwischen Fahrzeug und Wasser annähernd
siebenmal geringer ist als zwischen Schienen und
Rädern, so leuchtet ein, daß eine siebenmal kleinere
Kraft zur Fortbewegung ausreicht. Zur Fortbewe-
gung eines Schiffs von 600 Tonnen würde, wie
Versuche gezeigt haben, ein von einem Mann be-
dienter Motor ausreichen. — Baut ein Staat, der
im Besitz der Eisenbahnen ist, Kanäle, so besteht für
ihn die Gefahr der Durchkreuzung seiner Eisen-
bahntarifpolitik durch die billigen Wasserfrachten.
Dieser Gefahr wird jedoch vorgebeugt, wenn er
sich, wie dies Preußen im Wasserstraßengesetz vom
1. April 1905 getan hat, auf den Kanälen ein
Schleppmonopol vorbehält. Dann ist er in der
Lage, seine Tarifpolitik auf die Wasserstraßen aus-
zudehnen. (Näheres über das staatliche Schlepp-
monopol enthält der Bericht der XX. Kommission
des preußischen Abgeordnetenhauses 1904/05
S. 158 ff und 236 ff.)
D. Eisenbahnen und Automobile.
Eine interessante Schilderung des — meist ver-
gessenen — schweren Kampfs, den die Eisenbahnen
in der Zeit ihrer Entstehung gegen die Automo-
bile zu bestehen hatten, gibt O. Dresemann in
seiner Studie: Das erste Eisenbahnsystem (Köln
bei J. P. Bachem, ohne Jahresangabe) 93 ff.
Die Parteinahme für die Automobile rührte na-
mentlich daher, daß man die Schwierigkeiten und