Full text: Staatslexikon. Erster Band: Abandon bis Elsaß-Lothringen. (1)

1557 
4. Tariffestsetzung. Die Bestimmungen 
der deutschen Reichsverfassung über das Tarif- 
wesen sind oben im Abschnitt II mitgeteilt. Für 
Preußen bestimmt 8 20 des Gesetzes vom 1. Juni 
1882, „daß Erhöhungen der für die ein- 
zelnen Klassen des Gütertarifschemas zur Zeit der 
Publikation dieses Gesetzes bestehenden Normal- 
(Maximal-) Transportgebühren, soweit sie nicht 
zum Zweck der Herstellung der Gleichmäßigkeit 
der Tarife oder infolge von Anderungen des 
Tarifschemas vorgenommen werden, nur durch 
Gesetz erfolgen können“. Aus dieser gesetzlichen 
Bestimmung wäre an sich per argumentum e 
contrario zu schließen, daß in allen übrigen 
Fällen — d. i. bei Licht besehen, wenn die Re- 
gierung will, in allen Fällen — die Festsetzung 
der Tarife dem pflichtgemäßen Ermessen der Re- 
gierung überlassen sein solle. Es bestehen aber 
theoretische aus der Verfassung entnommene 
Bedenken, ob dieser Schluß gezogen werden darf. 
Selbst Wagner, der konservative Freund des 
Staatsbahnwesens, hält dafür, daß „bei der ein- 
greifenden Bedeutung dieser Dinge die Kompetenz 
der gesetzgebenden Gewalt doch an sich zu ver- 
langen ist“. Betrachtet man aber die Sache ledig- 
lich vom praktischen Standpunkt, so ist es nicht zu 
bedauern, daß die oft heikle Festsetzung und Ab- 
änderung der Eisenbahntarise dem Streit der po- 
litischen Parteien entrückt ist. Dieselbe hat auch 
oft, um wirksam zu sein, so rasch zu erfolgen, daß 
eine Anrufung des Landtags wegen Mangels an 
Zeit nicht angängig wäre. Abgesehen davon, daß 
wir in Preußen nach den bisherigen Erfahrungen 
keine Veranlassung haben, an der Objektivität der 
Regierung bei Normierung der Eisenbahntarife 
zu zweifeln, würde aber auch eine ungerechte, par- 
teiische Handhabung des Tarifbestimmungsrechts, 
wenigstens auf die Dauer, bei der scharfen Kon- 
trolle, welche die Volksvertretung und die Presse 
über die diesbezüglichen Maßnahmen der Regie- 
rung ausüben, unmöglich sein. 
Auch in den übrigen deutschen Staaten ist das 
Tarifwesen der diskretionären Gewalt der Regie- 
rungen überlassen. Den Privatbahnen gegenüber 
werden die auf das Tarifwesen bezüglichen Rechte 
der Eisenbahngesellschaften und der Staatsregie- 
rung in den „Konzessionen“ festgesetzt. Ein ähn- 
licher Rechtszustand herrscht auch in den meisten 
fremden Ländern. In England, Nordamerika, 
Osterreich und in der Schweiz können die Eisen- 
bahngesellschaften innerhalb der in der Konzession 
festgesetzten Maximalsätze die Tarife selbständig 
regulieren, während in Frankreich und Belgien 
auch Tarifermäßigungen der Genehmigung der 
Regierung bedürfen. 
V. Technisches. Vom Technischen kann nur 
das Allernotwendigste mitgeteilt werden, das jeder, 
der sich mit Eisenbahnfragen beschäftigt, wissen 
mußj auf die vielfach äußerst interessanten Ein- 
zelheiten kann im Rahmen dieses Artikels nicht 
eingegangen werden. 
Eisenbahnen. 
  
1558 
1. Beim Eisenbahnbau wird unterschieden 
der Unterbau, der den Zweck hat, der Bahn einen 
festen Halt zu geben, namentlich Terrainsenkungen 
zu verhindern, und der Oberbau, der seinerseits 
aus dem 50—55 cmdicken, aus wasserdurchlässigen 
Gegenständen, wie Steinschlag, Kies und Hoch- 
ofenschlacke, hergestellten Deckungsmaterial (wovon 
35 cm unter den Schwellen) sowie den Schwellen, 
den Schienen und den Weichen besteht. Zu beiden 
Seiten befinden sich Bankette und Wasserabfluß- 
rinnen. — Die ältesten Schwellen waren Lang- 
schwellen, d. h. sielagen in der Richtung der Schienen, 
heutzutage sind dagegen fast ausschließlich Quer- 
schwellen in Anwendung. Die Schwellen werden 
aus Holz oder Eisen hergestellt. Die hölzernen 
Schwellen verdienen den Vorzug, weil auf ihnen 
die Schienen elastischer ruhen als auf den eisernen. 
Anerkannt bestes Schwellenmaterial ist Eichenholz. 
Buchenholz läßt sich zur Herstellung von Schwellen 
nur verwenden, wenn es zum Schutz gegen Fäul- 
nis nach Entfernung seines natürlichen Saftes mit 
Kreosot oder einer 2 /-igen Kupfersulfatlösung 
getränkt oder kyanisiert worden ist. Der größere 
Teil der Schwellen geht im Betrieb nicht so sehr 
durch Fäulnis als durch die mechanischen Kräfte- 
wirkungen zugrunde. — Die aus Eisen oder Stahl 
hergestellten Schienen sind auf den Schwellen 
mit Hakennägeln oder Schrauben befestigt oder 
ruhen auf ihnen in sog. Stühlen (Stuhlschienen). 
Untereinander sind sie gewöhnlich durch Laschen 
verbunden; es ist aber auch eine metallische Ver- 
bindung der Schienenenden durch Schweißen oder 
durch Umgießen von Fuß und Steg mit Gußeisen 
in Gebrauch. Die Schienen müssen so stark sein, 
daß sie einen Raddruck von 7,5 t aushalten. — 
Die Weichen haben den Zweck, den Ubergang des 
Zugs von einem Gleis auf ein anderes zu ermög- 
lichen. Man unterscheidet einfache, Rechts= oder 
Linksweichen und Doppelweichen. Eine besondere 
Art sind die Kreuzweichen, die ihrerseits wieder 
einfache oder Doppelweichen sein können. Die 
Weichen werden aus demselben Material wie die 
Schienen hergestellt. — Die Stärke und Güte des 
Oberbaues ist eine wesentliche Voraussetzung für 
einen schnellen, sichern und ruhigen Betrieb, wes- 
halb fortwährend an seiner Verbesserung gear- 
beitet wird. Zur Veranschaulichung der Kosten 
eines Gleisumbaues seien folgende Zahlen mit- 
geteilt. In Preußen sollen im Jahr 1908 rund 
2725 km Gleise erneuert werden; von dieser 
Gesamtlänge sollen 1425 km mit hölzernen 
und 1150 km mit eisernen Ouerschwellen 
hergestellt werden. Die Kosten betragen 1) für 
die Schienen (auf den wichtigeren Strecken 
solche von 41—45 kg für 1 m) 29 Mil- 
lionen M; 2) für das Kleineisenzeug 20 Mill. 
M; 3) für die Weichen 10 Mill. M und 
4) für die Schwellen 34 Mill. M, zusammen 
93 Mill. M, d. i. für 1 km rund 36 000 M. 
In demselben Jahr sind in Preußen 95 Mill. M 
für Anlage und Fertigstellung des Baues von
	        
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