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4. Tariffestsetzung. Die Bestimmungen
der deutschen Reichsverfassung über das Tarif-
wesen sind oben im Abschnitt II mitgeteilt. Für
Preußen bestimmt 8 20 des Gesetzes vom 1. Juni
1882, „daß Erhöhungen der für die ein-
zelnen Klassen des Gütertarifschemas zur Zeit der
Publikation dieses Gesetzes bestehenden Normal-
(Maximal-) Transportgebühren, soweit sie nicht
zum Zweck der Herstellung der Gleichmäßigkeit
der Tarife oder infolge von Anderungen des
Tarifschemas vorgenommen werden, nur durch
Gesetz erfolgen können“. Aus dieser gesetzlichen
Bestimmung wäre an sich per argumentum e
contrario zu schließen, daß in allen übrigen
Fällen — d. i. bei Licht besehen, wenn die Re-
gierung will, in allen Fällen — die Festsetzung
der Tarife dem pflichtgemäßen Ermessen der Re-
gierung überlassen sein solle. Es bestehen aber
theoretische aus der Verfassung entnommene
Bedenken, ob dieser Schluß gezogen werden darf.
Selbst Wagner, der konservative Freund des
Staatsbahnwesens, hält dafür, daß „bei der ein-
greifenden Bedeutung dieser Dinge die Kompetenz
der gesetzgebenden Gewalt doch an sich zu ver-
langen ist“. Betrachtet man aber die Sache ledig-
lich vom praktischen Standpunkt, so ist es nicht zu
bedauern, daß die oft heikle Festsetzung und Ab-
änderung der Eisenbahntarise dem Streit der po-
litischen Parteien entrückt ist. Dieselbe hat auch
oft, um wirksam zu sein, so rasch zu erfolgen, daß
eine Anrufung des Landtags wegen Mangels an
Zeit nicht angängig wäre. Abgesehen davon, daß
wir in Preußen nach den bisherigen Erfahrungen
keine Veranlassung haben, an der Objektivität der
Regierung bei Normierung der Eisenbahntarife
zu zweifeln, würde aber auch eine ungerechte, par-
teiische Handhabung des Tarifbestimmungsrechts,
wenigstens auf die Dauer, bei der scharfen Kon-
trolle, welche die Volksvertretung und die Presse
über die diesbezüglichen Maßnahmen der Regie-
rung ausüben, unmöglich sein.
Auch in den übrigen deutschen Staaten ist das
Tarifwesen der diskretionären Gewalt der Regie-
rungen überlassen. Den Privatbahnen gegenüber
werden die auf das Tarifwesen bezüglichen Rechte
der Eisenbahngesellschaften und der Staatsregie-
rung in den „Konzessionen“ festgesetzt. Ein ähn-
licher Rechtszustand herrscht auch in den meisten
fremden Ländern. In England, Nordamerika,
Osterreich und in der Schweiz können die Eisen-
bahngesellschaften innerhalb der in der Konzession
festgesetzten Maximalsätze die Tarife selbständig
regulieren, während in Frankreich und Belgien
auch Tarifermäßigungen der Genehmigung der
Regierung bedürfen.
V. Technisches. Vom Technischen kann nur
das Allernotwendigste mitgeteilt werden, das jeder,
der sich mit Eisenbahnfragen beschäftigt, wissen
mußj auf die vielfach äußerst interessanten Ein-
zelheiten kann im Rahmen dieses Artikels nicht
eingegangen werden.
Eisenbahnen.
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1. Beim Eisenbahnbau wird unterschieden
der Unterbau, der den Zweck hat, der Bahn einen
festen Halt zu geben, namentlich Terrainsenkungen
zu verhindern, und der Oberbau, der seinerseits
aus dem 50—55 cmdicken, aus wasserdurchlässigen
Gegenständen, wie Steinschlag, Kies und Hoch-
ofenschlacke, hergestellten Deckungsmaterial (wovon
35 cm unter den Schwellen) sowie den Schwellen,
den Schienen und den Weichen besteht. Zu beiden
Seiten befinden sich Bankette und Wasserabfluß-
rinnen. — Die ältesten Schwellen waren Lang-
schwellen, d. h. sielagen in der Richtung der Schienen,
heutzutage sind dagegen fast ausschließlich Quer-
schwellen in Anwendung. Die Schwellen werden
aus Holz oder Eisen hergestellt. Die hölzernen
Schwellen verdienen den Vorzug, weil auf ihnen
die Schienen elastischer ruhen als auf den eisernen.
Anerkannt bestes Schwellenmaterial ist Eichenholz.
Buchenholz läßt sich zur Herstellung von Schwellen
nur verwenden, wenn es zum Schutz gegen Fäul-
nis nach Entfernung seines natürlichen Saftes mit
Kreosot oder einer 2 /-igen Kupfersulfatlösung
getränkt oder kyanisiert worden ist. Der größere
Teil der Schwellen geht im Betrieb nicht so sehr
durch Fäulnis als durch die mechanischen Kräfte-
wirkungen zugrunde. — Die aus Eisen oder Stahl
hergestellten Schienen sind auf den Schwellen
mit Hakennägeln oder Schrauben befestigt oder
ruhen auf ihnen in sog. Stühlen (Stuhlschienen).
Untereinander sind sie gewöhnlich durch Laschen
verbunden; es ist aber auch eine metallische Ver-
bindung der Schienenenden durch Schweißen oder
durch Umgießen von Fuß und Steg mit Gußeisen
in Gebrauch. Die Schienen müssen so stark sein,
daß sie einen Raddruck von 7,5 t aushalten. —
Die Weichen haben den Zweck, den Ubergang des
Zugs von einem Gleis auf ein anderes zu ermög-
lichen. Man unterscheidet einfache, Rechts= oder
Linksweichen und Doppelweichen. Eine besondere
Art sind die Kreuzweichen, die ihrerseits wieder
einfache oder Doppelweichen sein können. Die
Weichen werden aus demselben Material wie die
Schienen hergestellt. — Die Stärke und Güte des
Oberbaues ist eine wesentliche Voraussetzung für
einen schnellen, sichern und ruhigen Betrieb, wes-
halb fortwährend an seiner Verbesserung gear-
beitet wird. Zur Veranschaulichung der Kosten
eines Gleisumbaues seien folgende Zahlen mit-
geteilt. In Preußen sollen im Jahr 1908 rund
2725 km Gleise erneuert werden; von dieser
Gesamtlänge sollen 1425 km mit hölzernen
und 1150 km mit eisernen Ouerschwellen
hergestellt werden. Die Kosten betragen 1) für
die Schienen (auf den wichtigeren Strecken
solche von 41—45 kg für 1 m) 29 Mil-
lionen M; 2) für das Kleineisenzeug 20 Mill.
M; 3) für die Weichen 10 Mill. M und
4) für die Schwellen 34 Mill. M, zusammen
93 Mill. M, d. i. für 1 km rund 36 000 M.
In demselben Jahr sind in Preußen 95 Mill. M
für Anlage und Fertigstellung des Baues von