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wird immer in einem gewissen Umfang stattfinden,
wo es den kleineren Besitzern wirtschaftlich schlecht
geht und wo die großen Besitzer ihre Kapitalkraft
weniger dem Ertraͤgnis von Landwirtschaftsbetrieb
verdanken als andern Erwerbsquellen. Ein solcher
Aufsaugungsprozeß bäuerlicher Betriebe durch das
industrielle Kapital macht sich in neuerer Zeit be-
sonders im deutschen Westen bemerkbar. Während
früher in der gebundenen Zeit, namentlich wieder-
um in Preußen, das „Bauernlegen“" verboten war,
ist diese Schranke seit Beginn der Agrarreformen
am Anfang des 19. Jahrh. fortgefallen. Das
wirksamste Mittel, die Aufsaugung des bäuerlichen
Besitzes zu hindern, liegt darin, daß derselbe sich
wirtschaftlich wohlbefindet. Der Bauer geht nicht
gern von seinem Besitz, namentlich nicht vom er-
erbten; aber die Not und günstige Verkaufsgelegen-
heit treffen dann wohl zusammen, um den Besitz
aufzugeben. Hier tritt uns als Aufgabe der Agrar-
politik entgegen, die als Voraussetzung gedachte
und nötige Tätigkeit und Tüchtigkeit des Land-
wirts auch lohnend zu gestalten. Die energischste
Selbsthilfe einschließlich des genossenschaftlichen
Zusammenschlusses muß immer als die unbedingt
erforderliche Grundlage für jedes Eingreifen des
Staats festgehalten werden. Den strebsamen Land-
wirt unterstützt der Staat oder andere Korporatio-
nen durch Einrichtung und Unterhaltung land-
wirtschaftlicher Unterrichtsanstalten für die verschie-
denen Klassen des Grundbesitzes. Die Förderung
des landwirtschaftlichen Vereinswesens, wobeie
allerdings der Selbsttätigkeit der Beteiligten der
weit überwiegende Teil der Aufgabe zufällt, alle
Maßregeln zur Förderung der Viehzucht, die Ver-
breitung der zur tüchtigen Betriebsführung nötigen
Kenntnisse liegen auf diesem Gebiet der Für-
sorge und werden wohl in allen Kulturstaaten mit
Vorliebe gepflegt. Das Veterinärwesen bemüht
sich, den Schäden der Viehkrankheiten vorzubeugen.
Gegenüber der Gefahr der Einschleppung von
Seuchen bei der Einfuhr ausländischen Viehs sind
von allen Kulturstaaten einschneidende Kontroll-
bestimmungen getroffen worden, die von ärztlicher
Untersuchung an der Grenze bis zu Verboten
der Einfuhr sowohl von Vieh wie Fleisch gehen.
Mit allen den hier angedeuteten Fragen kommt der
Landwirt, man könnte sagen, tagtäglich in Be-
rührung, die Mithilfe des Staats tritt aber gegen
seine eigene Tätigkeit an Bedeutung zurück. Mit-
hin ist das Eingreifen der Gesetzgebung und Ver-
waltung auf andern Gebieten nötig. Die gesamte
wirtschaftlich gesundeäußere Gestaltungdes Grund-
besitzes, die dem einzelnen Besitzer es ermöglichen,
seine Tüchtigkeit zu entfalten, ohne mit der Wirt-
schaft des Nachbars verflochten zu sein, ist das Er-
gebnis der unter verschiedenartigen Namen: Arron-
dierung, Zusammenlegung, Separation erfolgten
zweckmäßigen Neueinteilung des Grundbesitzes in
eine Feldmark, wobei zugleich die Wasser= und
Wegeverhältnisse verbessert (geregelt) werden kön-
nen. Es bedarf besonderer gesetzgeberischer Maß-
Agrargesetzgebung, Agrarpolitik.
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nahmen, um die Eingriffe in den strengen Begriff
des Eigentums, welche hierbei vorkommen, ge-
setzlich zu machen. Ein weiteres großes Gebiet
ferner, auf welchem staatliche Fürsorge und Selbst-
hilfe zusammenwirken müssen, ist das Versiche-
rungswesen. Das Zusammentreten vieler, von
denen jeder den mit Schaden drohenden Ereignissen,
Feuer, Wasser, Hagel, ausgesetzt ist, von denen
indessen erfahrungsgemäß nur ein kleiner Teil wirk-
lich davon betroffen wird, ermöglicht es, durch die
aus verhältnismäßig kleinen Beiträgen gesammelte
Fonds da, wo der Schaden eintrifft, Ersatz zu ge-
währen. Inwieweit der Staat unmittelbar als Ver-
sicherungsanstalt eintreten soll, iststrittig, wohl aber
wird er durchweg durch eine sachgemäße Aussicht
Ausbeutungen durch Versicherungsgesellschaften zu
verhüten haben. Besonders schwierig liegen die
Verhältnisse bei der Viehversicherung, weil die
Mitschuld des Besitzers erkrankter oder eingehender
Tiere betreffs der Pflege sehr schwer festzustellen ist.
Es ist oben darauf hingewiesen, wie bedeutsam die
Erhaltung des Grundbesitzes in wirtschaftlich und
gesellschaftlich angemessenen Größenverhältnissen
sei, auch auf die Maßregeln aufmerksam gemacht,
welche der Zerstücklung des Grundbesitzes bei der
Vererbung vorbeugen sollen. Das formelle Besitz-
recht allein genügt indessen nicht, um gesunde Zu-
stände zu sichern, es muß auch dazu beim Grund-
besitz ein wirkliches Vermögen vorhanden sein,
welches von Schulden nur so weit höchstens in An-
spruch genommen wird, daß die wirtschaftliche und
persönliche Bewegungsfreiheit des Grundbesitzers
nicht in Frage gestellt wird. Die Entstehung der
Verschuldung ist zurückzuführen in erster Linie auf
die Erbauseinandersetzungen, sodann auf Kauf
mit zu geringem Kapital, auf wirtschaftliche Miß-
erfolge verschiedenster Art, welche natürlich um so
schwerer drücken und schließlich vernichtend wirken,
je mehr die wirtschaftliche Widerstandskraft schon
vorher geschwächt ist, was infolge der vorher vor-
handenen Verschuldung sich zeigt. Die staatlichen
Bestrebungen auf Reglung des Erbrechts fassen
namentlich auch die Verminderung der zu hohen
Abfindungen für die Miterben ins Auge, so durch
das Anerbenrecht. Wer indessen leichtsinnig kauft,
dem ist schwer zu helfen. Soll er aber die
Möglichkeit haben, durch Fleiß und Tüchtigkeit
sich doch vorwärts zu bringen, soll verhütet
werden, daß nicht auch sonst wohlgestellte Besitzer
durch unvorhergesehene Schulden unheilbar wirt-
schaftlich krank werden, so muß einerseits durch
das Versicherungswesen, wieschon erwähnt ist, Vor-
sorge getroffen werden, anderseits aber vor allem
durch die Reglung des Kredits. Bei jeder Erbes-
regulierung, bei welcher nicht hinreichend Ver-
mögen vorhanden ist, um den einen Teil der Erben
mit Grundbesitz, den andern mit sonstigen Ver-
mögensobjekten, namentlich auch durchdie für diesen
Fall so überaus wichtigen Lebensversicherungen,
abzufinden, sondern wo der Grundbesitz den Haupt-
stamm des Vermögens bildet und behufs Abfin-