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Aufnahme von Anleihen im Ausland bezogen.
Die durch Ismail Paschas Unternehmungslust
und namentlich bei Eröffnung des Sueskanals
1869 bekundete Verschwendungssucht notwendig
gewordenen, durch das Entgegenkommen der Pa-
riser und Londoner Börse bis 1873 sehr erleich-
terten Anleihen summierten sich schließlich auf
100 Millionen ägyptische Pfund. Bereits 1871
war der Staatsbankrott vor der Tür; ihm suchte
Jsmail auszuweichen durch Anziehung der Steuer-
schraube und namentlich durch die sog. Mouka-
bala, das Gesetz vom 30. Aug. 1871, welches
allen Grundbesitzern, die sofort für die nächsten
sechs Jahre die Grundsteuer zahlten, unbedingtes
Eigentumsrecht an ihrem Grund und Boden zu-
sicherte. (Das Gesetz hatte anfangs nur einen Teil-
erfolg, wurde am 7. Mai 1876 aufgehoben,
aber am 18. Nov. 1876 wieder obligatorisch ein-
geführt und am 6. Jan. 1880, nachdem bei weitem
die meisten Grundbesitzer das volle Eigentumsrecht
erworben hatten, endgültig aufgehoben.) Weiter
verkaufte Ismail Pascha 1875 (das kurzsichtige
Frankreich ließ dies ruhig geschehen) seine 176602
Sueskanalaktien an England — ein Tropfen auf
einen heißen Stein: im April 1876 mußte ein
vierteljähriges Moratorium für die Staatsschuld
und Ismails Privatschuld bekannt gemacht werden.
Inzwischen hatten am 1. Febr. 1876 die aus
Mohammedanern und Europäern zusammengesetz-
ten, an die Stelle der Konsulargerichtsbarkeit ge-
tretenen Tribunaux mixtes mit dem Obergericht
in Alexandrien ihre Tätigkeit begonnen; letzteres
verurteilte den Khedive zur Zahlung seiner Schul-
den und pfändete seinen Palast in Ramle; Eng-
land, Frankreich, Italien und Osterreich erzwangen
die Errichtung der Kasse zur Tilgung der Staats-
schulden (Caisse de la dette publique), zur Be-
aussichtigung des ganzen Staatsschuldenwesens,
der Erhebung und Verwendung der Staatsein-
künfte zur Befriedigung der ausländischen Gläu-
biger mit Klagerecht vor den Tribunaux mixtes.
Im Nov. 1876 wurden die ägyptischen Schulden
klassifiziert in eine konsolidierte, privilegierte
fünfprozentige Schuld von 17000 000 Pfund
Sterling, ferner eine unifizierte Schuld von
59000 000 Pfund Sterling, beide tilgbar in 65
Jahren, letztere durch Rückkauf unter 75% even-
tuell durch Auslosung zu 75% des Nominalwerts,
und drittens eine Dairaschuld (Güterverwaltung
des Khedive) in Gestalt einer fünfprozentigen kon-
solidierten Schuld von 8 815 430 Pfund Sterling
mit Tilgung durch Rückkauf oder Auslosung zu
75% . Die Verwaltung dieser Schulden wurde
paralysiert durch eigenmächtige Verfügung des
Khedive über die Staatseinnahmen; die Proteste
der Schuldenkasse halfen nichts, die Urteile der ge-
mischten Gerichte erkannte die Regierung nicht an.
Endlich zwangen die Mächte den Khedive zur Ein-
setzung einer Untersuchungskommission. Deren
Tätigkeit hatte zur Folge, daß Ismail die meisten
Dairagüter abtrat (22. Mai 1878) und sich
Agypten.
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(28. Aug. 1878) verpflichtete, ein Kabinett mit
zwei ausländischen Mitgliedern zu bilden. Tat-
sächlich erhielt in dem neuen Kabinett Nubar Pascha
der Engländer Wilson die Finanzen und der Fran-
zose Blignières die öffentlichen Arbeiten; die seit
dem 18. Nov. 1876 bestehenden Posten eines eng-
lischen und eines französischen Generalkontrolleurs
wurden vorläufig aufgehoben. Ein internationaler
Ausschuß verwaltete die für eine neue Anleihe ver-
pfändeten Dairagüter. Nur mit größtem Wider-
willen hatte sich Ismail zu den ihm abgezwungenen
Zugeständnissen bequemt und suchte die Last auf
jede Weise wieder abzuschütteln. Die Nation sollte
gegen die Europäer und ihre Ansprüche ausgespielt
werden. Zu diesem Zweck benutzte der Khedive
das von ihm im Jahr 1866 ins Leben gerufene
Scheinparlament, welches nunmehr die Finanzlage
beraten sollte. Die Bevölkerung und das Militär
wurden gegen die Ausländer aufgehetzt; nach
einem künstlich geschürten Militäraufstand vom
18. Febr. 1879 gegen den englandfreundlichen
Nubar Pascha und Wilson entließ Ismail ersteren
und ernannte seinen Sohn Tewfik an dessen Stelle;
die beiden Ausländer wurden ihrer Portefeuilles
beraubt, als am 7. April Ismail ein nur aus
Eingebornen bestehendes Kabinett ernannte. In-
zwischen hatte das Scheinparlament ein neues
Finanzgesetz angenommen, welches die Rechte der
Staatsgläubiger noch mehr verkürzte. Deutsch-
land veranlaßte hierauf einen Einspruch der Groß-
mächte, England und Frankreich verlangten die
Absetzung des Khedive, und Abdu 'l-Hamid kam
diesem Verlangen durch Jrade vom 16. Juni 1879
nach. Ismail wurde verbannt und ging zunächst
nach Italien, dann nach Konstantinopel. Hier
starb er am 2. März 1895.
Tewfik Pascha (Juni 1879 bis Jan. 1892)
führte durch Einsetzung einer internationalen Li-
quidationskommission eine Neureglung der Fi-
nanzen, abgesehen von der Dairaschuld, herbei,
unter gleichzeitiger Vergewaltigung der Gläubiger
einer inländischen Zwangsanleihe. Die Pforte
suchte das Verhältnis der Unterordnung Agyptens
wieder schärfer auszuprägen und Tewfik die 1873
dem Khedive verliehenen Rechte zu nehmen, doch
erhoben England und Frankreich aus Gründen,
die in den beiderseitigen politischen Zukunftsplänen
lagen, Einspruch; es wurde nur zugestanden, daß
der Khedive ohne Zustimmung der Pforte und
seiner Gläubiger keine neue Anleihe mehr auf-
nehmen und im Frieden nur 18000 Mann
Truppen halten dürfe. Im Februar und Sep-
tember 1881 führte der Oberst Achmed Arabi
Militäraufstände herbei, unterstützt von der Na-
tionalpartei und zum Zweck der Beseitigung des
Einflusses der Europäer. Durch eine regelrechte
Belagerung im Abdinpalast erzwang Arabi ein
neues Ministerium; im Februar 1882 wurde
dieses gestürzt und Arabi zum Kriegsminister er-
nannt. Frankreich und England, auch jetzt noch
gemeinsam operierend, sandten Beobachtungs-