Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

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25. Dez. 1840) nieder. Inzwischen brach auch 
in der Erzdiözese Posen-Gnesen der Konflikt 
wegen der gemischten Ehen aus. Erzbischof 
Martin v. Dunin verbot allen Geistlichen bei 
Strafe der Suspension gemischte Ehen anders 
als unter den kirchlichen Bedingungen einzu- 
segnen. Vom Posener Oberlandesgericht ver- 
urteilt, wurde der Erzbischof am 20. Okt. 1839 
nach der Festung Kolberg abgeführt. Dem Vor- 
gehen gegen den Kölner Erzbischof fehlte vollstän- 
dig die gesetzliche Unterlage, da der in der Rhein- 
provinz geltende Code pônal keine Handhabe zu 
strafrechtlicher Verfolgung bot. Eine den Ereig- 
nissen nachhinkende Kabinettsorder vom 9. April 
1838 bestimmte, daß „Personen, die sich bei- 
kommen lassen, Erlasse auswärtiger geistlicher 
Obern zu überbringen, zu übersenden oder zu 
befördern oder Vorschub dazu zu leisten, sofort 
unter Vorbehalt weiterer Untersuchung und Be- 
strafung zu verhaften und nach Bewandtnis der 
Umstände in eine Festung abzuliefern“ seien. Eine 
durch Kabinettsorder vom 17. Febr. 1838 an- 
geordnete Kommission legte bereits am 12. Mai 
desselben Jahres drei ein vollständiges System 
staatlicher Bevormundung der katholischen Kirche 
enthaltende Verordnungsentwürfe vor, deren Be- 
ratung der Staatsrat am 14. Jan. 1839 beendete. 
Friedrich Wilhelm III. starb vor der Vollziehung 
dieser Verordnungen (7. Juni 1840). 
Friedrich Wilhelm IV. legte diese Ver- 
ordnungen zu den Akten und zeigte sich alsbald 
nach seinem Regierungsantritt eifrig bemüht, den 
Frieden zwischen Staat und Kirche herzustellen. 
Sein ernst christlicher Sinn, seine ideale Auffas- 
sung von der Aufgabe der Kirche und sein Ver- 
ständnis für Volkspsychologie befähigten diesen 
Monarchen in hohem Maße zu einer ausgleichen- 
den Tätigkeit auf dem schwierigen Gebiete der 
Grenzregulierung zwischen Staat und Kirche. Erz- 
bischof v. Dunin durfte sein Amt wieder an- 
treten; dem Erzbischof Klemens August, welcher 
in einem von der preußischen Staatszeitung ver- 
öffentlichten königlichen Schreiben eine förmliche 
Ehrenerklärung erhielt, wurde im Einverständnisse 
mit dem Apostolischen Stuhle ein Koadjutor ge- 
geben in der Person des damaligen Bischofs von 
Speyer, Johannes Geissel, nachdem über die wich- 
tigsten grundsätzlichen Streitpunkte eine Verstän- 
digung erzielt worden war. Insbesondere sollte 
die Behandlung der gemischten Ehen der kirch- 
lichen Autorität ohne Einmischung der Staatsre- 
gierung überlassen bleiben. Das Breve Pius' VIII. 
vom 25. März 1830 gelangte auch in den übrigen 
preußischen Diözesen unbehindert zur Ausführung. 
Durch eine königliche Kabinettsorder vom 1. Jan. 
1841 wurde den Bischöfen der freie Verkehr mit 
Rom gestattet, durch eine weitere königliche Ent- 
schließung vom 12. Febr. 1841 im Kultusmini- 
sterium eine aus katholischen Räten bestehende 
eigene Abteilung für die katholischen Angelegen- 
heiten errichtet. 
Staatslexilon. III. 3. Aufl. 
Kirchenpolitik, preußische. 
  
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Von größter Bedeutung für die Entwicklung 
der katholischen Kirche in Preußen waren die auf 
das Verhältnis von Staat und Kirche bezüglichen 
Bestimmungen der Verfassungsurkunde 
vom 31. Jan. 1850. Insbesondere gewährleistete 
Art. 12 die Freiheit des religiösen Bekennt- 
nisses, der Vereinigung zu Religionsgesellschaften 
und der gemeinsamen häuslichen und öffentlichen 
Religionsübung. Art. 15 bestimmte: „Die evan- 
gelische und die römisch-katholische Kirche sowie 
jede andere Religionsgesellschaft ordnet und ver- 
waltet ihre Angelegenheiten selbständig und bleibt 
im Besitz und Genuß der für ihre Kultus-, Unter- 
richts= und Wohltätigkeitszwecke bestimmten An- 
stalten, Stiftungen und Fonds.“ Art. 16: „Der 
Verkehr der Religionsgesellschaften mit ihren Obern 
ist ungehindert. Die Bekanntmachung kirchlicher 
Anordnungen ist nur denjenigen Beschränkungen 
unterworfen, welchen alle übrigen Veröffentlichun- 
gen unterliegen.“ Art. 18: „Das Ernennungs-, 
Vorschlags-, Wahl-- und Bestätigungsrecht bei Be- 
setzung kirchlicher Stellen ist, soweit es dem Staate 
zusteht und nicht auf dem Patronat oder besondern 
Rechtstiteln beruht, aufgehoben.“ Art. 24: „Bei 
der Einrichtung der öffentlichen Volksschulen sind 
die konfessionellen Verhältnisse möglichst zu berück- 
sichtigen. Den religiösen Unterricht in der Volks- 
chule leiten die betreffenden Religionsgesell- 
chaften.“ 
Dank diesen Bestimmungen, welche der preu- 
ßische Episkopat unter Führung des Erzbischofs. 
v. Geissel weise zu benutzen verstand, gelangte die 
katholische Kirche in Preußen bald zu segensreicher 
Entfaltung und hoher Blüte. An Störungen 
des förderlichen Verhältnisses zwischen Staat und 
Kirche fehlte es gleichwohl nicht. Namentlich ver- 
suchte die in den Kammern überwiegende kon- 
servative Partei den mit der verfassungsmäßigen 
Gleichberechtigung der Bekenntnisse unverträg- 
lichen Satz von dem „evangelischen Staate 
Preußen“ aufzustellen und praktisch zur Geltung 
zu bringen. Die v. Raumerschen Ministerial- 
erlasse vom 22. Mai und 16. Juni 1852 verboten 
bzw. beschränkten die Abhaltung von Missionen, 
das Studium im römischen Kollegium Germa- 
nikum und die Zulassung der Jesuiten, während 
eine Denkschrift des evangelischen Oberkirchenrats 
„Über die Vermehrung der Dotation der evan- 
gelischen Kirche in Preußen“ die Verpflichtung 
des Staates behauptete, alles dasjenige, was der 
evangelischen Kirche zur Befriedigung ihrer kirch- 
lichen Gesamtbedürfnisse noch fehle, aus allge- 
meinen Mitteln zuzuschießen. Mit gutem Er- 
folge trat die am 30. Nov. 1852 gegründete 
katholische Fraktion unter Führung der Brüder 
August und Peter Reichensperger diesen auf Ver- 
kümmerung des jungen Verfassungsrechts gerich- 
teten Bestrebungen im Abgeordnetenhause entgegen. 
Auch ein höchst peinlicher Zwischenfall, welcher 
durch einen Erlaß des Ministers v. Westphalen 
vom 11. Mai 1854 herbeigeführt wurde, fand 
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