Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

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schließlich befriedigende Erledigung. Dieser an 
die Oberpräsidenten mit Ausnahme des katho- 
lischen Oberpräsidenten v. Duisburg in Münster 
gerichtete Erlaß nahm Bezug auf eine in Berlin 
eingegangene vertrauliche Anzeige, wonach der 
katholische Klerus mit der Demokratie gemeinsame 
Sache mache, um in russenfeindlichem Sinne auf 
die Gemüter einzuwirken, und sich von Frank- 
reich aus in gleichem Sinne beeinflussen lasse. Als 
der Erzbischof von Köln in Verbindung mit den 
Bischöfen von Trier, Paderborn und Münster 
in einer sehr scharfen Vorstellung an das Staats- 
ministerium gegen diese Denunziation und das 
den Bischöfen und Geistlichen durch die Berück- 
sichtigung derselben bekundete Mißtrauen sich 
wandte, drückte schließlich der Minister in einem 
Schreiben vom 4. März 1855 wiederholt das leb- 
hafte Bedauern aus, welches er „über die infolge 
der unbefugten Veröffentlichung jenes vertrau- 
lichen Erlasses unter dem katholischen Klerus her- 
vorgerufene Mißstimmung zu teilen nicht um- 
hin" könne. 
König Wilhelm I. sprach bei seiner feier- 
lichen Krönung am 18. Okt. 1861 die denkwür- 
digen Worte: „Es gereicht Mir zur Genugtuung, 
die Verhältnisse der katholischen Kirche für den 
Bereich Meines ganzen Staates durch Geschichte, 
Gesetz und Verfassung wohlgeordnet zu wissen.“ 
Bis zu Beginn der 1870er Jahre war die Lage 
der katholischen Kirche in Preußen im allgemeinen 
eine solche, wie sie Franz Kaver Schulte in seiner 
„Geschichte des Kukturkampfes“ schildert: 
„Die Artikel der preußischen Verfassungsurkunde, 
welche sich auf die Kirche bezogen, hatten sich als 
dauernde Grundlage des religiösen Friedens be- 
währt. Sie hatten der Kirche das zur Erfüllung 
ihrer Sendung notwendige Maß innerer Freiheit 
verliehen; dadurch allein schon war es möglich ge- 
worden, die Verwicklungen fernzuhalten, die durch 
das Einmischen des Staates in das kirchliche Leben 
entstehen. Die Kirche hatte von der ihr gewährten 
Freiheit mit Entschiedenheit und unter kluger Be- 
rücksichtigung der jeweiligen tatsächlichen Verhält- 
nisse umfassenden Gebrauch gemacht, sie konnte sich 
denn auch großer Erfolge rühmen. Es gibt in der 
Kirchengeschichte wenig Beispiele von einem so all- 
gemeinen, so raschen und doch gesunden Gedeihen 
kirchlicher Verhältnisse, wie es in Preußen sich voll- 
zog. Das Verhältnis zum Staate mußte sich dabei 
mit jedem Tage günstiger gestalten, weil man 
wußte, daß es der hochherzigen Gesinnung des Kö- 
nigs Friedrich Wilhelm IV. zu danken war, wenn 
die alten Fesseln die Kirche nicht mehr drückten. 
Mehr als einmal wurden katholische Staaten auf 
das protestantische Preußen hingewiesen: dort 
könne man lernen, wie die Kirche behandelt werden 
müsse, damit sie segensreich wirke. Zwar die Klagen 
über mannigfache Verletzung der gewährleisteten 
Parität verstummten nicht; man wußte aber doch 
wieder, daß in allen preußischen Verwaltungs- 
gewohnheiten so viele Hindernisse der vollen Pari- 
tät lagen, daß selbst der redlichste Wille nicht überall 
und sofort durchdringen konnte. Hoffnungsfroh sah 
das katholische Volk der Zukunft entgegen. Die 
  
Kirchenpolitik, preußische. 
  
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noch obwaltenden Mißverständnisse mußten ja 
schwinden, je öfter der Beweis erbracht wurde, daß 
die Liebe zur Kirche der treuesten Hingabe an die 
Interessen des Vaterlandes nicht im Wege stand."“ 
Angekündigt durch mancherlei bedrohliche An- 
zeichen während und nach dem preußisch-öster- 
reichischen Kriege von 1866, trat dann zu Anfang 
der 1870er Jahre ein Umschwung in den Be- 
ziehungen zwischen dem preußischen Staat und 
der katholischen Kirche in die Erscheinung: ein 
Rückfall in die antikatholischen und staatskirch- 
lichen Uberlieferungen der preußischen Kirchen- 
politik, welcher zu langwierigen und heftigen 
innern Kämpfen in dem führenden deutschen 
Bundesstaat und mittelbar auch in andern Bundes- 
staaten Anlaß gab. (Vgl. darüber den Art. Kul- 
turkampf.) 
Beim Regierungsantritt Wilhelms II. 
war der kirchenpolitische Friede wiederhergestellt. 
Wilhelm II. hat zu wiederholten Malen dem Ent- 
schlusse Ausdruck verliehen, der katholischen Kirche 
in Preußen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. 
Das freundliche Bild, welches die kirchenpoli- 
tischen Zustände unter seiner Regierung im allge- 
meinen bieten, wird getrübt durch die Begleit- 
erscheinungen des seit der Mitte der 1890er Jahre 
mit verschärften Mitteln aufgenommenen Kampfes 
gegen das Polentum; denn Hand in Hand mit 
den Germanisierungsbestrebungen in den Pro- 
vinzen Posen und Westpreußen geht eine Förde- 
rung des protestantischen und eine Zurückdrängung 
des katholischen Elements. Unter den seit Beginn 
der staatlichen Ansiedlungstätigkeit (1. Okt. 1886) 
in die genannten Provinzen verpflanzten Deutschen 
(insgesamt etwa 50 000 Personen) befindet sich 
nur ein kleiner Bruchteil Katholiken. Eine große 
Zahl evangelischer Parochien wurden, zum Teil 
in Bezirken mit bisher fast ausschließlich katholi- 
scher Bevölkerung, neu begründet und aus Staats- 
mitteln mit Kirchen und Pfarrhäusern ausgestattet. 
(Vgl. Anlage zur Denkschrift der Ansiedlungs- 
kommission für 1908.) Auch fehlt es, weil die 
katholische Geistlichkeit sich nicht in den Dienst der 
Germanisierungsbestrebungen, besonders der kirch- 
lichen Grundsätzen zuwiderlaufenden Schulpolitik 
stellen kann, nicht an Reibungen zwischen den 
staatlichen und den kirchlichen Behörden. Wenn- 
gleich die protestantisierende Tendenz der sog. 
Ostmarkenpolitik von ihren Vertretern in Abrede 
gestellt wird, so liefert doch die ganze Geschichte 
dieser Politik den Beweis, daß sie ein Ausfluß der 
traditionellen preußischen Kirchenpolitik ist, deren 
hervorstechende Charakterzüge auch hier in die Er- 
scheinung treten. 
II. Gegenüber den Protestanten. Die staats- 
kirchliche Richtung der preußischen Kirchenpolitik 
trat auf evangelisch -kirchlichem Gebiete nicht 
minder hervor wie gegenüber der katholischen 
Kirche, wenn dieselbe auf jenem auch naturgemäß 
nicht zu so schweren Konflikten führte. Von den 
preußischen Regenten wurde der Summepiskopat,
	        
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