Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

197 
wie ihn die „Reformation“ den Fürsten einge- 
räumt hat, durchweg in nachdrücklichster Weise 
wahrgenommen. In der Kirchenordnung, welche 
Joachim II. nach seinem Ubertritt zum Protestan- 
tismus im Jahre 1540 erließ, kommt dieser Stand- 
punkt der eigenen Kirchengemeinschaft gegenüber 
sehr bestimmt zur Geltung. „Sowenig ich“, er- 
klärte der genannte Kurfürst seinen Geistlichen, 
„an die römische Kirche will gebunden sein, so 
wenig will ich auch an die wittenbergische Kirche 
gebunden sein.“ Und am Schlusse: „Wollt ihr 
euch demnach (nach der vor acht Jahren aus- 
gegangenen Ordination) verhalten, wohl gut, so 
will ich euer gnädiger Herr sein und bleiben; wo 
nicht, habt ihr zu bedenken, was mir zu tun sein 
will. . .. Wollt ihr mich zum Ordinario nicht 
leiden, so will ich euch dem Papst oder dem Bi- 
schof zu Lebus befehlen; die werden euch wohl 
regieren.“ 
Am 25. Dez. 1613 ging Kurfürst Johann 
Sigismund vonm lutherischen zum kalvinischen 
Bekenntnisse über, obwohl er sich 1598 durch einen 
Revers zur Aufrechterhaltung des Luthertums ver- 
pflichtet hatte. Dieser Konfessionswechsel erscheint 
dem Verfasser der Publikationen aus den kgl. 
preußischen Staatsarchiven von wahrhaft univer- 
saler Bedeutung; „denn wäre Brandendurg auf 
dem Standpunkte der Konkordienformel verharrt, 
so wäre es unfähig zu einer weitherzigen Kirchen- 
politik geblieben. Das hätte aber in einem kon- 
fessionell gemischten Lande, wie Deutschland nun 
einmal war, nichts anderes bedeutet als die Un- 
Möglichkeit weiterer Erwerbungen im großen Stile, 
Verzicht auf die dereinstige Rolle einer Groß- 
macht"“. Kurfürst Friedrich Wilhelm wirkte 
bei Besetzung kirchlicher Stellen persönlich mit. 
Auf eine aus praktischen Gründen seitens der Re- 
gierung erhobene Gegenvorstellung erklärte der- 
selbe am 15. Sept. 1679: „Wir können keines- 
wegs absehen, aus was für Fundament man Uns 
als dem Landesfürsten und Oberherrn die Hände 
darunter zu binden und hingegen mit Vokation 
und Bestellung der Prediger ohne Unser Vorwissen 
und unerwartet Unser gnädigsten Verordnungen, 
ja auch denenselben zuwider zu verfahren sich unter- 
fangen dürfen."“. 
Entschiedener noch brachte sein Sohn Fried- 
rich III. (König Friedrich I.) sein ius episco- 
pale im einzelnen zur Geltung. Er ging davon 
aus, daß in demselben die ganze kirchliche Gewalt 
liege, und übertrug nun die einzelnen Rechte der- 
selben teils der Regierung teils dem Konsistorium 
und den andern geistlichen Beamten. Seine 
Herrschaft über die Kirche bekundete der Kurfürst 
durch zahlreiche Verordnungen über das Patro- 
natsrecht, die Sonntagsfeier, die Taufe, die Ehe, 
das Abendmahl, das Begräbnis usw. Nachdem 
er am 18. Jan. 1701 sich die Königskrone auf- 
gesetzt hatte, war er noch weniger geneigt, das 
„Uns allein zustehende ius supremum episco- 
pale, höchstes und souveränes Recht circa eccle- 
Kirchenpolitik, preußische. 
  
198 
siastica“, irgendwie anfechten und schmälern zu 
lassen. Der Plan des Königs, die Union der 
Lutheraner und der Reformierten herzustellen, 
scheiterte, obwohl er durch seine dritte Vermählung 
mit einer lutherischen Prinzessin zu erkennen ge- 
geben hatte, wie sehr ihm daran lag, zur Aus- 
söhnung der Angehörigen beider Konfessionen bei- 
zutragen. 
König Friedrich Wilhelm I., welcher am 
25. Febr. 1718 auf den Thron gelangte, war 
ebenso religiös wie absolutistisch gesinnt; er be- 
trachtete sich in jeder Beziehung als unumschränk- 
ten Herrn der ihm von Gott übergebenen Unter- 
tanen. Auf kirchlichem Gebiete erließ er nicht bloß 
einzelne, das äußere und innere Kirchenwesen be- 
treffende Verordnungen, sondern traf ganz neue, 
die Kirche im ganzen modifizierende Einrichtungen. 
Eine Verordnung vom Jahre 1714 ging dahin: 
weil so viele reformierte und lutherische Prediger 
ihre Predigten so ungemein lang einrichteten und 
nur durch verdrießliche Wiederholungen desselben 
Gegenstandes so verlängerten, daß den Zuhörern 
die Aufmerksamkeit und Andacht entgehe, solle die 
Predigt bei Strafe von zwei Talern für jeden 
Übertretungsfall außer dem Gesang und Gebet 
nie über eine Stunde dauern. Im Jahre 1723 
befahl er allen Geistlichen nachdrücklich, in jeder 
Predigt die Treue und den Gehorsam, welche die 
Untertanen dem König zu erweisen schuldig wären, 
vorzustellen. Auch König Friedrich Wilhelm I. 
betrieb die Vereinigung der Lutheraner und der 
Reformierten. Bei Amtssuspension oder anderer 
willkürlicher Strafe verbot er daher sowohl den 
reformierten als den lutherischen Predigern, 
Streitfragen über die Verschiedenheit der beiden 
Konfessionen auf die Kanzel zu bringen. Die 
Unionsbestrebungen begegneten jedoch unüber- 
windlichen Hindernissen, wenn auch der König 
im Jahre 1739 bei der Verkündigung des zweiten 
Jubelfestes der Einführung der Reformation in 
der Mark Brandenburg feststellen konnte, „daß 
die beiden evangelischen Religionsverwandten in 
den hiesigen Landen angefangen, sich miteinander 
christbrüderlich zu vertragen“. 
Friedrich II. war in religiös-kirchlichen 
Dingen das gerade Gegenteil seines Vaters. Er 
huldigte dem Rationalismus und Indifferentis- 
mus. Die gegen einzelne Sekten erlassenen Be- 
schränkungen hob der König auf und nahm auch 
insbesondere das von seinem Vater behufs Durch- 
führung der Union erlassene Verbot der lutheri- 
schen Kirchengebräuche zurück. Damit waren die 
von den drei vorhergehenden Regenten so eifrig 
betriebenen Versuche zur Vereinigung der beiden 
getrennten protestantischen Religionsparteien auf- 
gegeben. Wie sein Vorgänger, betrachtete sich 
übrigens Friedrich II. als kirchliches Oberhaupt 
seiner protestantischen Untertanen. Er traf nicht 
selten Entscheidungen in kirchlichen Angelegen- 
heiten, wenn er auch letztere meist den dazu be- 
stimmten, von ihm neu organisierten Verwaltungs- 
7 *
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.