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wie ihn die „Reformation“ den Fürsten einge-
räumt hat, durchweg in nachdrücklichster Weise
wahrgenommen. In der Kirchenordnung, welche
Joachim II. nach seinem Ubertritt zum Protestan-
tismus im Jahre 1540 erließ, kommt dieser Stand-
punkt der eigenen Kirchengemeinschaft gegenüber
sehr bestimmt zur Geltung. „Sowenig ich“, er-
klärte der genannte Kurfürst seinen Geistlichen,
„an die römische Kirche will gebunden sein, so
wenig will ich auch an die wittenbergische Kirche
gebunden sein.“ Und am Schlusse: „Wollt ihr
euch demnach (nach der vor acht Jahren aus-
gegangenen Ordination) verhalten, wohl gut, so
will ich euer gnädiger Herr sein und bleiben; wo
nicht, habt ihr zu bedenken, was mir zu tun sein
will. . .. Wollt ihr mich zum Ordinario nicht
leiden, so will ich euch dem Papst oder dem Bi-
schof zu Lebus befehlen; die werden euch wohl
regieren.“
Am 25. Dez. 1613 ging Kurfürst Johann
Sigismund vonm lutherischen zum kalvinischen
Bekenntnisse über, obwohl er sich 1598 durch einen
Revers zur Aufrechterhaltung des Luthertums ver-
pflichtet hatte. Dieser Konfessionswechsel erscheint
dem Verfasser der Publikationen aus den kgl.
preußischen Staatsarchiven von wahrhaft univer-
saler Bedeutung; „denn wäre Brandendurg auf
dem Standpunkte der Konkordienformel verharrt,
so wäre es unfähig zu einer weitherzigen Kirchen-
politik geblieben. Das hätte aber in einem kon-
fessionell gemischten Lande, wie Deutschland nun
einmal war, nichts anderes bedeutet als die Un-
Möglichkeit weiterer Erwerbungen im großen Stile,
Verzicht auf die dereinstige Rolle einer Groß-
macht"“. Kurfürst Friedrich Wilhelm wirkte
bei Besetzung kirchlicher Stellen persönlich mit.
Auf eine aus praktischen Gründen seitens der Re-
gierung erhobene Gegenvorstellung erklärte der-
selbe am 15. Sept. 1679: „Wir können keines-
wegs absehen, aus was für Fundament man Uns
als dem Landesfürsten und Oberherrn die Hände
darunter zu binden und hingegen mit Vokation
und Bestellung der Prediger ohne Unser Vorwissen
und unerwartet Unser gnädigsten Verordnungen,
ja auch denenselben zuwider zu verfahren sich unter-
fangen dürfen."“.
Entschiedener noch brachte sein Sohn Fried-
rich III. (König Friedrich I.) sein ius episco-
pale im einzelnen zur Geltung. Er ging davon
aus, daß in demselben die ganze kirchliche Gewalt
liege, und übertrug nun die einzelnen Rechte der-
selben teils der Regierung teils dem Konsistorium
und den andern geistlichen Beamten. Seine
Herrschaft über die Kirche bekundete der Kurfürst
durch zahlreiche Verordnungen über das Patro-
natsrecht, die Sonntagsfeier, die Taufe, die Ehe,
das Abendmahl, das Begräbnis usw. Nachdem
er am 18. Jan. 1701 sich die Königskrone auf-
gesetzt hatte, war er noch weniger geneigt, das
„Uns allein zustehende ius supremum episco-
pale, höchstes und souveränes Recht circa eccle-
Kirchenpolitik, preußische.
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siastica“, irgendwie anfechten und schmälern zu
lassen. Der Plan des Königs, die Union der
Lutheraner und der Reformierten herzustellen,
scheiterte, obwohl er durch seine dritte Vermählung
mit einer lutherischen Prinzessin zu erkennen ge-
geben hatte, wie sehr ihm daran lag, zur Aus-
söhnung der Angehörigen beider Konfessionen bei-
zutragen.
König Friedrich Wilhelm I., welcher am
25. Febr. 1718 auf den Thron gelangte, war
ebenso religiös wie absolutistisch gesinnt; er be-
trachtete sich in jeder Beziehung als unumschränk-
ten Herrn der ihm von Gott übergebenen Unter-
tanen. Auf kirchlichem Gebiete erließ er nicht bloß
einzelne, das äußere und innere Kirchenwesen be-
treffende Verordnungen, sondern traf ganz neue,
die Kirche im ganzen modifizierende Einrichtungen.
Eine Verordnung vom Jahre 1714 ging dahin:
weil so viele reformierte und lutherische Prediger
ihre Predigten so ungemein lang einrichteten und
nur durch verdrießliche Wiederholungen desselben
Gegenstandes so verlängerten, daß den Zuhörern
die Aufmerksamkeit und Andacht entgehe, solle die
Predigt bei Strafe von zwei Talern für jeden
Übertretungsfall außer dem Gesang und Gebet
nie über eine Stunde dauern. Im Jahre 1723
befahl er allen Geistlichen nachdrücklich, in jeder
Predigt die Treue und den Gehorsam, welche die
Untertanen dem König zu erweisen schuldig wären,
vorzustellen. Auch König Friedrich Wilhelm I.
betrieb die Vereinigung der Lutheraner und der
Reformierten. Bei Amtssuspension oder anderer
willkürlicher Strafe verbot er daher sowohl den
reformierten als den lutherischen Predigern,
Streitfragen über die Verschiedenheit der beiden
Konfessionen auf die Kanzel zu bringen. Die
Unionsbestrebungen begegneten jedoch unüber-
windlichen Hindernissen, wenn auch der König
im Jahre 1739 bei der Verkündigung des zweiten
Jubelfestes der Einführung der Reformation in
der Mark Brandenburg feststellen konnte, „daß
die beiden evangelischen Religionsverwandten in
den hiesigen Landen angefangen, sich miteinander
christbrüderlich zu vertragen“.
Friedrich II. war in religiös-kirchlichen
Dingen das gerade Gegenteil seines Vaters. Er
huldigte dem Rationalismus und Indifferentis-
mus. Die gegen einzelne Sekten erlassenen Be-
schränkungen hob der König auf und nahm auch
insbesondere das von seinem Vater behufs Durch-
führung der Union erlassene Verbot der lutheri-
schen Kirchengebräuche zurück. Damit waren die
von den drei vorhergehenden Regenten so eifrig
betriebenen Versuche zur Vereinigung der beiden
getrennten protestantischen Religionsparteien auf-
gegeben. Wie sein Vorgänger, betrachtete sich
übrigens Friedrich II. als kirchliches Oberhaupt
seiner protestantischen Untertanen. Er traf nicht
selten Entscheidungen in kirchlichen Angelegen-
heiten, wenn er auch letztere meist den dazu be-
stimmten, von ihm neu organisierten Verwaltungs-
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