221
oder auf interkonfessionelle Fragen beziehen, wäh-
rend in der älteren, bis zur Mitte des 19. Jahrh.
vorherrschenden Terminologie die Bezeichnungen
„äußeres Kirchenrecht", „Kirchenstaatsrecht“,
„Staatskirchenrecht“ entweder als identische ge-
braucht wurden oder die beiden letzteren nur die auf
das Verhältnis der Kirche zum Staat (nicht auch
die auf das gegenseitige rechtliche Verhältnis der
Konfessionen) sich beziehenden Normen umfaßten.
Systematische Gesamtdarstellungen
des Kirchenrechts, welche ihren Stoff nicht mehr
als Quellenkommentare behandeln oder doch der
in den offiziellen Dekretalensammlungen befolgten
Legalordnung der Bücher und Titel einfügen, sind
seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrh., zunächst
nach dem Muster des römischen Institutionen-
systems, versucht worden. Ist es die Aufgabe der
systematischen Darstellung, die innere Einheitlich-
keit des Rechtsstoffes zur Klarheit zu bringen,
durch Übersichtlichkeit und Verständlichkeit dessen
Erfassung zu erleichtern, nicht aber eine bloße
äußere logische Verknüpfung des Stoffes zu ver-
mitteln, so konnte das Institutionensystem dieser
Aufgabe unmöglich entsprechen, weil hier das
Kirchenrecht gewaltsam in den Rahmen einer
zivilistischen Schablone gepreßt wurde, welche
(abgesehen von der Frage ihrer Berechtigung in
einem Systeme des bürgerlichen Rechts) jedenfalls
dem durchaus öffentlichen Charakter des Kirchen-
rechts widerspricht und die Rücksicht auf die eigen-
artige Natur des Stoffes einem „monokratischen
Formalismus“ opfert. Seit der Mitte des
18. Jahrh. ist für die Mehrzahl der Darstellungen
des Kirchenrechts die mißverständliche Einteilung
desselben in ius eccles. publicum und ius.
eccles. privatum die Grundlage des Systems
gewesen, dessen „Privatkirchenrecht“ wiederum
unverkennbar nach der den Institutionen ent-
lehnten Anordnung (personae, res, actiones)
gegliedert ist. Als der öffentliche Charakter des
Kirchenrechts, wenigstens in der deutschen Rechts-
wissenschaft, zu allgemeinerer Würdigung gelangte,
war für den Aufbau des Systems die Analogie
des Staatsrechts entscheidend, dessen Vorbild die
Rubriken jenes Systems bestimmte, welches in der
deutschen Rechtswissenschaft seit mehr als einem
halben Jahrhundert das vorherrschende ist. Nach
einer (inhaltlich freilich sehr verschieden begrenzten)
Einleitung, welche vorwiegend den in den einzelnen
Perioden der Entwicklung hervortretenden allge-
meinen Charakter der Rechtsbildung und die
Quellen des Kirchenrechts behandelt, wird der Stoff
in drei Hauptteile (Verfassung, Verwaltung der
Kirche, kirchliches Leben) gegliedert zur Darstellung
gebracht. Auf dem gleichen Grundgedanken be-
ruht die von Hinschius (zuerst in Holtzendorffs
Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systemat.
Bearb. I1 1870. durchgeführte systematische An-
ordnung des Kirchenrechts, welche die ungenaue,
dem juristischen Charakter des Stoffes nicht ent-
sprechende Rubrik „Kirchliches Leben“ ausgeschie-
Kirchenrecht.
222
den hat. dier schließt sich der Darstellung der
kirchlichen Verfassung (des für die Leitung der
Kirche bestehenden hierarchischen Organismus)
jene der einzelnen Funktionen des kirchlichen Re-
gierungsorganismus (das kirchliche Verwaltungs-
recht) und als ein weiterer Hauptteil die Lehre von
den Rechtsverhältnissen der einzelnen Kirchen-
glieder wie der kirchlichen Genossenschaften an.
Schulte (dessen Beispiele manche neuere Dar-
stellungen gefolgt sind, obwohl sie, wie Schultes
eigene spätere Lehrbücher, aus didaktischen Grün-
den dessen System im einzelnen modifiziert, d. h.
nach dem längst geläufigen Vorbilde umgestaltet
haben) hat wohl gegenüber diesen Systemen der
modernen deutschen Rechtswissenschaft, welche die
Grundzüge ihrer Gliederung des Stoffes der
Disziplin des Staatsrechts entlehnen, die Not-
wendigkeit eines Systems des Kirchenrechts betont,
welches „aus ihm selbst entwickelt“ würde. Dieses
von Schulte (in dessen Kath. Kirchenrecht, 2. TI:
System des allgem. kath. Kirchenrechts (1856))
ausgestellte System (das öffentliche Recht der
Kirche, das Privatrecht der Kirche, Privatrechte
in der Kirche) hat jedoch nicht bloß die unhaltbare
Unterscheidung öffentlicher und privater Rechte im
Gebiete des Kirchenrechts zur Voraussetzung:
gegen dieses System muß in noch höherem Maße
als gegen die in der älteren Manier auf der
Grundlage des ius ecclesiasticum publicum
und privatum aufgebauten Darstellungen der
Vorwurf erhoben werden, daß durch solche Unter-
scheidungen nur Mißverständnis und Begriffsver-
wirrung befördert werden. Im zweiten Gliede
der obigen Einteilung soll „Privatrecht“ das
Recht bedeuten, welches der Kirche im Gebiete des
weltlichen bürgerlichen Rechts, des Vermögens-
rechts, zusteht, während die angeblichen „Privat-
rechte in der Kirche“ Rechte der einzelnen und
Genossenschaften sind, welche in der kirchlichen
Rechtsordnung wurzeln. Kahl (Lehrsystem des
Kirchenrechts und der Kirchenpolitik I (1894.)
ordnet den Stoff in einen allgemeinen und einen
besondern Teil: Begriff, Quellen des Kirchen-
rechts, Staat und Kirche — „Rechtslehre vom
Kirchenorganismus“ („Verfassungslehre“ und
„Funktionenlehre"), „Rechtslehre von der Kirchen-
mitgliedschaft“ („allgemeine Mitgliedschaftsrechte"
und die „kirchlichen Sonderrechte“). (Über die
Vorzüge dieses von Kahl a. a. O. 45 ff ent-
wickelten Systems Lin welchem jedoch dem Ehe-
recht kein Platz eingeräumt ist, da Kahl das Ge-
biet des Kirchenrechts nach protestantischen Grund-
sätzen bestimmt] vgl. meine Bemerkungen in den
Gött. Gel. Anz. 1897, 672 ff.)
Während nach dem bisher in der deutschen
Kirchenrechtswissenschaft befolgten Brauche die
Geschichte der Rechtsentwicklung als historische
Einleitung in die betreffenden Abschnitte der
Darstellung des geltenden Rechts aufgenommen
wurde, verwirft U. Stutz (Die kirchliche Rechts-
geschichte /1905.) grundsätzlich diese „Verquickung