Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

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schied zugunsten des Papstes und der Städte. 
Im Frieden von Venedig (1177) verzichtete der 
Kaiser unter anderem auf die Präfektur, die Re- 
galien und überhaupt die kaiserlichen Befugnisse 
in Rom. Erst seinem Sohne, dem Kaiser Hein- 
rich VI. (1190/97), ward es möglich, diese noch- 
mals eine kurze Zeit in vollem Umfange zu üben. 
Die Frage der Mathildeschen Güter wurde im 
Frieden von 1177 offen gelassen; die meisten 
kamen nach dem Tode Heinrichs VI. und unter 
Friedrich II. in den Besitz der Städte, der Kirche 
blieb fast gar nichts. Vgl. Overmann, Mark- 
gräfin Mathilde, ihre Besitzungen, Geschichte ihres 
Gutes 1115/1230 (1895). 
Durch die gegen den Widerspruch Papfst 
Urbans III. (1185/87), des Oberlehnsherrn von 
Sizilien, erfolgte Heirat Heinrichs mit Kon- 
stanze, der Muhme und Erbin des sizilischen 
Königs Wilhelm II., womit die Hohenstaufen 
die Gründung einer Hausmacht im Süden Ita- 
liens, im Rücken des Kirchenstaates, erstrebten, 
war das Verhältnis der Kirche zum Reiche un- 
heilbar zerrüttet. Heinrich VI. wies zudem die 
Anerkennung der päpstlichen Oberherrlichkeit im 
sizilischen Königreich zurück, verweigerte, wie sein 
Vater, die geforderte Rückgabe der Mathildeschen 
Güter an die Kirche, ja er behandelte Rom als 
die Hauptstadt seines Reiches, ernannte seinen 
jüngeren Bruder, den nachherigen deutschen König 
Philipp von Schwaben, zum Herzog von Tuscien 
und verlieh andere päpstliche Provinzen als Reichs- 
lehen an Verwandte und Getreue. Die Absicht, 
den Kirchenstaat ganz zu umschließen, Italien 
durch Sizilien unauflöslich mit dem Reiche zu 
verbinden, ward durch den Widerstand der Fürsten 
gegen Heinrichs Reformpläne auf den Reichstagen 
zu Würzburg und Mainz (1196) erschwert, dann 
durch den frühen Tod des Kaisers (1197) gänzlich 
vereitelt. Konstanze, die Witwe Heinrichs, suchte 
nun sofort für den erst dreijährigen Sohn und 
Erben, den nachherigen Kaiser Friedrich II., die 
päpstliche Investitur für Sizilien nach. Philipp, 
der Herzog von Tuscien, hingegen, überall vom 
Aufstande bedroht, ging nach Deutschland zurück. 
Auf den Stuhl Petri wurde 1198 Innozenz III. 
(gest. 1216) erhoben, der, ausgenommen in Tus- 
cien, wo er sich mit den unabhängigen Städten 
vertragen mußte, den territorialen Besitzstand der 
Kirche sehr bald wiederherstellte und das Herzog- 
tum Spoleto dazu eroberte. 
3. Der unabhängige päßpstliche Lehns- 
staat. Mit der Wiederherstellung der päpstlichen 
Herrschaft durch Innozenz III. ging Hand in 
Hand die Beseitigung des letzten Restes der kaiser- 
lichen Autorität in Rom. Der Stadtpräfekt und 
damit die von ihm abhängigen Richter und No- 
tare im römischen Bezirk wurden fortan päpstliche 
Beamte. Das „Tuscische Bündnis“ sollte auch 
in Tuscien und Umbrien die kaiserlichen Herr- 
schaftsansprüche beseitigen. Aus dem Zusammen- 
sturz des Kaisertums durch den Tod Friedrichs II. 
  
Kirchenstaat. 
  
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und den Untergang seines Geschlechts ging die 
päpstliche Autorität im Kirchenstaate gesichert 
hervor. Papst Gregor X. (1271/76) erreichte 
(1274) von Rudolf von Habsburg auch den 
definitiven Verzicht der Reichsgewalt auf die 
kaiserlichen Rechte, die Anerkennung der päpst- 
lichen Souveränität in den durch die alten Schen- 
kungen begrenzten Gebieten, den Verzicht auf 
Sizilien, endlich (1278) die Rückgabe der Ro- 
magna (Exarchat und Pentapolis). Nikolaus III. 
(1277/80) und seine nächsten Nachfolger haben 
dann, zumeist mit französischer und angiovinischer 
Hilfe, es sich harte Kämpfe kosten lassen, um die 
romagnolischen Städte und Dynasten auch tat- 
sächlich unter ihren Willen zu beugen. Das ist 
jedoch nur sehr unvollkommen und zeitweilig ge- 
lungen. Die Tyrannen oder Signoren, die in 
den Städten mit der Zeit die Herrschaft an sich 
gerissen hatten, gestanden dem Papste die ober- 
lehnsherrlichen Rechte nur in solcher Bemessung 
zu, wie Vorteil und augenblickliche Lage es er- 
heischten. Nach der Verlegung der päpstlichen Resi- 
denz nach Avignon durch Klemens V. (1305/14; 
Eitel, Der Kirchenstaat unter Klemens V. L1907)) 
und zumal begünstigt durch den mit Johann XXII. 
(1316/34) in Kampf geratenen Kaiser Ludwig 
von Bayern nahm die Herrschaft der Tyrannen 
vollständig überhand. Die päpstlichen Beamten, 
meist Franzosen, wurden fast überall verjagt. In 
Rom wurden wiederholte Versuche gemacht, die 
Adelsherrschaft zu stürzen und ein demokratisches 
Regiment, zum Teil sogar mit Wahrung der 
obersten päpstlichen Landesherrschaft, zu gründen. 
Vgl. F. Papencordt, Cola di Rienzo und seine 
Zeit (1841); E. Werunsky, Karl IV. und seine 
Zeit (3 Bde, 1880/92). — Zwar wurden solche 
Pläne durch den Kardinal Albornoz, den „zweiten 
Begründer des Kirchenstaates“ (vgl. H. J. Wurm, 
Kardinal Albornoz ([1892.), zeitweilig vereitelt. 
Dasgroße Schisma, das nach der Wahl Urbans VI. 
(1378) mehr als 40 Jahre lang die Kirche ent- 
zweite, brachte aber für lange Zeit die Anarchie 
zur vollendeten Herrschaft. Über die Folgen des 
Schismas für den Kirchenstaat unterrichtet über- 
sichtlich: J. Guiraud, L'Etat pontifical apres 
le grand schisme (Par. 1896). 
Mit Martin V. (1417/31), dem Erwählten 
des Konstanzer Konzils, begann eine ruhigere 
Zeit, aber auch die Periode der Erschöpfung. Rom, 
das mittelalterliche wie das alte, lag in Trüm- 
mern; die Campagna war verödet; die Städte 
waren in ihrem äußern Bestande wie in den 
munizipalen Instituten verfallen und der An- 
lehnung an die Landesherrschaft bedürftig. In 
Rom, das in dem Jahrhundert der Abwesenheit 
der Päpste kein dauerhaftes Regiment erreicht 
hatte, fiel den Päpsten jetzt in bezug auf die Be- 
stellung der höchsten städtischen Gewalten, auf die 
städtische Gerichtsbarkeit, auf die Verwaltung der 
Finanzen und naturgemäß auch von den Kameral- 
gefällen selbst ein beträchtlicher Anteil zu. In den
	        
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