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5. Seit der französischen Revolution.]Pius VII. antwortete am 10. Juni mit der Bann-
Die bourbonischen Regierungen, die den Geist der bulle Quam memoranda. In der Nacht vom 5.
Revolution großgezogen hatten, dem sie nachher auf den 6. Juli wurde er darauf durch den Gen-
selbst zum Opfer fielen, nahmen der weltlichen darmerieoberst Radet verhaftet und über Florenz.
Papstherrschaft gegenüber schon jene feindliche und Turin nach Savona, später nach Fontainebleau
Haltung ein wie nachher die Revolution selbst. in die Gefangenschaft abgeführt. Die Franzosen-
Avignon wurde bereits von Ludwig XIV. 1662 herrschaft in Rom bewirkte in den Jahren 1809
weggenommen und mehrere Jahre okkupiert. Zum bis 1813 einen Rückgang der Bevölkerung von
zweitenmal hatte Frankreich Avignon samt der 123.000 auf 1170000 (1796 waren es noch
Grafsschaft Venaissin 1768/74 besetzt. Die ge= 165 000) und eine Vermehrung der Steuern um
waltsame und definitive Einverleibung geschah fast 60 Prozent. Die in das allgemeine Staats-
1791.— Die neapolitanischen Bourbonen nahmen gut einbezogenen Kirchengüter beliefen sich auf
1768/73 Benevent und Pontecorvo in Besitz. 1788 150 Mill., solche für weitere 100 Mill. wurden
kündigten sie das seit 1059 bestandene Lehns= für geistliche und Wohltätigkeitszwecke belassen.
verhältnis Sizilien-Neapels zum Heiligen Stuhl.l! Die verlorenen Schlachten des Jahres 1813
Die erste gewaltsame Schmälerung erfuhr der bewogen Napoleon, den Gefangenen von Fon-
Kirchenstaat durch Bonaparte, den General der tainebleau wieder in Freiheit zu setzen. Die
französischen Republik, im Jahre 1796. Im Juni neapolitanischen Truppen des Königs Joachim
desselben Jahres besetzte er ohne Schwertstreich Murat, die zu Anfang 1814 den Kirchenstaat
Bologna, Ferrara und die Romagna, und im besetzt hielten, räumten Rom und das Patrimo-
Frieden von Tolentino (19. Febr. 1797) mußte nium, und am 24. Mai 1814 zog Pius VII.
Papst Pius VI., wie auf Avignon und Venaissin, wieder in seine Hauptstadt ein. Durch die Herr-
so auch auf diese Gebietsteile verzichten. Sie bil= schaft der hundert Tage bewirkte Napoleon ein
deten nachher mit Mailand und andern lombar= neuerliches Einrücken Murats in das pöpstliche
dischen Gebieten die Cisalpinische Republik. Der Gebiet. Am 3. Mai 1815 wurde derselbe jedoch
Rest des Kirchenstaates, Rom, das Patrimonium bei Macerata von den Osterreichern geschlagen,
und Umbrien, wurde am 20. Febr. 1798 von den und der nach Genua geflohene Papst kehrte nun-
Franzosen zur Römischen Republik gemacht, mehr bleibend nach Rom zurück. Durch Art. 103
die jedoch nur bis in den Sept. 1799 bestand. der Wiener Schlußakte vom 9. Juni 1815 wurde
Schon waren im Römischen, in Civitavecchia, der Kirchenstaat wiederhergestellt, auch
Tolfa, Subiaco usw. Volksaufstände zugunsten wurden dem Papste Pontecorvo und Benevent,
der Wiederherstellung des kirchlichen Regiments die Marken Ancona, Macerata und Fermo und
ausgebrochen. Am 30. Sept. mußte die franz5= die Legationen Ravenna und Bologna wieder ein-
sische Besatzung Rom und den Kirchenstaat räumen. geräumt. Von Ferrara fiel der links des Po ge-
Osterreicher, Russen und Neapolitaner rückten ein, legene Teil an Osterreich, welch letzteres auch das
und im Juni 1800 ward dem am 14. März des= Recht bekam, in die Kastelle Ferrara und Comachhio
selben Jahres in Venedig gewählten neuen Papst Besatzungen zu legen.
Pius VII. (1800/23) die weltliche Herrschasft Das Staatswesen wurde durch ein motu pro-
zurückgegeben. Die Restauration der alten Ord= prio vom 6. Juli 1816 geregelt, das beachtens-
nungen geschah mit Schonung und Mäßigung. werte Mitwirkungsrechte der Untertanen enthielt.
Nach Abschluß des Konkordats mit Frankreich Trotzdem nun die Ausführung dieses motu pro-
(15. Juli 1801) erzielte der Papst auch die Rück= prio, wenigstens solange Kardinal Consalvi das
gabe von Ancona und Pesaro (1802). Steuerruder des Staates in Händen hatte, in
Mit der Gründung des französischen Kaiser= gemäßigt freiheitlichem Sinn geleitet wurde, ge-
reichs, und besonders nachdem Napoleon auch die lang es dem von Neapel vordringenden Geheim-
italienische Königskrone sich aufs Haupt gesetzt bund der Carbonari (s. I1 591) noch wäh-
hatte (1805), erwuchsen aus Bonapartes Un- rend der Regierung Pius' VII., überall, selbst in
ersättlichkeit neue Gefahren. Bereits im Okt. 1805 der Stadt Rom, Boden zu gewinnen. Auch die
wurde Ancona, im Juni 1806 Civitavecchia, weiteren Reformmaßregeln Leos XII. (1823/29),
Urbino und Macerata von den Franzosen wieder Pius' VIII. (1829/30) und Gregors XVI. (1830
besetzt. Am 2. Febr. 1808 erfolgte die Wieder= bis 1846) haben die Verschwörer nicht entwaffnet.
besetzung Roms, darauf die Einverleibung der Schon nach Pius' VIII. Tod und während der
päpstlichen Truppen in die französische Armee, am ersten Regierungstage Gregors brachen, nament-
2. April desselben Jahres die Vereinigung von lich in Bologna und in der Romagna, aber auch
Ancona, Urbino, Macerata und Camerino mit in Umbrien, Volksaufstände aus. Osterreichische
dem Königreich Italien, endlich am 17. Mai und französische Truppen, welche die Landschaften
1809 das von Schönbrunn datierte Dekret, welches zum Teil auf Jahre hin besetzt hielten, haben die-
das Aufhören der weltlichen Herrschaft des Papstes selben unterdrückt. Nach dem Abzug der fremden
verfügte. Diesem selbst wurde Unabhängigkeit der Truppen aber brach die Gärung bald hier bald
Amtsführung, der Besitz der päpstlichen Paläste dort wieder hervor. Durch verschärfte Repressiv-
und eine Zivilliste von 2 Mill. Franken zugesichert. maßregeln, Verhaftungen, Verurteilungen, Hin-