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Nach Ausbruch des deutsch-französischen Krieges
1870 wurde die französische Besatzung abermals
aus Rom zurückgezogen. Viktor Emanuel ver-
langte, sofort nachdem Napoleon III. am 2. Sept.
bei Sedan mit seiner Armee gefangen genommen
und damit der zweifelhafte Wächter des Patri-
moniums Petri beseitigt war, vom Papfste selbst
die Einwilligung zu einer Okkupation des
Kirchenstaates: dieselbe sei für die Sicherheit Jla-
liens und des Papstes nötig. Auf die ablehnende
Antwort vom 11. Sept. gab der König an dem-
selben Tage seinen schon an der Grenze zusam-
mengezogenen Truppen Befehl zum Einmarsch.
Pius IX. befahl seinen Verteidigern, sich zurück-
zuziehen. Am 19. Sept. erschienen die Italiener
unter General Cadorna vor den Toren Roms.
Der päpstliche General Kanzler hatte die Weisung,
sobald Bresche in die Mauer gelegt sei, die Stadt
zu übergeben. Jenes trat am 20. Sept. bei der
Porta Pia ein. Die Italiener hielten noch an
demselben Tage ihren Einzug. Am 2. Okt. ver-
anstalteten sie das übliche Plebiszit. Es wurden
133 681 Stimmen für, 1507 gegen die Annexion
gezählt. König Viktor Emanuel sprach dann am
9. Okt. 1870 die Annexion des Kirchenstaates
aus. Rom wurde die Hauptstadt des Königreichs
Italien. Die Stellung des Papstes, wie sie ihm
von den nunmehrigen Besitzern der Ewigen Stadt
und des Kirchenstaates zugedacht worden, ist aus
dem am 13. Mai 18711 erlassenen sog. „Garantie-
gesetz“ zu ersehen (s. d. Art. Papst).
6. Statistische ÜUbersicht. — Das Staats-
gebiet in seinem Umfange vor den Ereignissen
von 1859/60 umfaßte 41407 (41 187) akm oder
752 (748) Quadratmeilen; nach 1860: 12 803
(11 790) qkm oder 214,4 (214,12) Quadrat-
meilen. Die Einwohnerzahl betrug 1816:
2354 721; 1853:3124 668; 1857:3 126 263;
1869: 1729 859.
Die einheitliche Neuordnung des gesamten
Staatswesens geschah durch motu proprio vom
6. Juli 1816, eine Art Grundgesetz. Das ge-
samte Staatsgebiet ward einschließlich Roms in
21 Provinzen (Delegationen) geteilt. Vier der-
selben, Bologna, Ferrara, Ravenna und Forli,
behielten den Namen Legationen mit einem Kar-
dinal an der Spitze. Eine jede Delegation zerfiel
in Distrikte (zusammen 45; 177 governi), der
Distrikt in Gemeinden (1219). Dem Legaten
oder Delegaten wurde eine aus der Bevölkerung
genommene Kongregation mit beratendem Votum
beigegeben. Die Justiz wurde in der Hauptsache
von der Verwaltung getrennt. Die kirchliche Ge-
richtsbarkeit blieb nach kanonischen Grundsätzen
gewahrt; die Kommunen erhielten eine Verwal-
tungsorganisation, die manche moderne Freiheiten
enthielt. Orden: der Christusorden seit 1318,
Gregoriusorden seit 1831, Piusorden seit 1847,
Sylvesterorden seit 1841.
Der Kirchenstaat umfaßte außer dem Bistum
Kirchenstaat.
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und 4 Erzdiözesen mit 19 Suffraganen. Univer-
sitäten gab es in Rom, Bologna, Perugia, Fer-
rara, Macerata und Camerino. Die Sapienza
in Rom hatte 1809: 34 Professoren, 1859: 46
ordentliche Professoren und 15 Dozenten; Bologna
1859: 38 ordentliche Professoren. Studenten der
Sapienza im Jahre 1856/57: 373 Juristen,
205 Mediziner, 167 Philosophen; in Bologna
im gleichen Jahre: 148 Juristen, 257 Mediziner,
64 Philosophen. Theologen an allen Anstalten
Roms (einschließlich der Ausländer) zusammen
über 900.
Der Ackerbau in dem 2000 qkm umfassenden
agro romano war wenig ergiebig. Die Zahl der
Besitzer betrug im Jahre 1660; 188, davon 7
mit je über 5000 ha und einer Gesamtfläche von
89074 ha; im Jahre 1803: 173, davon 7 mit
je über 5000 ha und einer Gesamtfläche (fast die
Hälfte des agro) von 85 382 ha, ferner 14 Be-
sitzungen von je 2000 bis 5000 ha und einer
Gesamtfläche von 39 050 ha. Etwa 30% des
agro waren Kirchengut und ebensoviel Majo-
rate. — Die Seidenausfuhr betrug 1850/55 zu-
sammen 2150 925 Pfund; 1856:500 000 Pfund.
— Die Gesamtausfuhr betrug 1857: 408 475
Scudi; 1859: 380 570 Scudi. — Die Handels-
marine zählte 1837: 1186 Schiffe, 20 504,10
Registertonnen, 6867 Seeleute; 1846: 1323
Schiffe, 26 280,59 R.-T., 8086 Seeleute; 1851:
1667 Schiffe, 30 983,20 R.-T., 9110 Seeleute;
1854: 1893 Schiffe, 31 637,90 R.-T., 9711
Seeleute. — Die Posteinnahmen betrugen 1830:
205 338 Scudi; 1858: 361 654 Seadi. — Der
Scudo (etwas mehr als 4 Mark oder 5 Franken)
hatte 10 Paoli oder 100 Bajochhi.
Das Budget belief sich 1815 auf rund 7
Mill. Scudi in Einnahme und Ausgabe; 1856:
13624 807 Scudi Einnahme, 14302 692 Scudi
Ausgabe; 1858: 14 662 087 Scudi Einnahme,
14 520 021 Scudi Ausgabe; 1859:147523365
Scudi Einnahme, 14 568 858 Seudi Ausgabe.
Das Defizit betrug 1838: 834,000 Scudi;
1840: 596 886 Scudi; Ende 1847: 16 813 875
Scudi. Die Staatsschuld erreichte 1815 eine
Höhe von 33000000 Seudi; 1846: 38000000
Scudi; 1857: 76998 510 Scudi; 1858:
65 350 000 Seaudi; 1859: 71802 561 Seudi.
Ihre Verzinsung beanspruchte 1838: 2680 000
Scudi; 1840. 2817000 Scudi; 1859:4547750
Scudi. — Die Zivilliste des Papstes vor 1859
betrug 600 000 Seudi, wovon der Unterhalt der
Museen usw., der 11 Nuntiaturen (s. d. Art. Nun-
tien usw.) mit 96 900 Scudi und der geistlichen
Beamten, des Ministeriums des Außern u. a. mit
100 500 Seudi bestritten wurde.
Die Zahl der Soldaten belief sich im Juni
1869 auf 15670.— Die Landesfarbe war Silber
und Gold. Das päpstliche Wappen ist ein runder
Schild, welcher, gewöhnlich geteilt, das Familien-
wappen des Papstes und das Wappen des Ordens,
Rom 3 exemte Erzdiözesen, 38 exemte Diözesen! wenn er einem solchen angehört, trägt. Über dem