Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

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zahlreiche Kapitularien der fränkischen Könige aus 
dem 8. Jahrh. Zeugnis geben, ist diese Auffassung 
berechtigt. Die ältesten kirchlichen Rechtsquellen 
und die kanonistische Literatur des Mittelalters 
lassen die prinzipiellen Fragen der kirchlichen Be- 
steuerung fast ganz unberührt. Sie setzen das 
kirchliche Besteuerungsrecht als gegeben voraus. 
Von den mittelalterlichen Päpsten wurde es sehr 
ausgiebig und unter Abweisung jedweder Ein- 
mischung des Staates, der Bischöfe und Abte 
unbeschränkt und selbständig verwendet. Auch die 
Bischöfe und Abte erhoben in ihren Sprengeln je 
nach Bedarf gewisse Steuern. Die päpstliche Be- 
steuerung erfolgte in unregelmäßigen Zeitabschnitten 
entsprechend einem aufgetretenen bestimmten wirk- 
lichen oder vermeintlichen Bedürfnis kirchlicher, kir- 
chenpolitischer und politischer Art, ergriff direkt die 
Erträgnisse des Kirchengutes und wurde mit kirch- 
lichen Strafen (Exkommunikation und Interdikt) 
und staatlichem Zwange durchgeführt. Ihren 
Höbepunkt erreichte die päpstliche Steuerentwick- 
lung unter Bonifaz VIII. (1294/1303). Der 
Überspannung der päpstlichen Macht folgte eine 
Reaktion seitens der Staaten, die zuerst zu staat- 
lichen Verboten päpstlicher Steuern führte, dann 
bis zur gewaltsamen Hinwegnahme kirchlicher 
Güter vom 16. bis zum 19. Jahrh. ausartete 
und schließlich sich auf dem Prinzip der Kirchen- 
hoheit des Staates zu einem in den einzelnen 
Ländern verschiedenen, die kirchliche Steuerfreiheit 
teils mehr oder minder einengenden, teils ganz 
aufhebenden staatlichen Aussichtsrechte ausgebildet 
hat. Gefördert wurde diese Entwicklung seit der 
sog. Reformation durch die innige Verbindung 
der evangelischen Kirche mit dem Staate, durch 
die Ausbildung des Landeskirchentums und die 
damit gegebene Verschmelzung der Kirchenge- 
walt und Staatsgewalt, der Kirchenbehörden 
und Staatsbehörden, der Kirchenverwaltung und 
Staatsverwaltung. Bereits die evangelischen Kir- 
chenordnungen aus der ersten Hälfte und der 
Mitte des 16. Jahrh. weisen die Anordnung von 
staatlich-kirchlichen Steuern auf, die sich gar sehr 
von den katholischen Kirchensteuern unterschieden. 
Während nämlich die Steuer in der katholischen 
Kirche unabhängig vom Staate und von der staat- 
lichen Organisation auferlegt wurde und größten- 
teils auf der Geistlichkeit, auf den geistlichen Gütern 
lastete, ruht sie in der evangelischen Kirche auf 
den Pfarr= und Zivilgemeinden und deren Glie- 
dern, unterliegt einer vorherigen Prüfung der Not- 
wendigkeit, bedarf der Einwilligung der Mehrheit 
der Steuerpflichtigen, ergreift den Erwerb und 
den Besitz, zeigt staatliche Ansetzung bald einer 
Minimal= bald einer Maximalgrenze und genießt 
die staatliche Hilse in der Beitreibung (vgl. Freyer 
im Archiv 
408/412) 
Die örtliche, gemeindliche Kirchensteuer, die 
auf katholischer Seite früher höchstens als subsi- 
diäre Kirchenbaulast der Gemeindemitglieder vor- 
Kirchensteuer. 
f. kath. Kirchenrecht LXXXVIII1907](C 
  
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kam, und die angeführten, mit ihr in die Erschei- 
nung getretenen rechtlichen Gesichtspunkte sind 
vorbildlich geworden für die Ausgestaltung des 
neuen kirchlichen Steuerrechts, wie es 
sich in den deutschen Staaten während der zweiten 
Hälfte des 19. Jahrh. sowohl bei der evangelischen 
als auch bei der katholischen Kirche erschlossen hat. 
Eine Neureglung der katholischen Kirchensteuer 
war notwendig geworden infolge des großen Ent- 
zuges kirchlichen Einkommens durch die Säkulari- 
sation des Jahres 1803 und infolge der Ver- 
mehrung der kirchlichen Bedürfnisse, namentlich 
in jungen, rasch emporgekommenen Großstädten. 
Bei den Protestanten hatten die Kirchensteuern 
schon früher wegen des geringen Stiftungsver- 
mögens und der synodalen Einrichtungen einen 
großen Umfang genommen. Als Fundament der 
modernen Kirchensteuer dient die den Kirchen in 
allen bedeutenderen Staaten des Deutschen Reichs 
zuerkannte Eigenschaft öffentlich-rechtlicher Körper- 
schaften und die Organisation von kirchlichen 
Gemeinden. Beschränkt ist das kirchliche Steuer- 
rechtinfolgeder Ausübungdder Kirchenhoheit, näher- 
hin bald durch die Forderung staatlicher Geneh- 
migung der einzelnen anzuordnenden Kirchensteuern 
und anderweitiger Mitwirkung staatlicher oder 
zivilgemeindlicher Organe, bald durch die in Rück- 
sicht auf die Konkurrenz mit den Staatssteuern 
und zur Verhütung'einer Überbelastung der Steuer- 
pflichtigen angesetzten Maximalhöhe. Eine große 
Erleichterung des kirchlichen Steuerwesens hin- 
gegen wurde geschaffen durch die Zugrundelegung 
der Staats- oder Kommnnalsteuerrolle für die 
Berechnung des kirchlichen Steuersoll sowie durch 
die Beitreibung der Steuern mittels staatlicher 
Behörden. 
Das geltende Kirchensteuerrecht im jetzigen 
Deutschen Reiche nahm seinen Anfang mit den 
Napoleonischen Fabrikdekreten vom 
30. Dez. 1809 und 14./24. Febr. 1810, welch 
letzteres in Art. 1 sagt: „Wenn in einer Pfarrei 
weder die Fabrikeinkünfte noch in deren Ermang- 
lung die Gemeinderevenuen hinreichend sind, 
um die alljährlichen Ausgaben für den Gottes- 
dienst zu bestreiten, so kann eine Umlage er- 
hoben werden.“ Hier ist eine subsidiäre Deckungs- 
pflicht der politischen Gemeinde statuiert. Vor- 
aussetzung derselben ist die Unzulänglichkeit der 
Fabrikeinkünfte. Diese gemeindliche Leistungs- 
pflicht ist aber bloß eine beschränkte, sie besteht 
nur im Rahmen verfügbarer Renten der Gemeinde. 
Wo solche fehlen, treten die Kirchenumlagen ein, 
welche auf die Religionsgenossen der betreffenden 
Pfarrei auszuschreiben sind. Konfessionszugehörig- 
keit und Domizil in der Pfarrei, also Kirchen- 
gemeindemitgliedschaft begründet die Umlagepflicht 
hr. Meurer, Bayr. Kirchenvermögensrecht 1 
[18991 320 ff). Die subsidiäre Heranziehung der 
politischen Gemeinde findet noch heute in Elsaß- 
Lothringen (ogl. hierzu Verordnung vom 
20. Sept. 1873), außerhalb des Deutschen Reichs
	        
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