Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

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ordnung § 486, österreichische Strafprozeßordnung 
6 404) soll niemand mehr von der Beerdigung auf 
den öffentlichen Friedhöfen ausgeschlossen werden, 
während die ältere Kriminalgesetzgebung in be- 
stimmten Fällen den Verbrechern (wohl auch den 
Selbstmördern) das ehrliche Begräbnis auf einem 
Friedhofe versagte. Es ist eine tendenziöse und 
gänzlich ungerechtfertigte Behauptung, wenn den 
Kirchengesetzen, welche jenen, die im Leben mit 
der Kirche keine Gemeinschaft hatten, sowohl die 
Beerdigung auf einem geweihten Grabplatze als 
die Mitwirkung der Kirche bei der Feier des Be- 
gräbnisses versagen, die Bedeutung beigelegt wird, 
daß die Kirche auch die Gewährung eines anstän- 
digen Begräbnisses verweigert wissen wolle, wie 
ein solches den Forderungen der Humanität bzw. 
den Religionsbegriffen des Verstorbenen entspricht. 
Es ist in solchen Fällen den Forderungen der 
Kirche völlig genügt, wenn es ihr ermöglicht wird, 
die Beerdigung an geweihter Stätte, das kirchliche 
Grabgeleite und die Gewährung der kirchlichen 
Fürbitte (suffragia ecclesiae) für den Verstor- 
benen zu verweigern. Wo die Kirchhöfe nicht mehr 
der freien Verfügung der kirchlichen Organe über- 
lassen sind, ist aber letzteren häufig durch die neuere 
staatliche Gesetzgebung verwehrt worden, die Be- 
erdigung von Leichen auf einem abgesonderten, 
ungeweihten Grabplatze des Friedhofes zu ver- 
fügen, so daß seitens der Kirche nur mehr die 
kirchliche Mitwirkung beim Grabgeleite und die 
Gewährung der kirchlichen Fürbitte verweigert 
werden kann. 
Die Kirchengesetze versagen ein kirchliches 
Begräbnis 1) allen jenen, welche im Leben keine 
Gemeinschaft mit der Kirche gehabt, der Kirche 
nicht angehört haben (darum den Ungetauften, 
auch den ungetauften Kindern christlicher Eltern), 
sowie allen Kirchengliedern, welche der aktiven 
kirchlichen Rechtsfähigkeit, der aus der Kirchen- 
gemeinschaft entspringenden Rechte verlustig ge- 
worden sind (excommnnicati vitandi, d. h. so- 
wohl die öffentlich und namentlich Exkommuni- 
zierten als auch jene, welche wegen notorischer 
tätlicher Beleidigung eines Klerikers sich im Banne 
befinden), ferner den persönlich und namentlich 
Interdizierten, den Apostaten und den ihnen recht- 
lich gleichstehenden notorischen Religionsverächtern, 
endlich offenkundigen Häretikern und Schisma- 
tikern; 2) allen jenen Kirchengliedern, welche nach 
besonderer und ausdrücklicher Vorschrift des kirch- 
lichen Gesetzes wegen gröblicher, Argernis er- 
regender Verletzung der kirchlichen Rechtsordnung, 
wegen eines von ihnen begangenen Deliktes die 
Kirchenstrafe der Entziehung des kirchlichen Be- 
gräbnisses treffen soll, und zwar: den Selbst- 
mördern, wenn die Tat nicht etwa im Zustande 
der Geistesstörung verübt wurde, es wäre denn, 
daß solche zurechnungsfähige Selbstmörder noch 
vor ihrem Tode Zeichen der Reue gegeben hätten; 
öffentlichen Sündern, welchen ohne Zeichen der 
Reue verstorben sind (z. B. Personen, welche in 
  
Kirchhöfe. 272 
einem ehebrecherischen Verhältnisse oder Konkubi- 
nate gelebt haben); notorischen Sakramentsver- 
ächtern, wenn sie ohne Zeichen der Reue gestorben 
sind, insbesondere aber, wenn sie den geistlichen 
Beistand vor ihrem Tode zurückgewiesen haben, 
trotzdem sie sich der bestehenden Todesgefahr be- 
wußt waren; denjenigen, welche die Verbrennung 
ihres Leichnams angeordnet haben; denjenigen, 
welche im Duell, bei einem Turnier oder Stier- 
gefecht auf dem Kampfplatze geblieben sind; Mör- 
dern, Räubern und andern notorischen Verbrechern, 
wenn sie bei ihrer Untat in actu evidenter eri- 
minoso vom Tode ereilt wurden und ohne Zei- 
chen der Reue gestorben sind; notorischen Wuche- 
rern, ferner jenen, die Kirchen zerstörten oder ihres 
Gutes beraubten, wenn sie nicht Genugtuung ge- 
leistet oder gesichert haben; endlich Ordensper- 
sonen, welche das feierliche Gelübde der Armut 
abgelegt haben, wenn sie zur Zeit ihres Todes 
unerlaubterweise im Besitze eines Vermögens für 
ihre Sonderzwecke waren. 
Die Bestimmungen des kanonischen Rechts über 
die Versagung des kirchlichen Begräbnisses waren 
auch für die älteren Kirchenordnungen, welche in 
den deutschen protestantischen Landeskirchen er- 
lassen wurden, maßgebend; nach dem gegenwär- 
tigen Brauche wird jedoch das kirchliche Begräb- 
nis, d. h. das kirchliche Grabgeleite (während 
früher wohl auch die Beerdigung auf dem Fried- 
hofe nicht gestattet wurde), regelmäßig nur mehr 
den zurechnungsfähigen Selbstmördern verweigert. 
Der dogmatische Standpunkt des Protestantismus 
läßt hier nicht die Auffassung zu, daß die Ver- 
weigerung des kirchlichen Begräbnisses eine Ver- 
sagung der kirchlichen Fürbitte, eine Strafe gegen 
den Verstorbenen bedeute. Die Versagung der 
kirchlichen Ehren hat hier nur die Bedeutung des 
„Zeugnisses“" der Kirche „gegen die schwere Schuld 
des bewußt vollzogenen Selbstmordes“ und soll 
„das sittliche Urteil der Gemeinde gegen Argernis 
sichern“ (ovgl. den Erlaß des preuß. Oberkirchen- 
rats vom 18. Juli 1884, im Archiv für kath. 
Kirchenrecht LII 464 ff). 
Obwohl Personen, welche in einem nichtkatho- 
lischen Bekenntnisse geboren sind, nicht als Ketzer 
im Sinne des kirchlichen Strafrechts angesehen 
werden können, so darf Nichtkatholiken nach den 
Grundsätzen des kanonischen Rechts dennoch das 
kirchliche Begräbnis nicht zugestanden werden, 
weil die Kirchengesetze nicht bloß jene, welche sich 
der formellen Häresie schuldig gemacht haben, son- 
dern alle offenkundigen Häretiker vom kirchlichen 
Begräbnisse ausschließen. Die Gewährung des 
kirchlichen Grabgeleites und der suffragia eccle- 
siae müßte jedenfalls als eine unerlaubte com- 
municatio in sacris angesehen werden. Die 
Beerdigung von Nichtkatholiken in Kirchengrüften 
oder auf den geweihten Grabplätzen der Kirchhöfe 
ist mit dem kanonischen Recht wohl nicht im Ein- 
klang; dieselbe wird jedoch von der Kirche, wo# 
dies den Forderungen des weltlichen Rechts und 
 
	        
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