Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

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X. 3, 1), und auf eine bestimmte, zumeist auch 
staatlich anerkannte Skala von Titulaturen. 
2. Das privilegium canonis, gegen- 
über den damals oft vorkommenden Angriffen auf 
Kleriker nach dem Vorgange der Synoden von 
Clermont 1130 und Reims 1131 auf dem all- 
gemeinen Laterankonzil im Jahre 1139 durch can. 
15 (c. 29, C. XVII, q. 4) erteilt und zuletzt in 
der Zensurenbulle Pius' IX. Apostolicae Sedis 
II, 2 vom 12. Okt. 1869 normiert, schützt durch 
Androhung der ipso facto eintretenden excom- 
municatio simpliciter papae reservata die 
Kleriker und Ordensleute (auch die Nonnen, No- 
vizen und gemeinsam lebenden und den gemein- 
samen Habit tragenden Tertiarier) gegen jede 
dolose (suadente diabolo) injuriöse Gewalt- 
tätigkeit. Nach einer Verordnung Pius' IX. vom 
20. Sept. 1860 (Acta S. Sedis III, 433, 443 ff) 
sollen sich jedoch die Kleriker der niederen Weihen 
und einfache Tonsuristen dieses sowie der übrigen 
kirchlichen privilegia clericorum nur unter den 
vom Konzil von Trient (Sess. XXIII de ref. 
. 6) für den Genuß des privilegium fori (siehe 
unten) bestimmten Voraussetzungen erfreuen. Das 
Privileg zessiert für degradierte Kleriker (c. 2 im 
Vlio 5, 9), ferner für solche, die in weltlicher Klei- 
dung sich an schweren Vergehen beteiligen oder 
trotz dreimaliger bischöflicher Vermahnung eine mit 
dem Stande unvereinbarliche Lebensweise unter 
gleichzeitiger Ablegung der geistlichen Tracht führen 
(c. 25, X. 5, Auch von den Staaten wird 
mehr oder minder diese persönliche Unverletzlichkeit 
der Geistlichen gewahrt. So im Strafgesetzbuch 
für das Deutsche Reich. Nach § 167 werden Real- 
injurien und Drohungen gegen amtierende Reli- 
gionsdiener einer im Staate bestehenden Religions- 
gesellschaft mit Gefängnis bis zu drei Jahren be- 
straft; nach § 196 haben bei Beleidigungen, die 
während der Ausübung ihres Berufes oder in Be- 
ziehung auf ihren Beruf gegen Geistliche gerichtet 
werden, außer den unmittelbar Beteiligten auch 
deren amtliche Vorgesetzte das Recht, den Straf- 
antrag zu stellen. — Nach § 154 des österreichi- 
schen Strafgesetzes vom 27. Mai 1852 bildet die 
vorsätzliche körperliche Verletzung eines Geistlichen, 
Klerus. 
  
während er in der Ausübung seines Berufes be- 
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höheren geistlichen Instanzen und befreit ihn von 
der weltlichen Zivil= und Strafgerichtsbarkeit. 
Dadurch soll nach dem Willen der Kirche ver- 
hütet werden, daß das Ansehen des geistlichen 
Standes erschüttert und seine kirchliche Wirksam- 
keit geschädigt wird, was zu befürchten steht, wenn 
die Geistlichen gleich den Laien, deren Lehrer und 
Priester sie sind, gerichtet werden. Man wird 
angesichts der heutigen Militärgerichtsbarkeit, die 
ebenfalls einen privilegierten Gerichtsstand be- 
deutet, die Forderung der Kirche nicht exorbitant 
finden können. Für die Kleriker der niederen 
Weihen wurde der Genuß des in Rede stehenden 
Vorrechtes vom Konzil von Trient (Sess. XXIII 
de ref. c. 6) eingeschränkt bzw. an Bedingungen 
geknüpft. Sie sollen das privilegium fori nur 
dann genießen, wenn sie ein kirchliches Benefizium 
besitzen oder die Tonsur und die geistliche Klei- 
dung tragen und entweder an einer Kirche im 
Auftrage des Bischofs wirken oder an einer bischöf- 
lichen Lehranstalt oder an einer Universität mit 
bischöflicher Erlaubnis zu den höheren Weihen 
sich vorbereiten. Mehrfach haben die Päpste in 
neueren Konkordaten auf das Privileg verzichtet, 
allerdings nicht ohne gleichzeitig zu verlangen, daß 
man von einer schwebenden gerichtlichen Unter- 
suchung gegen Geistliche den Bischöfen Anzeige 
erstatte, damit letztere auch ihrerseits Maßnahmen 
treffen können (bayrisches Konkordat Art. 12, 
litt, c [jedoch nur für Zivilstreitigkeiten); öster- 
reich. Konkordat Art. 13, 14; württembergisches 
und badisches Konkordat Art. 5; vgl. Schneider, 
Die partikulären Kirchenrechtsquellen [Regens- 
burg 1898147, 156, 172). Solchem Verlangen 
der Kirche kommen auch die Gesetze verschiedener 
Staaten freiwillig entgegen. So besteht für das 
weltliche Gericht laut Verordnung des preußischen 
Justizministers vom 12. Juni 1873 bei Unter- 
suchungen bzw. Anklagen gegen einen Geistlichen 
die Pflicht der Anzeige an den zuständigen Bischof. 
In Bayern sind zwar nach §§ 66, 69 und 70 
der zweiten Beilage der Verfassungsurkunde vom 
26. Mai 1818 alle Geistlichen in bürgerlichen 
Personalklagesachen, in allen aus bürgerlichen 
Kontrakten hervorgehenden Streitsachen u. dal. 
einzig den weltlichen Gerichten unterstellt; nur 
griffen ist oder wegen derselben, das Verbrechen haben diese jederzeit von dem Erfolge der Unter- 
der schweren körperlichen Verletzung und ist mit suchung gegen Geistliche deren zuständige geistliche 
Kerker von sechs Monaten bis zu einem Jahre, bei 
erschwerenden Umständen bis zu fünf Jahren zu 
bestrafen. Und nach § 303 gilt die Beleidigung 
eines Religionsdieners einer im Staate gesetzlich 
anerkannten Kirche oder Religionsgesellschaft bei 
Ausübung gottesdienstlicher Verrichtungen, in- 
sofern diese Handlung nicht das Verbrechen der 
Religionsstörung (ebd. 8122) bildet, als Vergehen 
und ist mit strengem Arrest von einem bis zu 
sechs Monaten zu bestrafen. 
3. Das privilegium fori gewährt, seit 
altchristlicher Zeit bestehend, dem Klerus den 
eignen Gerichtsstand vor dem Bischof und den 
Behörde in Kenntnis zu setzen. In Osterreich hat 
nach § 29 des Gesetzes vom 7. Mai 1874 das 
weltliche Gericht, wenn von ihm ein katholischer 
Geistlicher wegen eines Verbrechens, Vergehens 
oder einer Ubertretung in Untersuchung gezogen 
wird, davon dessen zuständigen kirchlichen Obern 
zu verständigen und demselben sodann auch das 
gefällte Urteil samt den Entscheidungsgründen 
mitzuteilen. Überdies sind bei Verhaftung und 
Festhaltung katholischer Geistlicher jene Rücksichten 
zu beobachten, welche die ihrem Stande gebührende 
Achtung erheischt. Das letztere verfügte auch der 
preußische Justizminister am 25. Aug. 1879;
	        
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