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I. Kosonialgeschichte. Die ersten Kolonial-
mächte waren die Phönizier und deren Tochter-
stadt Karthago. Die gesamten Inseln des Mittel-
ländischen Meeres wurden teils von ihnen erobert,
teils mit Faktoreien besetzt, ebenso wie eine Reihe
Orte in Italien, Kleinasien, Spanien, Frankreich,
Nordafrika und sogar in Westafrika. Die Macht
der Phönizier wurde durch die Griechen gebrochen,
welche dann selbst nicht wie die Phönizier feste
Handelsplätze oder Faktoreien anlegten, sondern
durch Aussendung eines Teiles der Bürger einer
Stadt neue Ansiedlungen und Tochterstädte bil-
deten, die teils Beziehungen zur Mutterstadt fest-
hielten, teils auch selbständige Stadt= und Klein-
staatgebilde wurden. Später wurde Rom Nach-
folger der Karthager und der Griechen, indem es
allmählich die gesamten Inseln und Küsten des
Mittelländischen Meeres, darunter auch die kartha-
gischen und griechischen Kolonien, zu einem Welt-
reich vereinigte, womit diese ihren kolonialen
Charakter verloren. Rom selbst gründete dann
in den eroberten Provinzen rein argrarische
Kolonien, indem es verarmte Bürger und später
ausgediente Soldaten in die Grenzgebiete sandte
und ihnen dort Landbesitz überwies.
Im Mittelalter ist im großen und ganzen die
innere Kolonisation vorherrschend, indem wie in
Rom deutsche Fürsten in ihre im Osten Deutsch-
lands eroberten Besitzungen deutsche Kolonisten
beriefen. Doch sind auch Kolonien nach Art der
phönizischen und karthagischen seitens der Hansa
und der Handelsstädte Italiens, Genua, Vene-
dig u. a., zu verzeichnen, indem die Hansa und
die Handelsstädte Italiens Faktoreien in fremden
Ländern anlegten. Ferner wurden seitens abend-
ländischer Fürsten und Ritterorden bei Gelegen-
heit der Kreuzzüge in Kleinasien, Syrien, auf
den Inseln des Mittelländischen Meeres Kolonien
erworben, die in kurzer Zeit sämtlich an die Türken
wieder verloren gingen. Weiter legte der Orden
der Deutschritter in Preußen, der Schwertbrüder
in Livland Kolonien an, die sich lange Zeit er-
hielten, später aber an die Polen bzw. Russen
abgetreten werden mußten.
Mit der Entdeckung Amerikas und der Ent-
deckung des Seeweges nach Ostindien begann
die Epoche der Kolonialgründungen, welche
dem heutigen Kolonialwesen zugrunde liegt. Spa-
nien und Portugal, am Ende des 15. Jahrh, die
Hauptseemächte, eröffneten den Reigen. Sie folgten
den Spuren ihrer Seefahrer. Die ausbrechenden gegangen.
Kolonien ufw.
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dere Plätze in Nordafrika besetzt und eine Reihe
von Kolonien an der Westküste Afrikas gegründet
hatten, besetzten Anfang des 16. Jahrh. verschie-
dene Plätze an der Ostküste Afrikas, die Insel
Ormus am Eingange des Persischen Meerbusens
und eine Reihe von Plätzen in Ostindien und
China, u. a. Goa, Kalikut, Diu, Macao, und
sicherten sich so den Besitz des Handels nach Ost-
indien, China und Japan. Im Jahre 1531 legten
die Portugiesen San Vincente als erste Ansied-
lung in Brasilien an, welches sie dann nach und
nach ganz besetzten. Die ostindischen Besitzungen
verlor Portugal bis auf geringe Reste Anfang des
17. Jahrh. an die Niederlande, welche auch den
nördlichen Teil von Brasilien erobert hatten, aber
später an Portugal zurückverkauften. Im Jahre
1822 machte sich Brasilien durch Erklärung vom
7. Sept. selbständig.
Die Spanier, denen durch den Vertrag von
Tordesillas Amerika zugefallen war, haben nach
1519 durch Fernando Cortez Mexiko, 1526/31
durch Pizarro Peru und 1540 durch Valdivia
Chile in Besitz genommen und damit den Grund
zu der Eroberung ganz Süd= und Mittelamerikas
mit Ausnahme von Brasilien und Guayana sowie
von Britisch-Honduras gelegt. An der Westküste
Nordamerikas wurde das heutige Kalifornien, an
der Ostküste Florida besetzt, ebenso der größte Teil
Westindiens. Im Jahre 1569 wurden die Phil-
ippinen, 1668 die Marianen besetzt, und als
Deutschland im Jahre 1885 auf die Karolinen-
und Palau-Inseln Hand legen wollte, wurde
von Spanien Anspruch auf diese Inseln erhoben,
welche dann durch einen Schiedsspruch des Papstes
Leo XIII. Spanien zugeteilt wurden. Außerdem
hat Spanien noch in Afrika eine Reihe von Be-
sitzungen sich erworben, so die Kanarischen Inseln
von Portugal im Jahre 1478, Fernando Poo
und Annobom im Jahre 1778 (von Portugal
abgetreten), die Inseln Corisco, Groß= und
Klein-Elobey mit der gegenüberliegenden Küste
des Festlandes Rio Muni, endlich die den Ka-
naren gegenüberliegende Küste Rio de Oro und
die im Norden an der Küste Marokkos liegenden
fünf Presidios (Küstenforts), von denen die bedeu-
tendste Ceuta 1640 von den Portugiesen bei Tren-
nung beider Reiche abgetreten, Melilla 1497 den
Mauren abgenommen wurde. Dieses riesenhafte
Kolonialreich ist im Laufe des 19. Jahrh. bis auf
die afrikanischen Besitzungen vollständig verloren
Die süd= und mittelamerikanischen
Zwistigkeiten suchte Papst Alexander VI. zu ver- 1 Staaten machten sich um 1820 selbständig. Florida
hindern, indem er den Portugiesen im Jahre 1493
die Länder östlich einer Linie zuwies, welche
100 spanische Meilen westlich der Azoren von Pol
wurde im Frieden von Fontainebleau (1763) an
England abgetreten, während Spanien von Frank-
reich (1763) Louisiana erhielt. Letzteres wurde
zu Pol lief, während die Spanier die Länder west- 1800 wieder an Frankreich zurückgegeben. Eng-
lich dieser Linie erhalten sollten. 1494 (im Ver= land gab Florida im Frieden von Versailles (1783)
trage von Tordesillas) wurde die Linie auf 370
spanische Meilen westlich der Azoren verlegt.
Die Portugiesen, welche schon im Laufe
des 15. Jahrh. Ceuta, Tanger und mehrere an-
an Spanien zurück, das es 1819 für 5 Mill.
Dollar an die Vereinigten Staaten von Amerika
verkaufte. Westindien war im Laufe der Zeit bis
auf Kuba und Porto Rico an andere kolonisierende