Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

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— Vgl. auch die koloniale Lit. beim Art. Deutsches 
Reich (Bd 1, Sp. 1281). IW. Schwarze.)] 
Kolonialrecht ist der Inbegriff des in den 
Kolonien eines Staates geltenden Rechts. Es ist 
ein Gegenbereich zur gesamten mutterländischen 
Rechtsordnung. Wie diese zerfällt es in Staats-, 
Verwaltungs-, Privat-, Straf= und Prozeßrecht. 
Die letzten drei Gebiete kann man zusammenfassen 
als Rechtspflege. Sie ist für Weiße und Farbige 
grundsätzlich verschieden. Weißenrechtspflege und 
Farbigenrechtspflege berühren sich in dem haupt- 
sächlich zum Privatrecht gehörigen Bodenrecht so 
eng, daß hier eine Scheidung schwer durchzuführen 
ist. Darum erscheint es angebracht, das Boden- 
recht als einen eigenen Teil des Kolonialrechts zu 
behandeln. 
I. Kolonialstaatsrecht. Wie in jedem Staats- 
recht das dingliche und das persönliche Substrat 
des Staates, Gebiet und Bevölkerung, obenan 
stehen, so ist auch im Kolonialstaatsrecht von dem 
Gebiet und der Bevölkerung der Kolonien auszu- 
gehen. Ihr Gebiet gehört schon um deswillen an 
den Anfang des Kolonialrechts, weil der Erwerb 
eines Kolonialgebietes durch einen Staat die Ge- 
burt seines Kolonialrechts bedeutet. 
Das Deutsche Reich hat die Gebiete seiner 
Kolonien teils originär teils derivativ erworben, 
d. h. teils durch Okkupation teils durch völker- 
rechtliche Verträge. 
Die Okkupation warentwedereine mittelbareoder 
unmittelbare. Erstere etfolgte durch die Vermittlung 
von Kolonialgesellschaften und Eingebornenhäupt- 
lingen. Es wurden nämlich private Erwerbungen 
jener Kolonialgesellschaften durch Schutzbriefe des 
Deutschen Kaisers und ebenso die Territorien 
dieser Häuptlinge durch sog. Schutzverträge der 
Oberhoheit des Deutschen Reichs unterstellt. Da- 
mit wurden die betreffenden Gebiete zum ersten- 
mal der Souveränität eines völkerrechtlich an- 
erkannten Rechtssubjektes unterworfen. Und hierin 
lag, daß dieses Subjekt, eben das Reich, sie okku- 
pierte. Gleichzeitig übertrug das Reich die neu 
erlangten Hoheitsrechte durch die Schutzbriefe auf 
die Kolonialgesellschaften ganz, durch die Schutz- 
verträge auf die Häuptlinge teilweise, so daß 
Kolonialgesellschaften und Häuptlinge fortan als 
Souveränitätsmittler des Reiches zu ihm in einem 
vasallenartigen Verhältnis standen. Durch mittel- 
bare Okkupation unter Vermittlung von Kolonial- 
gesellschaften sind im Jahre 1885 erworben ein 
großer Teil von Deutsch-Ostafrika und Neuguinea. 
Die den Erwerb vermittelnden Gesellschaften 
waren die Gesellschaft für deutsche Kolonisation, 
die später den Namen Deutsch-ostafrikanische Ge- 
sellschaft erhielt, und die Neuguinea-Kompagnie. 
Mittelbare Okkupation unter Vermittlung von 
Häuptlingen verschaffte dann dem Reich einen 
andern großen Teil von Deutsch-Ostafrika und 
in den Jahren 1884/85 Kamerun, Togo und 
Südwestafrika. Unmittelbar okkupiert sind zu- 
nächst im Jahre 1885 die Marshall-, Brown- 
Kolonialrecht. 
  
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und Providence-Inseln. Als eine unmittelbare 
Okkupation ist auch der im Jahre 1900 vollzogene 
Erwerb von Samoa aufzufassen. 
Derivativ, durch völkerrechtliche Verträge, d. h. 
durch Verträge mit völkerrechtlich anerkannten 
Staaten, hat das Deutsche Reich erworben 1890 
vom Sultan von Sansibar den ostafrikanischen 
Küstenstrich, 1898 von China das Kiautschou- 
gebiet und 1899 von Spanien die Karolinen, 
Palau und Marianen. Wenn auch das Kiautschou- 
gebiet formell nur auf 99 Jahre an das Reich 
verpachtet ist, so liegt hierin doch eine aus poli- 
tischen Gründen verschleierte Abtretung. 
Die mittelbare Okkupation hatte in Gestalt 
der Hoheitsrechte der Kolonialgesellschaften und 
Häuptlinge interne Beschränkungen der kolonialen 
Souveränität des Reiches im Gefolge. Sie ent- 
sprachen ebensowenig der modernen Staatsidee 
wie den Zielen einer fortschrittlichen Kolonial= 
politik. So ist denn das Reich auf ihre Besei- 
tigung bedacht gewesen. Die Hoheitsrechte der 
Kolonialgesellschaften hat es durch Verträge ab- 
gelöst, diejenigen der Häuptlinge, soweit sie nicht 
durch Aufstände verwirkt wurden, zum großen 
Teil einseitig, allerdings mehr stillschweigend, auf- 
gehoben. 
Obwohl somit heute in allen deutschen Kolo- 
nien eine voll entwickelte Staatsgewalt des Reiches 
besteht, so gehören sie doch nicht zum Reichsgebiet 
im Sinne der Reichsverfassung. Damit ist aber 
nicht gesagt, daß sie im Verhältnis zum Reiche 
Ausland sind. Reichsinland sind alle Objekte der 
Souveränität des Reiches, die Kolonien daher 
nicht minder als das Reichsgebiet, wie es die 
Reichsverfassung versteht. Letzteres ist jedoch als 
Hauptsache, die Kolonien sind als Nebensachen, 
als Pertinenzen Gegenstand jener Souveränität. 
Insofern mag man die Kolonien als Reichsneben- 
länder bezeichnen. Da die Kolonien Objekte der 
Reichsgewalt sind, hat das Reich es natürlich auch 
in der Hand, sie sowohl bei seinen völkerrechtlichen 
Verträgen als auch bei seinen staatsrechtlichen 
Maßnahmen bald dem Mutterlande gleich, bald 
anders als das Mutterland zu stellen. Soweit 
letzteres geschieht, spricht man dann allerdings auch 
wohl von einem Auslandscharakter der Kolonien. 
Entsprechend dem Reichsland Eksaß-Lothringen 
sind die Kolonien übrigens lediglich Obiekte der 
Reichsgewalt und bilden sie nicht auch, wie die 
Gebiete der deutschen Bundesstaaten, dingliche 
Substrate für staatsrechtliche Subjekte, die an der 
Souveränität des Reiches teilnehmen. 
Ebenso kommt auch die Bevölkerung einer deut- 
schen Kolonie der Staatsgewalt des Reiches gegen- 
über nur als Objekt, nicht gleichzeitig als persön- 
liches Substrat eines an der Souveränität des 
Reiches in Subjektsstellung beteiligten Staats- 
wesens in Betracht. Zufolge der Gebietshoheit 
des Reiches in den Kolonien ist kraft des dem 
modernen Staatsrecht innewohnenden Territoriali= 
tätsprinzips die gesamte Bevölkerung der Kolo-
	        
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