Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

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nien der Souveränität des Reiches unterworfen. 
Aus vier Elementen setzt sie sich zusammen: 
An erster Stelle stehen die Reichsangehörigen, 
die entweder ihre Reichsangehörigkeit aus dem 
Mutterlande mitgebracht oder sie in der Kolonie 
erworben haben, sei es auf Grund von Abstam- 
mung, Legitimation oder Verheiratung nach dem 
mutterländischen Prinzip durch Vermittlung einer 
Bundesstaatsangehörigkeit, sei es auch ohne solche 
Vermittlung durch Naturalisation oder Anstellung 
als Beamter in der Kolonie. Letzterenfalls spricht 
man, wie bei der Reichsangehörigkeit der Elsaß- 
Lothringer, von einer unmittelbaren Reichsange- 
hörigkeit. 
Den zweiten Bevölkerungsbestandteil bilden die 
Angehörigen anderer Kulturstaaten, sog. De-facto- 
Untertanen, subditi temporaris die bloß auf 
Grund der Tatsache ihres Aufenthaltes in der 
Koronie vorübergehend dem deutschen Recht unter- 
worfen sind. 
Drittens gehören zur Bevölkerung die Ein- 
gebornen der Kolonie und viertens die Ange- 
hörigen anderer unzivilisierter Stämme als De- 
facto-Untertanen. 
Man pflegt die ersten beiden Gruppen als 
Weiße, die letzten beiden als Farbige zusammen- 
zufassen. Doch ist in Wirklichkeit nicht die Haut- 
farbe das juristische Unterscheidungsmerkmal, son- 
dern der Kulturgrad der öffentlich-rechtlichen 
Gemeinschaft, welcher die betreffenden Bevölke- 
rungselemente angehören. Nicht immer pflegt mit 
farbiger Haut ein solcher in eine der letzten beiden 
Gruppen weisender niederer Kulturgrad zusammen- 
zufallen. So z. B. nicht bei den Japanern, die 
ausdrücklich der zweiten Gruppe zugewiesen sind, 
so z. B. auch nicht bei einem Neger, der Ange- 
höriger eines Kulturstaates ist, etwa der Nord- 
amerikanischen Union. Der kolonialrechtliche Gegen- 
satz Weiße und Farbige deckt sich hiernach mit dem 
nach völkerrechtlichen Gesichtspunkten sich bestim- 
menden Gegensatze: Angehörige von Kulturstaaten 
und Angehörige unzivilisierter Stämme. 
Den Angehörigen der erwähnten dritten Be- 
völkerungsklasse, also den Eingebornen, kann in 
allen Kolonien vom Reichskanzler oder einem 
Delegatar des Reichskanzlers im Wege der Natu- 
ralisation die Reichsangehörigkeit verliehen wer- 
den. In Ostafrika ist außerdem ein Mittel vor- 
gesehen, die Eingebornen den Weißen und ins- 
besondere den Reichsangehörigen rechtlich näher zu 
bringen. Dieses geschieht durch Verleihung der 
deutsch ostafrikanischen Schutzgebiets= oder Landes- 
angehörigkeit. 
Das über Gebiet und Bevölkerung der Kolo- 
nien herrschende Subjekt ist das Reich. Es be- 
tätigt seine Herrschaft durch Rechtsetzung, Ver- 
waltung und Rechtspflege. Hiervon gehört nur 
die Rechtsetzung in das Kolonialstaatsrecht. 
Es war anfangs streitig, welche Organe des 
Reiches zur Ausübung seiner Rechtsetzungsgewalt 
befugt waren. Drei Meinungen kämpften mit- 
Kolonialrecht. 
  
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einander. Die einen sprachen dem Bundesrat, die 
andern dem Reichstag und Bundesrat, die dritten 
dem Kaiser jene Befugnis zu. Die zweite Ansicht 
siegte insofern, als im Jahre 1886 Reichstag und 
Bundesrat ungehindert es in Anspruch nahmen, 
die Rechtsverhältnisse der deutschen Schutzgebiete 
durch Gesetz auf eine einheitliche Basis zu stellen. 
Tatsächlichen Erfolg hatte aber auch die dritte An- 
sicht, indem in diesem ersten Schutzgebietsgesetz(vom 
16. April 1886, neueste Fassung vom 25. Juli 
1900, Sch.G.G.) die Ausübung der Schutzgewalt 
von Reichstag und Bundesrat dem Kaiser über- 
tragen wurde. Zur Ausübung der Schutzgewalt 
gehört vor allem die Rechtsetzungsbefugnis, welche 
der Kaiser durch Verordnung handhabt. Doch ist 
wohl zu berücksichtigen, daß der Kaiser die Schutz- 
gewalt, also auch sein Verordnungerecht, nur kraft 
der Übertragung seitens der ordentlichen gesetz- 
gebenden Faktoren des Reiches, seitens des Reichs- 
tags und Bundesrats, ausübt. Reichstag und 
Bundesrat haben sich daher in Ansehung der 
kolonialen Rechtsetzungsbefugnis grundsätzlich über 
den Kaiser gestellt. Diese Befugnis verbleibt ihnen 
mithin oder fällt ihnen wieder anheim, insoweit 
sie sich dieselbe vorbehalten haben oder nachträglich 
für sich wieder beanspruchen. Grundsätzlich geht 
daher im Bereich des Kolonialrechts, wie übrigens 
auch im mutterländischen Recht, ein durch Reichs- 
tag und Bundesrat zustande gebrachtes Gesetz 
kaiserlicher Verordnung vor. 
Auf den Gebieten des Kolonialstaats= und 
Verwaltungsrechts sowie der Farbigenrechtspflege 
ist aber das kaiserliche Verordnungsrecht mit we- 
nigen Ausnahmen durch Gesetzesrecht bislang nicht 
gehindert. Außer dem Kaiser ist hier auch dem 
Reichskanzler (Kolonialamt) ein gewisses Ver- 
ordnungsrecht durch das Schutzgebietsgesetz zu- 
geteilt. 
Das Verordnungsrecht des Kaisers und des 
Reichskanzlers kann von ihnen weiter übertragen 
werden, und zwar von dem Kaiser an den Reichs- 
kanzler oder an die Schutzgebietsbeamten, insbe- 
sondere an die Gouverneure, von dem Reichskanzler 
an die Schutzgebietsbeamten. In den größeren 
Kolonien können die Gouverneure die ihnen über- 
tragene Verordnungsbefugnis andern Beamten 
delegieren. 
Für die afrikanischen und Südsee-Schutzgebiete 
hat der Kaiser den Reichskanzler allgemein zu Ver- 
ordnungen ermächtigt, welche die Einrichtung der 
Verwaltung und die Farbigenrechtspflege betreffen. 
Die Weißenrechtspflege beruht dagegen, wie im 
Mutterlande, grundsätzlich auf Gesetz. Das Schutz- 
gebietsgesetz hat auf diesem Gebiete das Konsular- 
gerichtsbarkeitsgesetz von 1879 und das Personen- 
standsgesetz für die Deutschen im Auslande von 
1870 rezipiert. Das Konsulargerichtsbarkeitsgesetz 
fußt seinerseits wieder auf einer Rezeption des 
deutsch-preußischen Gesetzesrechts. Dieses Recht 
wurde daher mittelbar auch in die Kolonien auf- 
genommen.
	        
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