339
nien der Souveränität des Reiches unterworfen.
Aus vier Elementen setzt sie sich zusammen:
An erster Stelle stehen die Reichsangehörigen,
die entweder ihre Reichsangehörigkeit aus dem
Mutterlande mitgebracht oder sie in der Kolonie
erworben haben, sei es auf Grund von Abstam-
mung, Legitimation oder Verheiratung nach dem
mutterländischen Prinzip durch Vermittlung einer
Bundesstaatsangehörigkeit, sei es auch ohne solche
Vermittlung durch Naturalisation oder Anstellung
als Beamter in der Kolonie. Letzterenfalls spricht
man, wie bei der Reichsangehörigkeit der Elsaß-
Lothringer, von einer unmittelbaren Reichsange-
hörigkeit.
Den zweiten Bevölkerungsbestandteil bilden die
Angehörigen anderer Kulturstaaten, sog. De-facto-
Untertanen, subditi temporaris die bloß auf
Grund der Tatsache ihres Aufenthaltes in der
Koronie vorübergehend dem deutschen Recht unter-
worfen sind.
Drittens gehören zur Bevölkerung die Ein-
gebornen der Kolonie und viertens die Ange-
hörigen anderer unzivilisierter Stämme als De-
facto-Untertanen.
Man pflegt die ersten beiden Gruppen als
Weiße, die letzten beiden als Farbige zusammen-
zufassen. Doch ist in Wirklichkeit nicht die Haut-
farbe das juristische Unterscheidungsmerkmal, son-
dern der Kulturgrad der öffentlich-rechtlichen
Gemeinschaft, welcher die betreffenden Bevölke-
rungselemente angehören. Nicht immer pflegt mit
farbiger Haut ein solcher in eine der letzten beiden
Gruppen weisender niederer Kulturgrad zusammen-
zufallen. So z. B. nicht bei den Japanern, die
ausdrücklich der zweiten Gruppe zugewiesen sind,
so z. B. auch nicht bei einem Neger, der Ange-
höriger eines Kulturstaates ist, etwa der Nord-
amerikanischen Union. Der kolonialrechtliche Gegen-
satz Weiße und Farbige deckt sich hiernach mit dem
nach völkerrechtlichen Gesichtspunkten sich bestim-
menden Gegensatze: Angehörige von Kulturstaaten
und Angehörige unzivilisierter Stämme.
Den Angehörigen der erwähnten dritten Be-
völkerungsklasse, also den Eingebornen, kann in
allen Kolonien vom Reichskanzler oder einem
Delegatar des Reichskanzlers im Wege der Natu-
ralisation die Reichsangehörigkeit verliehen wer-
den. In Ostafrika ist außerdem ein Mittel vor-
gesehen, die Eingebornen den Weißen und ins-
besondere den Reichsangehörigen rechtlich näher zu
bringen. Dieses geschieht durch Verleihung der
deutsch ostafrikanischen Schutzgebiets= oder Landes-
angehörigkeit.
Das über Gebiet und Bevölkerung der Kolo-
nien herrschende Subjekt ist das Reich. Es be-
tätigt seine Herrschaft durch Rechtsetzung, Ver-
waltung und Rechtspflege. Hiervon gehört nur
die Rechtsetzung in das Kolonialstaatsrecht.
Es war anfangs streitig, welche Organe des
Reiches zur Ausübung seiner Rechtsetzungsgewalt
befugt waren. Drei Meinungen kämpften mit-
Kolonialrecht.
340
einander. Die einen sprachen dem Bundesrat, die
andern dem Reichstag und Bundesrat, die dritten
dem Kaiser jene Befugnis zu. Die zweite Ansicht
siegte insofern, als im Jahre 1886 Reichstag und
Bundesrat ungehindert es in Anspruch nahmen,
die Rechtsverhältnisse der deutschen Schutzgebiete
durch Gesetz auf eine einheitliche Basis zu stellen.
Tatsächlichen Erfolg hatte aber auch die dritte An-
sicht, indem in diesem ersten Schutzgebietsgesetz(vom
16. April 1886, neueste Fassung vom 25. Juli
1900, Sch.G.G.) die Ausübung der Schutzgewalt
von Reichstag und Bundesrat dem Kaiser über-
tragen wurde. Zur Ausübung der Schutzgewalt
gehört vor allem die Rechtsetzungsbefugnis, welche
der Kaiser durch Verordnung handhabt. Doch ist
wohl zu berücksichtigen, daß der Kaiser die Schutz-
gewalt, also auch sein Verordnungerecht, nur kraft
der Übertragung seitens der ordentlichen gesetz-
gebenden Faktoren des Reiches, seitens des Reichs-
tags und Bundesrats, ausübt. Reichstag und
Bundesrat haben sich daher in Ansehung der
kolonialen Rechtsetzungsbefugnis grundsätzlich über
den Kaiser gestellt. Diese Befugnis verbleibt ihnen
mithin oder fällt ihnen wieder anheim, insoweit
sie sich dieselbe vorbehalten haben oder nachträglich
für sich wieder beanspruchen. Grundsätzlich geht
daher im Bereich des Kolonialrechts, wie übrigens
auch im mutterländischen Recht, ein durch Reichs-
tag und Bundesrat zustande gebrachtes Gesetz
kaiserlicher Verordnung vor.
Auf den Gebieten des Kolonialstaats= und
Verwaltungsrechts sowie der Farbigenrechtspflege
ist aber das kaiserliche Verordnungsrecht mit we-
nigen Ausnahmen durch Gesetzesrecht bislang nicht
gehindert. Außer dem Kaiser ist hier auch dem
Reichskanzler (Kolonialamt) ein gewisses Ver-
ordnungsrecht durch das Schutzgebietsgesetz zu-
geteilt.
Das Verordnungsrecht des Kaisers und des
Reichskanzlers kann von ihnen weiter übertragen
werden, und zwar von dem Kaiser an den Reichs-
kanzler oder an die Schutzgebietsbeamten, insbe-
sondere an die Gouverneure, von dem Reichskanzler
an die Schutzgebietsbeamten. In den größeren
Kolonien können die Gouverneure die ihnen über-
tragene Verordnungsbefugnis andern Beamten
delegieren.
Für die afrikanischen und Südsee-Schutzgebiete
hat der Kaiser den Reichskanzler allgemein zu Ver-
ordnungen ermächtigt, welche die Einrichtung der
Verwaltung und die Farbigenrechtspflege betreffen.
Die Weißenrechtspflege beruht dagegen, wie im
Mutterlande, grundsätzlich auf Gesetz. Das Schutz-
gebietsgesetz hat auf diesem Gebiete das Konsular-
gerichtsbarkeitsgesetz von 1879 und das Personen-
standsgesetz für die Deutschen im Auslande von
1870 rezipiert. Das Konsulargerichtsbarkeitsgesetz
fußt seinerseits wieder auf einer Rezeption des
deutsch-preußischen Gesetzesrechts. Dieses Recht
wurde daher mittelbar auch in die Kolonien auf-
genommen.