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Kraft des so rezipierten mutterländischen
Rechts o der zum Zwecke seiner weiteren Ausfüh-
rung an Stelle mutterländischer ausführender
Rechtsetzung in seinen Rahmen eingefügt, gelten
für die Weißenrechtspflege neben dem Gesetz auch
Verordnungen des Kaisers und Reichskanzlers. Ja,
die Verordnungsbefugnis des Kaisers und Reichs-
kanzlers ist kraft gesetzlicher Ermächtigung zum
Teil sogar über das rezipierte Gesetzesrecht gestellt,
indem sie dieses abzuändern vermag.
Von dem Delegationsrecht des Kaisers und
Reichskanzlers gilt in Ansehung der Weißenrechts-
pflege im wesentlichen dasselbe wie bezüglich des
Kolonialstaats= und Verwaltungsrechts sowie der
Farbigenrechtspflege.
Mit Rücksicht darauf, daß die kolonialen Ver-
hältnisse raschester Entwicklung unterworfen waren,
ist es wohl zu verstehen, wenn auf dem Gebiete
des Staats= und Verwaltungsrechts und der Far-
bigenrechtspflege im wesentlichen die ganze Recht-
setzung, im Bereich der Weißenrechtspflege wenig-
stens die Anpassung des durch Gesetz rezipierten
Gesetzesrechts an die kolonialen Verhältnisse und
die Weiterbildung dieses Rechts vorzugsweise auf
dem kürzeren und leichter zu beschreitenden Ver-
ordnungswege erfolgt ist. Doch ist diese Anpassung
mehrfach auch durch Gesetz geschehen. Es wäre zu
wünschen, daß künftig dem Gesetz im gesamten
Bereich des Kolonialrechts ein breiterer Raum ge-
währt würde. Die Vorzüge der Verordnung haben
große Schäden für die Rechtssicherheit und Rechts-
einheit sowie für die Stetigkeit der Rechtsentwick-
lung im Gefolge gehabt. Auch atmen die Ver-
ordnungen öfter einen stark bureaukratischen,
absolutistischen Geist.
Gehört von den drei Arten kolonialer Herr-
schaftsbetätigung des Reiches die Rechtsetzung in
das Kolonialstaatsrecht, so ergeben sich aus den
beiden andern, Verwaltung und Rechtspflege, be-
sondere Kolonialrechtsgebiete.
II. Kolonialverwaltungsrecht. Die Ver-
waltung der Kolonien stellt den Hauptbereich des
Kolonialverwaltungsrechts dar. Als ein Neben-
bereich desselben treten zu ihr hinzu die Rechts-
verhältnisse der in der Kolonialverwaltung tätigen
Beamten.
Wie jede Verwaltung und wie insbesondere
die mutterländische Verwaltung, so ist auch die
Kolonialverwaltung fünffach gegliedert. Diese
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Gliederung kann man herleiten von den fünf
Zentren der Verwaltung, die ein im völkerrecht-
lichen Verkehr stehender, einigermaßen bedeutender
Staat mindestens zu haben pflegt, d. h. von den
fünf Ministerien für Außeres, Inneres, Krieg,
Finanzen und Justiz. Entsprechend ist die Kolo-
nialverwaltung äußere, innere Verwaltung, Mi-
litärverwaltung, Finanzverwaltung und Justiz-
verwaltung.
Die äußere Verwaltung der Kolonien ist kurz
zu erledigen. Sie erfolgt natürlich nach den
Grundsätzen der äußern Verwaltung des Reiches.
Kolonialrecht.
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Für die Zwecke der innern Verwaltung der
Kolonien hat das Reich eine staatliche Behörden-
organisation ins Leben gerufen, zur besseren
Durchführungvon Verwaltungsmaßnahmengegen-
über den Eingebornen deren eigne obrigkeitliche
Einrichtungen ausgenutzt oder solche für sie ge-
schaffen, in zwei Kolonien (Ostafrika und Süd-
westafrika) den Grund zu einer nach mutterländi-
schen Grundsätzen zu betätigenden kommunalen
Selbstverwaltung gelegt, den Gouvernements be-
ratende Organe zur Seite gegeben und die Gebiete,
auf welchen dieser gesamte Verwaltungsapparat
tätig wird, durch verwaltungsrechtliche Normen
bestimmt. Es würde zu weit führen, auf alles
dieses hier näher einzugehen. Nur die Behörden-
organisation und die Reglung der verschiedenen
Verwaltungsgebiete durch verwaltungsrechtliche
Normen mag kurz skizziert werden.
Was die Behördenorganisation anlangt, so
läuft die gesamte Verwaltung unserer Kolonien
in zwei mutterländischen Zentralbehörden zusam-
men. Die eine ist zuständig für die afrikanischen
und Südseekolonien, die andere für Kiautschou.
Jene ist das Reichskolonialamt, diese das Reichs-
marineamt.
In den Kolonien selbst treten neben die allge-
meine Landesverwaltung in einigen Kolonien noch
besondere Verwaltungszweige. Die allgemeine
Landesverwaltung teilt sich wieder in Zentral-
verwaltung und Lokalverwaltung. Zentralverwal-
tungsbehörde ist jetzt in allen Kolonien das
Gouvernement, an dessen Spitze der Gouverneur
steht. Das Gouvernement von Neuguinea ist auch
Zentralverwaltungsbehörde für das Inselgebiet
der Karolinen, Palau, Marianen und Marthall=
inseln. Dashierbestehende Vizegouvernementgehört
bereits zur Lokalverwaltung. Im übrigen ist das
Bezirksamt die vorzüglichste Lokalverwaltungs-
behörde. Sie wird geleitet vom Bezirksamtmann.
Vielfach sind innerhalb der Bezirksämter an
einzelnen Stellen Hilfsbehörden der Bezirksämter
eingerichtet, denen als detachierten Regierungs-
stationen eine gewisse Selbständigkeit eingeräumt
ist, die aber doch den Bezirksämtern untergeordnet
sind. Ihre Bezeichnungen sind verschieden. In
Kamerun heißen sie Nebenstationen, in Togo und
Ostafrika Nebenstellen, in Südwestafrika Distrikte,
in Neuguinea mit Einschluß des Inselgebiets Re-
gierungsstationen. In Samoa und Kiautschon
fehlen sie.
Von diesen Hilfsorganen der Bezirksämter sind
wohl zu unterscheiden die neben den Bezirksämtern
unmittelbar unter dem Gouverneur stehenden, den
Bezirksämtern gegenüber völlig selbständigen Be-
hörden, welche die intensivere Verwaltung der Be-
zirksämter vorzubereiten bestimmt sind. Sie
kommen nur in den afrikanischen Kolonien vor
und heißen hier Stationen, in Südwestafrika je-
doch Distriktsämter.
Im Hinterlande von Kamerun und Ostafrika,
wo auf höherer politischer Stufe stehende Ein-