Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

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Kraft des so rezipierten mutterländischen 
Rechts o der zum Zwecke seiner weiteren Ausfüh- 
rung an Stelle mutterländischer ausführender 
Rechtsetzung in seinen Rahmen eingefügt, gelten 
für die Weißenrechtspflege neben dem Gesetz auch 
Verordnungen des Kaisers und Reichskanzlers. Ja, 
die Verordnungsbefugnis des Kaisers und Reichs- 
kanzlers ist kraft gesetzlicher Ermächtigung zum 
Teil sogar über das rezipierte Gesetzesrecht gestellt, 
indem sie dieses abzuändern vermag. 
Von dem Delegationsrecht des Kaisers und 
Reichskanzlers gilt in Ansehung der Weißenrechts- 
pflege im wesentlichen dasselbe wie bezüglich des 
Kolonialstaats= und Verwaltungsrechts sowie der 
Farbigenrechtspflege. 
Mit Rücksicht darauf, daß die kolonialen Ver- 
hältnisse raschester Entwicklung unterworfen waren, 
ist es wohl zu verstehen, wenn auf dem Gebiete 
des Staats= und Verwaltungsrechts und der Far- 
bigenrechtspflege im wesentlichen die ganze Recht- 
setzung, im Bereich der Weißenrechtspflege wenig- 
stens die Anpassung des durch Gesetz rezipierten 
Gesetzesrechts an die kolonialen Verhältnisse und 
die Weiterbildung dieses Rechts vorzugsweise auf 
dem kürzeren und leichter zu beschreitenden Ver- 
ordnungswege erfolgt ist. Doch ist diese Anpassung 
mehrfach auch durch Gesetz geschehen. Es wäre zu 
wünschen, daß künftig dem Gesetz im gesamten 
Bereich des Kolonialrechts ein breiterer Raum ge- 
währt würde. Die Vorzüge der Verordnung haben 
große Schäden für die Rechtssicherheit und Rechts- 
einheit sowie für die Stetigkeit der Rechtsentwick- 
lung im Gefolge gehabt. Auch atmen die Ver- 
ordnungen öfter einen stark bureaukratischen, 
absolutistischen Geist. 
Gehört von den drei Arten kolonialer Herr- 
schaftsbetätigung des Reiches die Rechtsetzung in 
das Kolonialstaatsrecht, so ergeben sich aus den 
beiden andern, Verwaltung und Rechtspflege, be- 
sondere Kolonialrechtsgebiete. 
II. Kolonialverwaltungsrecht. Die Ver- 
waltung der Kolonien stellt den Hauptbereich des 
Kolonialverwaltungsrechts dar. Als ein Neben- 
bereich desselben treten zu ihr hinzu die Rechts- 
verhältnisse der in der Kolonialverwaltung tätigen 
Beamten. 
Wie jede Verwaltung und wie insbesondere 
die mutterländische Verwaltung, so ist auch die 
Kolonialverwaltung fünffach gegliedert. Diese 
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Gliederung kann man herleiten von den fünf 
Zentren der Verwaltung, die ein im völkerrecht- 
lichen Verkehr stehender, einigermaßen bedeutender 
Staat mindestens zu haben pflegt, d. h. von den 
fünf Ministerien für Außeres, Inneres, Krieg, 
Finanzen und Justiz. Entsprechend ist die Kolo- 
nialverwaltung äußere, innere Verwaltung, Mi- 
litärverwaltung, Finanzverwaltung und Justiz- 
verwaltung. 
Die äußere Verwaltung der Kolonien ist kurz 
zu erledigen. Sie erfolgt natürlich nach den 
Grundsätzen der äußern Verwaltung des Reiches. 
Kolonialrecht. 
  
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Für die Zwecke der innern Verwaltung der 
Kolonien hat das Reich eine staatliche Behörden- 
organisation ins Leben gerufen, zur besseren 
Durchführungvon Verwaltungsmaßnahmengegen- 
über den Eingebornen deren eigne obrigkeitliche 
Einrichtungen ausgenutzt oder solche für sie ge- 
schaffen, in zwei Kolonien (Ostafrika und Süd- 
westafrika) den Grund zu einer nach mutterländi- 
schen Grundsätzen zu betätigenden kommunalen 
Selbstverwaltung gelegt, den Gouvernements be- 
ratende Organe zur Seite gegeben und die Gebiete, 
auf welchen dieser gesamte Verwaltungsapparat 
tätig wird, durch verwaltungsrechtliche Normen 
bestimmt. Es würde zu weit führen, auf alles 
dieses hier näher einzugehen. Nur die Behörden- 
organisation und die Reglung der verschiedenen 
Verwaltungsgebiete durch verwaltungsrechtliche 
Normen mag kurz skizziert werden. 
Was die Behördenorganisation anlangt, so 
läuft die gesamte Verwaltung unserer Kolonien 
in zwei mutterländischen Zentralbehörden zusam- 
men. Die eine ist zuständig für die afrikanischen 
und Südseekolonien, die andere für Kiautschou. 
Jene ist das Reichskolonialamt, diese das Reichs- 
marineamt. 
In den Kolonien selbst treten neben die allge- 
meine Landesverwaltung in einigen Kolonien noch 
besondere Verwaltungszweige. Die allgemeine 
Landesverwaltung teilt sich wieder in Zentral- 
verwaltung und Lokalverwaltung. Zentralverwal- 
tungsbehörde ist jetzt in allen Kolonien das 
Gouvernement, an dessen Spitze der Gouverneur 
steht. Das Gouvernement von Neuguinea ist auch 
Zentralverwaltungsbehörde für das Inselgebiet 
der Karolinen, Palau, Marianen und Marthall= 
inseln. Dashierbestehende Vizegouvernementgehört 
bereits zur Lokalverwaltung. Im übrigen ist das 
Bezirksamt die vorzüglichste Lokalverwaltungs- 
behörde. Sie wird geleitet vom Bezirksamtmann. 
Vielfach sind innerhalb der Bezirksämter an 
einzelnen Stellen Hilfsbehörden der Bezirksämter 
eingerichtet, denen als detachierten Regierungs- 
stationen eine gewisse Selbständigkeit eingeräumt 
ist, die aber doch den Bezirksämtern untergeordnet 
sind. Ihre Bezeichnungen sind verschieden. In 
Kamerun heißen sie Nebenstationen, in Togo und 
Ostafrika Nebenstellen, in Südwestafrika Distrikte, 
in Neuguinea mit Einschluß des Inselgebiets Re- 
gierungsstationen. In Samoa und Kiautschon 
fehlen sie. 
Von diesen Hilfsorganen der Bezirksämter sind 
wohl zu unterscheiden die neben den Bezirksämtern 
unmittelbar unter dem Gouverneur stehenden, den 
Bezirksämtern gegenüber völlig selbständigen Be- 
hörden, welche die intensivere Verwaltung der Be- 
zirksämter vorzubereiten bestimmt sind. Sie 
kommen nur in den afrikanischen Kolonien vor 
und heißen hier Stationen, in Südwestafrika je- 
doch Distriktsämter. 
Im Hinterlande von Kamerun und Ostafrika, 
wo auf höherer politischer Stufe stehende Ein-
	        
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