Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

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liche Verleihung der Rechtsfähigkeit im Kolonial- 
recht, entfallen. An seine Stelle ist aber für 
Gesellschaften, die wirtschaftliche Unternehmungen 
in den Kolonien betreiben, d. h. für die sog. Ko- 
lonialgesellschaften, wenn sie ihren Sitz entweder 
im Reichsgebiet oder in einem Schutzgebiet oder 
in einem Konsulargerichtsbezirk haben, ein anderes, 
ihnen die juristische Persönlichkeit verschaffendes 
Konzessionssystem getreten. Hierbei wird der be- 
treffenden Kolonialgesellschaft die Rechtsfähigkeit 
auf Grund eines vom Reichskanzler zu genehmi- 
genden Statuts durch Beschluß des Bundesrats 
verliehen. Über die so mit juristischer Persönlich= 
keil bekleideten Kolonialgesellschaften führt der 
Reichskanzler die Aussicht. Diese zunächst im Ko- 
lonialrecht ausgebildete Form der juristischen Per- 
son ist übrigens demnächst auch in das Konsular- 
recht eingeführt worden. 
Eine andere in den allgemeinen Teil des 
bürgerlichen Rechts gehörige Abweichung des Ko- 
lonialrechts vom mutterländischen Recht betrifft 
das Hinterlegungswesen. Seine Reglung ist im 
Mutterlande durch das Einf. Ges. zum B. G. B. 
der Landesgesetzgebung überwiesen, in den Kolo- 
nien kaiserlicher Verordnung vorbehalten. 
Im Schuldrecht wird der 4% betragende ge- 
setzliche Zinsfuß des B.G.B. durch einen den 
landesüblichen Vertragszinsen entsprechenden Zins- 
fuß bis zum Höchstmaß von jährlich 10 % ersetzt. 
Werden Inhaber-Schuldverschreibungen, in denen 
die Zahlung einer bestimmten Geldsumme ver- 
sprochen wird, im Mutterlande von einer hier den 
Wohnsitz oder eine gewerbliche Niederlassung 
habenden Person ausgestellt, so dürfen sie nach dem 
B.G.B. nur dann in den Verkehr gebracht werden, 
wenn die Zentralbehörde des Bundesstaates, in 
dessen Gebiet der Aussteller Wohnsitz oder ge- 
werbliche Niederlassung hat, die Genehmigung 
dazu erteilt. Falls dagegen solche Inhaberpapiere 
in einem Schutzgebiete von einer dem Kolonial- 
recht unterworfenen Person ausgestellt werden, ist 
zu ihrer Einführung in den Verkehr Genehmigung 
des Reichskanzlers erforderlich. 
Das Mobiliarsachenrecht weist im Kolonial-= 
recht insofern eine Abweichung vom B.G.B. auf, 
als das nach dem letzteren bei Verzicht des Finders 
eingreifende Fundrecht der Gemeinde des Fund- 
ortes in den Kolonien durch allgemeine Anord- 
nung des Reichskanzlers einem andern Rechts- 
subjekt zugeteilt werden kann, was vorzugsweise 
da von Bedeutung ist, wo Gemeinden in den 
Kolonien nicht vorhanden sind. Das Immobiliar= 
sachenrecht hat von Grund aus eine Sonderreg- 
lung erfahren. Sie wird in dem letzten Teile des 
Kolonialrechts, der dem Bodenrecht vorbehalten 
ist, zu besprechen sein. 
Im Familienrecht ist die aus dem Auslands- 
recht des Personenstandes übernommene Form der 
Eheschließung zu erwähnen. In ihrem wesentlichen 
Teile deckt sie sich mit der wesentlichen Ehe- 
schließungsform des B.G. B. Nur unwesentliche 
Kolonialrecht. 
  
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Formvorschriften des mutterländischen Eheschlie- 
Pßungsrechts, insbesondere die das Aufgebot be- 
treffenden, sind abgeändert. Eine Besonderheit 
des kolonialen Vormundschaftsrechts ist es dann, 
daß die Reglung der Mündelsicherheit von Hypo- 
theken, Grundschulden und Rentenschulden, die im 
Mutterlande der Landesgesetzgebung überwiesen 
ist, in den Kolonien, soweit koloniale Grundstücke 
als belastete Grundstücke in Betracht kommen, 
kaiserlicher Verordnung vorbehalten ist. 
Vom kolonialen Erbrecht wird vorgesehen, daß 
bei Gefahr im Verzuge statt des nach dem B.G.B. 
dann statthaften sog. Dorftestamentes vor dem Ge- 
meinde= oder Gutsvorsteher und zwei Zeugen das 
nach dem B.G.B. nur an abgesperrten Orten und 
als Seetestament zugelassene Testament durch 
mündliche Erklärung vor drei Zeugen Anwendung 
finden kann. Schließlich kann das im Mutter- 
lande bei schlichter Erbeinsetzung „der Armen“ 
eintretende Erbrecht der Gemeindearmenkasse in 
den Kolonien wiederum durch allgemeine Anord- 
nung des Reichskanzlers einem andern Rechts- 
subjekt zugeteilt werden. 
Das koloniale Handelsrecht läßt das lokale 
koloniale Handelsgewohnheitsrecht dem mutter- 
ländischen Handelsgewohnheits= und -gesetzesrecht 
vorgehen. Und der gesetzliche Zinsfuß des H. G. B. 
wird wieder ersetzt durch den landesüblichen Zins- 
fuß bis zum Höchstmaße von 10%. 
Im Strafrecht hat der allgemeine Grundsatz, 
daß die Vorschriften der mutterländischen Rechts- 
pflegeordnung in den Kolonien keine Anwendung 
finden, soweit sie Einrichtungen und Verhältnisse 
voraussetzen, an denen es in den Kolonien fehlt, 
besondere Bedeutung gewonnen. Denn recht häufig 
fehlen in den Kolonien gerade solche Einrichtungen 
und Verhältnisse, welche die Grundlagen mutter- 
ländischer Strafrechtsnormen bilden. Das ist 
allemal dann der Fall, wenn derartige Straf- 
bestimmungen die Beobachtung anderer, insbe- 
sondere öffentlich-rechtlicher Vorschriften erzwingen 
sollen und die letzteren in den Kolonien nicht 
eingeführt sind. Aus diesem Grunde entfallen hier 
z. B. gewisse Normen des R.St. G.B., die gegen 
Übertretungen gewisser, nur für das Mutterland 
in Betracht kommender Polizeiverordnungen be- 
stimmten Inhaltes gerichtet sind, ebenso z. B. die 
Strafvorschriften der heimischen Zoll= und Steuer- 
gesetze, der Arbeiterversicherungsgesetze, des Impf- 
gesetzes, der Gewerbeordnung. Materien, die nicht 
Gegenstand des R. St. G.B. sind und die im 
Mutterlande der strafrechtlichen Reglung durch 
besondere Reichsgesetze oder durch die Landesgesetz- 
gebung überlassen sind (z. B. Preßpolizei, Post-, 
Steuer-, Zoll-, Fischerei-, Jagd-, Forst= und 
Feldpolizei, Mißbrauch des Vereins= und Ver- 
sammlungsrechts, Forstdiebstahl), unterliegen in 
den Kolonien der Verordnungsbefugnis des Kai- 
sers, die er aber nur mit beschränkter Strafsanktion 
zu handhaben vermag, indem er nur Gefängnis 
bis zu einem Jahre, Haft, Geldstrafe und Ein-
	        
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