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liche Verleihung der Rechtsfähigkeit im Kolonial-
recht, entfallen. An seine Stelle ist aber für
Gesellschaften, die wirtschaftliche Unternehmungen
in den Kolonien betreiben, d. h. für die sog. Ko-
lonialgesellschaften, wenn sie ihren Sitz entweder
im Reichsgebiet oder in einem Schutzgebiet oder
in einem Konsulargerichtsbezirk haben, ein anderes,
ihnen die juristische Persönlichkeit verschaffendes
Konzessionssystem getreten. Hierbei wird der be-
treffenden Kolonialgesellschaft die Rechtsfähigkeit
auf Grund eines vom Reichskanzler zu genehmi-
genden Statuts durch Beschluß des Bundesrats
verliehen. Über die so mit juristischer Persönlich=
keil bekleideten Kolonialgesellschaften führt der
Reichskanzler die Aussicht. Diese zunächst im Ko-
lonialrecht ausgebildete Form der juristischen Per-
son ist übrigens demnächst auch in das Konsular-
recht eingeführt worden.
Eine andere in den allgemeinen Teil des
bürgerlichen Rechts gehörige Abweichung des Ko-
lonialrechts vom mutterländischen Recht betrifft
das Hinterlegungswesen. Seine Reglung ist im
Mutterlande durch das Einf. Ges. zum B. G. B.
der Landesgesetzgebung überwiesen, in den Kolo-
nien kaiserlicher Verordnung vorbehalten.
Im Schuldrecht wird der 4% betragende ge-
setzliche Zinsfuß des B.G.B. durch einen den
landesüblichen Vertragszinsen entsprechenden Zins-
fuß bis zum Höchstmaß von jährlich 10 % ersetzt.
Werden Inhaber-Schuldverschreibungen, in denen
die Zahlung einer bestimmten Geldsumme ver-
sprochen wird, im Mutterlande von einer hier den
Wohnsitz oder eine gewerbliche Niederlassung
habenden Person ausgestellt, so dürfen sie nach dem
B.G.B. nur dann in den Verkehr gebracht werden,
wenn die Zentralbehörde des Bundesstaates, in
dessen Gebiet der Aussteller Wohnsitz oder ge-
werbliche Niederlassung hat, die Genehmigung
dazu erteilt. Falls dagegen solche Inhaberpapiere
in einem Schutzgebiete von einer dem Kolonial-
recht unterworfenen Person ausgestellt werden, ist
zu ihrer Einführung in den Verkehr Genehmigung
des Reichskanzlers erforderlich.
Das Mobiliarsachenrecht weist im Kolonial-=
recht insofern eine Abweichung vom B.G.B. auf,
als das nach dem letzteren bei Verzicht des Finders
eingreifende Fundrecht der Gemeinde des Fund-
ortes in den Kolonien durch allgemeine Anord-
nung des Reichskanzlers einem andern Rechts-
subjekt zugeteilt werden kann, was vorzugsweise
da von Bedeutung ist, wo Gemeinden in den
Kolonien nicht vorhanden sind. Das Immobiliar=
sachenrecht hat von Grund aus eine Sonderreg-
lung erfahren. Sie wird in dem letzten Teile des
Kolonialrechts, der dem Bodenrecht vorbehalten
ist, zu besprechen sein.
Im Familienrecht ist die aus dem Auslands-
recht des Personenstandes übernommene Form der
Eheschließung zu erwähnen. In ihrem wesentlichen
Teile deckt sie sich mit der wesentlichen Ehe-
schließungsform des B.G. B. Nur unwesentliche
Kolonialrecht.
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Formvorschriften des mutterländischen Eheschlie-
Pßungsrechts, insbesondere die das Aufgebot be-
treffenden, sind abgeändert. Eine Besonderheit
des kolonialen Vormundschaftsrechts ist es dann,
daß die Reglung der Mündelsicherheit von Hypo-
theken, Grundschulden und Rentenschulden, die im
Mutterlande der Landesgesetzgebung überwiesen
ist, in den Kolonien, soweit koloniale Grundstücke
als belastete Grundstücke in Betracht kommen,
kaiserlicher Verordnung vorbehalten ist.
Vom kolonialen Erbrecht wird vorgesehen, daß
bei Gefahr im Verzuge statt des nach dem B.G.B.
dann statthaften sog. Dorftestamentes vor dem Ge-
meinde= oder Gutsvorsteher und zwei Zeugen das
nach dem B.G.B. nur an abgesperrten Orten und
als Seetestament zugelassene Testament durch
mündliche Erklärung vor drei Zeugen Anwendung
finden kann. Schließlich kann das im Mutter-
lande bei schlichter Erbeinsetzung „der Armen“
eintretende Erbrecht der Gemeindearmenkasse in
den Kolonien wiederum durch allgemeine Anord-
nung des Reichskanzlers einem andern Rechts-
subjekt zugeteilt werden.
Das koloniale Handelsrecht läßt das lokale
koloniale Handelsgewohnheitsrecht dem mutter-
ländischen Handelsgewohnheits= und -gesetzesrecht
vorgehen. Und der gesetzliche Zinsfuß des H. G. B.
wird wieder ersetzt durch den landesüblichen Zins-
fuß bis zum Höchstmaße von 10%.
Im Strafrecht hat der allgemeine Grundsatz,
daß die Vorschriften der mutterländischen Rechts-
pflegeordnung in den Kolonien keine Anwendung
finden, soweit sie Einrichtungen und Verhältnisse
voraussetzen, an denen es in den Kolonien fehlt,
besondere Bedeutung gewonnen. Denn recht häufig
fehlen in den Kolonien gerade solche Einrichtungen
und Verhältnisse, welche die Grundlagen mutter-
ländischer Strafrechtsnormen bilden. Das ist
allemal dann der Fall, wenn derartige Straf-
bestimmungen die Beobachtung anderer, insbe-
sondere öffentlich-rechtlicher Vorschriften erzwingen
sollen und die letzteren in den Kolonien nicht
eingeführt sind. Aus diesem Grunde entfallen hier
z. B. gewisse Normen des R.St. G.B., die gegen
Übertretungen gewisser, nur für das Mutterland
in Betracht kommender Polizeiverordnungen be-
stimmten Inhaltes gerichtet sind, ebenso z. B. die
Strafvorschriften der heimischen Zoll= und Steuer-
gesetze, der Arbeiterversicherungsgesetze, des Impf-
gesetzes, der Gewerbeordnung. Materien, die nicht
Gegenstand des R. St. G.B. sind und die im
Mutterlande der strafrechtlichen Reglung durch
besondere Reichsgesetze oder durch die Landesgesetz-
gebung überlassen sind (z. B. Preßpolizei, Post-,
Steuer-, Zoll-, Fischerei-, Jagd-, Forst= und
Feldpolizei, Mißbrauch des Vereins= und Ver-
sammlungsrechts, Forstdiebstahl), unterliegen in
den Kolonien der Verordnungsbefugnis des Kai-
sers, die er aber nur mit beschränkter Strafsanktion
zu handhaben vermag, indem er nur Gefängnis
bis zu einem Jahre, Haft, Geldstrafe und Ein-