Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

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Rechtsmitteln auch in den Kolonien durch die 
Staatsanwaltschaft erfolgt. Da letzteres bei Ver- 
gehen und Verbrechen geschieht, so kommen nur 
Übertretungen in Frage. Weil diese Schöffen- 
sachen sind, so ist für sie in Afrika und der Südsee 
in erster Instanz der Einzelrichter kompetent. Für 
Afrika und die Südsee kann also überhaupt nicht 
davon die Rede sein, daß der erstinstanzliche Einzel- 
richter gegen die Entscheidungen des erstinstanz- 
lichen kollegialen Gerichts die im Mutterlande der 
Staatsanwaltschaft zustehenden Rechtsmittel ein- 
legen kann. Die Vorschrift hat nur Bedeutung 
der Kiautschou, wo für die Schöffensachen nicht 
für Kaiserliche Richter, sondern das kollegiale Kaiser- 
liche Gericht in erster Instanz zuständig ist. 
Die mutterländische Revision fehlt dem kolo- 
nialen Strafprozeß. Doch kennt dieser die Wieder- 
aufnahme eines durch rechtskräftiges Urteil ge- 
schlossenen Verfahrens. Während aber eine solche 
im Mutterlande von dem Verurteilten oder der 
Staatsanwaltschaft beantragt werden muß, kann 
sie in den Kolonien auch von Amts wegen er- 
folgen. 
Vom mutterländischen Recht abweichende Vor- 
schriften gelten ferner für das Privatklageverfahren 
sowie für das einer Strafverfügung oder einem 
Strafbescheide nachfolgende Verfahren. 
Das Begnadigungsrecht, welches im Mutter- 
lande im allgemeinen dem Landesherrn und nur 
in den zur erstinstanzlichen Zuständigkeit des 
Reichsgerichts gehörigen Sachen dem Kaiser zu- 
steht, ist für alle in den Kolonien abgeurteilten 
Sachen ein Recht des Kaisers. Er hat es aber 
zum Teil dem Reichskanzler und den Gouver- 
neuren delegiert, indem er ihnen die Befugnis er- 
teilt hat, nicht bloß die Teilung, sondern auch die 
Aussetzung der Strafvollstreckung zu bewilligen. 
Die Strafvollstreckung liegt nach mutterlän- 
dischem Recht der Staatsanwaltschaft ob. Nach 
Kolonialrecht ist sie dem erstinstanzlichen Einzel- 
richter übertragen, und zwar auch soweit sie Voll- 
streckung von Freiheitsstrafen ist, die durch poli- 
zeiliche Strafverfügungen oder Strafbescheide der 
Verwaltungsbehörde oder nach Anfechtung solcher 
Verfügungen oder Bescheide durch gerichtliche Ent- 
scheidung oder im Beschwerdeverfahren in voll- 
streckbarer Weise festgesetzt sind. Sind jedoch durch 
die erwähnten Strafverfügungen oder Strafbe- 
scheide Geldstrafen festgesetzt und sind diese mangels 
Antrag auf gerichtliche Entscheidung rechtskräftig 
geworden, so werden sie mit gewissen Einschrän- 
kungen nach Art des Verwaltungszwangsverfahrens 
von den Verwaltungsbehörden vollstreckt. 
Schließlich ist auch das Zustellungs= und Kosten- 
wesen anders als im mutterländischen Recht ge- 
regelt, und zwar sowohl für den Zivil= wie für 
den Strafprozeß. 
Hiermit dürfte ein Überblick über den wesent- 
lichen Bestand der Weißenrechtspflege gegeben sein. 
Sie kann nun aber auch durch kaiserliche Verord- 
nung auf Farbige für anwendbar erklärt werden, 
  
Kolonialrecht. 
  
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wobei natürlich nur an Farbige zu denken ist, die 
bereits auf einer gewissen höheren Kulturstufe 
stehen. Im übrigen greift für die Farbigen eine 
eigene Rechtspflege Platz. 
IV. Jarbigenrechtspstege. Wie man die 
Weißen, unter besonderer Berücksichtigung der 
Deutschen, grundsätzlich nach mutterländischem 
Recht behandelt, so gilt für die Farbigenrechts- 
pflege der entsprechende oberste Grundsatz, ihnen 
zach Möglichkeit ihr angestammtes Recht zu be- 
assen. 
Das Recht der Farbigen ist zum Teil bereits 
ein hochentwickeltes, so das Recht der Chinesen 
im Kiautschougebiet, der Inder in Ostafrika und 
der Mohammedaner in Ostafrika und im Hinter- 
lande von Kamerun. Doch sind uns die Ein- 
gebornenrechte, und zwar sogar jene entwickelten 
Rechte, noch viel zu wenig bekannt. Deren Er- 
forschung ist gewiß eine wichtige Aufgabe des 
Kolonialrechts. Ihr hat sich seit einiger Zeit eine 
von der deutschen Regierung berufene besondere 
Kommission unterzogen. So lange sie ihre Tätig- 
keit noch nicht beendet hat, wird man nicht daran 
gehen können, das reine Farbigenrecht in eine 
Darstellung des deutschen Kolonialrechts mit auf- 
zunehmen. Einstweilen wird man die infolge des 
wirtschaftlichen Miteinanderlebens von Weißen 
und Farbigen und zum Zwecke kultureller Hebung 
der Farbigen erforderlichen Einwirkungen des 
Weißenrechts auf das Farbigenrecht allein ins 
Auge zu fassen haben. Und um einer laienhaften, 
aber sogar in Juristenkreisen weitverbreiteten, viel- 
fach sogar bis zu einer Identifizierung von Kolo- 
nialrecht und Farbigenrecht sich versteigenden Mei- 
nung entgegenzutreten, mag es hier ausgesprochen 
sein, daß das reine Farbigenrecht, selbst dann, 
wenn es einmal gründlich erforscht sein wird, so 
sehr es ethnologisch von Interesse ist, sicher nicht 
im Systeme des deutschen Kolonialrechts über- 
haupt, aber auch nicht einmal innerhalb der hierzu 
gehörigen Kategorie der Farbigenrechtspflege eine 
erheblich vorherrschende Stellung einnehmen wird. 
Das wird schon wegen der vermutlich sich er- 
gebenden unendlichen Fülle von Verschiedenheiten 
der einzelnen Stammesrechte ausgeschlossen sein. 
Vorzugsweise wird man darum auch in Zukunft 
darauf ausgehen müssen, den Einfluß des Weißen- 
rechts auf das Farbigenrecht in das rechte Licht 
zu setzen. Dabei wird man das System der 
Weißenrechtspflege als Mittel für die Klarstellung 
anwenden dürfen. Demgemäß wäre zu zeigen, 
wie in dem nach unsern Begriffen als Privat- 
recht, Strafrecht oder Prozeßrecht aufzufassenden 
Recht der Farbigen eine Einwirkung des Weißen- 
rechts sich geltend gemacht hat. Nur einige Proben 
davon können hier geboten werden. 
Verschiedentlich ist man im Privatrecht den der 
europäischen Kultur absolut feindlichen Rechts- 
anschauungen der Farbigen durch erziehliche Ein- 
griffe begegnet. Als solche mögen genannt werden 
Milderung und allmähliche Beseitigung des Rechts-
	        
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