Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

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instituts der Sklaverei, sittliche Hebung des Ehe- 
rechts, das zum Teil noch auf mutterrechtlicher 
Grundlage beruht, Kautelen gegen geschäftliche 
Unlauterkeit, insbesondere gegen den Wucher, in 
Ostafrika die Einführung der Pflicht zur Buch- 
führung, zur Errichtung von Inventur und Bilanz 
für die sehr zu unsaubern Geschäften neigenden 
Inder als Inhaber von kaufmännischen Geschäften. 
Andere privatrechtliche Einwirkungen des Weißen- 
rechts auf das Farbigenrecht erklären sich daraus, 
daß man die vollkommeneren technischen Mittel 
des ersteren für das letztere nutzbar gemacht hat. 
So ist in verschiedenen Kolonien, um die Sicher- 
heit des Rechtsverkehrs zu heben, behördliche Be- 
urkundung ihrer Rechtsgeschäfte vorgesehen. Eben 
hierhin gehört die vielfach eingeführte behördliche 
Regulierung der Nachlässe von Farbigen. Endlich 
hat der Grunderwerb der Weißen und des Fiskus 
überall Rückwirkungen auf das Privatrecht der 
Farbigen ausgeübt. Ofter ist überhaupt dadurch 
erst der Begriff des Besitzes bzw. des Eigentums 
an Grundstücken im Farbigenrecht aufgekommen. 
Namentlich aber ist so der Begriff des Gemein- 
eigentums, der anderwärts den Farbigen schon 
bekannt war, allmählich beschränkt und verdrängt 
durch den Begriff des Individualeigentums des 
deutschen Rechts. 
Auch gegenüber dem Strafrecht der Farbigen 
sind grundlegende Anschauungen europäischer Kul- 
tur zur Geltung gebracht. Namentlich die Delikts- 
begriffe und, wie für Kiautschou ausdrücklich her- 
vorgehoben ist, besonders die Begriffe der Ver- 
brechen und Vergehen gegen das Reich, gegen 
Gesundheit, Leben, Freiheit und Eigentum eines 
andern, sind aus dem Weißenrecht in das Farbigen- 
recht hineingetragen. 
Was die zum Prozeßrecht gehörige Gerichts- 
verfassung anlangt, so ist heute die Farbigen- 
gerichtsbarkeit nur vereinzelt noch ausschließlich 
der Obrigkeit der Farbigen belassen. Meist greift 
bereits eine Tätigkeit der weißen Beamten ein, 
entweder so, daß sie erst in höherer Instanz ent- 
scheiden und allenfalls auch hier noch unter Hin- 
zuziehung farbiger Berater, oder so, daß die 
weißen Beamten von vornherein die Ausübung 
der Gerichtsbarkeit in der Hand haben und dabei 
nur durch beratende Mitwirkung Farbiger unter- 
stützt werden. Es kommt auch vor, daß weiße 
Beamte allein die Farbigengerichtsbarkeit aus- 
üben oder daß hierfür gar das Weißengericht zu- 
ständig ist. Ausschließliche Tätigkeit der weißen 
Beamten bzw. der deutschen Gerichte ist Grundsatz 
für Mischprozesse zwischen Farbigen und Weißen. 
Auf das Verfahren in Farbigenprozessen ist 
namentlich insoweit eingewirkt, als es Strafver- 
fahren ist. Auch auf dieses sind fundamentale 
Maximen des deutschen Strafprozesses zur An- 
wendung gebracht: Offizialmaxime, Offentlichkeit, 
Mündlichkeit, Verteidigung, Protokollführung, 
schriftliche Abfassung des Urteilstenors. Die Ur- 
teilsgründe brauchen freilich nicht niedergeschrieben 
Kolonialrecht. 
  
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zu werden. Es fehlt auch die Akkusationsmaxime, 
und die Beeidigung der Zeugen unterbleibt. 
V. Kolonialbodenrecht. Der letzte Teil des 
Kolonialrechts ist das Kolonialbodenrecht. Man 
kann es scheiden in das Grundstücksrecht und das 
Bergrecht. Das Grundstücksrecht umfaßt das 
Grunderwerbsrecht und das Recht des Grund- 
stücksverlustes. Als Grunderwerbsrecht aber ist 
zunächst zu behandeln die Aufteilung des Bodens 
unter Fiskus, Farbige und Weiße, sodann das 
Recht des privaten Grundstücksverkehrs. 
Die Aufteilung des Bodens unter Fiskus, 
Farbige und Weiße ist notwendig, weil keine der 
deei Interessentengruppen den Boden entbehren 
ann. 
Der Fiskus bedarf des Bodens aus mannig- 
fachen Gründen. Er hat ihn in den Kolonien 
namentlich notwendig, um ihn für öffentliche 
Aufgaben, z. B. für öffentliche Bauten, Anlegung 
von Straßen oder Eisenbahnen zur Verfügung zu 
haben, um das Land planmäßig und billig be- 
siedeln, um der Bodenspekulation entgegentreten 
zu können, um sich einigermaßen bezahlt zu ma- 
chen für die kolonialen Aufwendungen, durch die 
er selbst den Bodenwert gesteigert hat. Es ist 
darum gerechtfertigt und mit einem alten deutschen 
Prinzip sowie mit einem Satze des heutigen deut- 
schen B.G.B. übereinstimmend, wenn in den Ko- 
lonien als Kronland bzw. als durch Besitznahme 
zu erwerbendes Kronland dem Fiskus alles Land 
zugesprochen ist, welches noch keinen andern Herrn 
hat, also herrenlos ist. Dieses ist geschehen in Ost- 
afrika, Kamerun, Neuguinea sowie auf den Karo- 
linen, Palau und Marianen. Auch in Südwest- 
afrika kann der Fiskus herrenloses Land okkupieren. 
Doch sind hier auch mit Genehmigung des Gou- 
verneurs private Weiße dazu berechtigt. Auf den 
Marshallinseln hat nach einem alten Vertrage nur 
die Jaluitgesellschaft das genannte Recht. In den 
übrigen Kolonien gibt es kein herrenloses Land. 
Die Ermittlung und Besitznahme des herrenlosen 
Landes für den Fiskus ist in Ostafrika und Ka- 
merun Aufgabe besonderer Landkommissionen, 
deren Zusammensetzung und Tätigkeit näher ge- 
regelt ist. Indem diese Tätigkeit zunächst die Er- 
mittlung des herrenlosen Landes zum Ziele hat, 
muß sie ausgehen von einer Feststellung des Lan- 
des, welches bereits im Besitz oder Eigentum von 
Farbigen oder Weißen ist. Da aber die Besitz- 
beziehungen der Farbigen zum Boden vielfach nur 
sehr flüssig sind, vollends ihre Rechte daran 
häufig wenig ausgebildet sind, anderseits Land- 
ansprüche von ihnen in maßloser Weise geltend 
gemacht wurden, so ist die Feststellung des im 
Besitz oder Eigentum der Farbigen befindlichen 
Landes in der Praxis öfter, z. B. in Ostafrika, 
darauf hinausgelaufen, den Farbigen so viel Land 
zuzuteilen, als für ihre Wirtschaft notwendig er- 
schien, womit dann allerdings der Begriff der 
Besitznahme von herrenlosem Land als Kron- 
land zuweilen sich verschoben haben und zu einer 
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