Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

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ausschließlich für den Staat und das Gemeinwohl 
leben. Damit sie aber von den durch das höchste 
Gemeinwohl bestimmten Pflichten niemals ab- 
weichen, dürfen sie sich nie durch private Besitz- 
und Familienverhältnisse beeinflussen lassen. Eigen- 
tum und Familie müssen daher für sie aufgehoben 
werden. Ihren Unterhalt besorgt die breite Masse 
des Volkes mit den Sklaven, d. h. die Erwerbs- 
tätigen, die von staatlicher Tätigkeit ausgeschlossen 
sind und darum Eigentum und Familie behalten. 
Mit Recht wird die hier nur auf die Edelsten der 
Nation beschränkte Gemeinsamkeit des Konsums 
ein aristokratischer Kommunismus genannt. Pla- 
Kommunismus. 
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findenden Witwenmahls (Apg. 6, 1). Bei totalem 
Kommunismus würden alle Christen, wenn auch 
in verschiedenen Häusern, ihre Mahlzeiten gemein- 
sam eingenommen haben. Nach alledem sind auch 
die Ausdrücke des hl. Lukas: „sie hatten alles ge- 
meinsam“, und: „ni d teetwas sein eigen“, 
nicht im Sinne eines völligen Gemeinbesitzes zu 
verstehen, sondern im Sinne einer Gemeinsamkeit 
des überflüssigen Besitzes. Wird auf den Überfluß 
zugunsten der Armen verzichtet, so wird dadurch 
eine Gemeinsamkeit betätigt, anderseits erscheint 
das Privateigentumsrecht so weit eingeschränkt, 
daß die Besitzenden nicht mehr in einer die Armen 
  
tos Ideen sind aber für die meisten späteren kom- 6 verletzenden Weise etwas ihr eigen nennen. 
munistischen Gedankensysteme, wenngleich diese Wiederholt sind die Kirchenväter kommunisti- 
auch ganz andere, mehr der allgemeinen Volls= scher Anschauungen beschuldigt worden. Indes 
beglückung entnommene Ziele verfolgten, vorbild= detaillierte Forschungen haben dargetan, daß die 
lich gewesen. Kirchenväter sich nirgends als Gegner des Privat- 
In der Apostelgeschichte (2, 44. 45 und 4, 34. # eigentums erweisen. Irdischer Besitz — das ist 
35) erzählt der hl. Lukas, daß in der ganzen durchweg ihre Lehre — ist ein Gut, freilich nicht 
Christengemeinde zu Jerusalem die Besitzer von das höchste, da es häufig recht viele Gefahren für 
Ackern und Häusern ihre Güter verkauften und das natürliche und übernatürliche Leben mit sich 
den Erlös dafür zu den Füßen der Apostel nieder- führt. Das Verfügungsrecht des Menschen über 
legten, die ihn dann unter die Dürftigen verteilten irdischen Besitz ist kein vollständiges, das oberste 
Dieser Bericht hat zu der Theorie eines Kom= uneingeschränkte Eigentumsrecht steht Gott zu. So 
munismus im Urchristentum Anlaß gegeben. In= hat Gott mit reichem irdischem Besitz die Pflicht 
des hier handelt es sich nicht um eine öffentlich= des Almosengebens verknüpft. Diese Pflicht schär- 
rechtliche Aufhebung des Privateigentums und fen die Bäter in einer Zeit schroffer Besitzgegen- 
nicht um eine allgemein bindende Vorschrift, seinen sätze immer wieder ein, namentlich unter dem 
Besitz zu verkaufen und den Erlös dafür in den 
Dienst der Gesamtheit zu stellen, sondern um eine 
freie, dem Beweggrunde christlicher Nächstenliebe 
entnommene Hingabe von Gütern. Daß die 
Christen zu Jerusalem völlig frei waren in der 
Verfügung über ihr Besitztum, ergibt sich aus den 
Worten, die der hl. Petrus an Ananias richtete, 
als dieser nur einen Teil des Erlöses aus seinem 
verkauften Acker brachte und vorgab, dies sei der 
ganze Gewinn. Petrus sagte zu ihm: „Verblieb 
(der Acker) nicht unverkauft dein eigen? Und wenn 
er verkauft wurde, befand sich nicht der Erlös in 
deiner Verfügungsgewalt?“ Petrus spricht hier 
hinsichtlich des Grundbesitzes wie des Geldes volle 
Besitz= und Verfügungsfreiheit aus. — Ferner 
wurde nicht aller Besitz veräußert: die Apostelge- 
schichte erzählt nur, daß die Besitzer von Ackern 
und Häusern diese ihre liegenden Güter verkauft 
haben. Der Zweck dieser Besitzentäußerung war 
auch nicht, wie in einer kommunistischen Gesell- 
schaft, der Unterhalt der Gesamtheit schlechthin, 
Hinweis darauf, daß hierdurch eine gewisse Aus- 
gleichung unter den Christen herbeigeführt werde. 
Ihre diesbezüglichen Mahnungen nehmen infolge- 
dessen zuweilen kommunistischklingende Wendungen 
an (z. B. bei Basilius, Chrysostomus, Hierony- 
mue), insbesondere wenn sie sich in rhetorisch- 
schwunghafter Form auf das Vorbild der Besitz- 
ausgleichung in der jungen Christengemeinde zu 
Jerusalem berufen. Solche Darstellungen verfolgen 
indes erwiesenermaßen immer nur den Zweck, nicht 
den Kommunismus einzuführen, sondern in den 
Christen das Pflichtbewußtsein, den Armen zu 
helfen, recht lebendig zu erhalten. Die beständige 
Mahnung der Bäter zum Almosengeben setzt zu- 
dem Bestand und Berechtigung des Privateigen- 
tums notwendig voraus. 
Mißverständnis und Verdrehung gewisser christ- 
licher Lehren war für verschiedene Sekten des 
Mittelalters Anlaß zur Aufstellung kommunisti- 
scher Forderungen. Eine übertriebene Aszese, welche 
die Armut Christi und der Apostel ganz unter- 
  
sondern die Linderung der Notlage einzelner schiedslos allen Menschen zur Pflicht machen wollte, 
Christen. Als Norm für die Verteilung galt: führte zum Kommunismus bei den Katharern in 
K1qO Tig Npela ese“, „soweit jemand Be= Oberitalien und Südfrankreich, bei den Aposto- 
darf hatte". Als Erfolg der Verteilung wird ge= likern in der Lombardei. Eine falsche Mystik, die 
rühmt, daß „auch nicht ein Notleidender unter das vorgebliche Versunkensein in Gott für un- 
den Christen zu finden war“. Offenbar handelt vereinbar hielt mit irdischem Besitz, gelangte zu 
es sich also um eine organisierte Armenpflege, die derselben Konsequenz bei verschiedenen, durch chi- 
auf Grund freiwilliger Gutsentäußerungen der liastische Ideen verworrenen Irrlehren, so nament- 
Reichen möglich war. Daß bei den Verteilungen lich bei den Wiedertäufern, die zu Münster (1535) 
nur die Armen berücksichtigt wurden, ergibt sich vorübergehend „ein neues Reich Zion“ errichteten, 
ferner aus der Erwähnung eines täglich statt-= worin Gemeineigentum und Vielweibereiherrschten.
	        
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