Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

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Volkswirtschaft des Talentes (1906); Wygodzinski, 
Wandlungen der deutschen Volkswirtschaft (1907). 
— Die Lehre vom Kapital wird außerdem in sämt- 
lichen Lehrbüchern der Nationalökonomie behandelt. 
Einige derselben wurden im Text namhaft gemacht. 
[F. Walter.]) 
Kapitulation. 1. Kapitulationen 
mit den näheren und entfernteren 
Orientstaaten. Der Bezeichnung Kapitula- 
tion begegnet man zuerst in den Quellen und in 
der Geschichte des kanonischen Rechts. Die zu er- 
wählenden Kirchenfürsten mußten vor ihrer Wahl 
durch die Domkapitel diesen Zugeständnisse machen, 
insbesondere die genaue Einhaltung und Durch- 
führung der Synodalbeschlüsse geloben. In den 
Geschichtsdenkmälern der Kirchenverfassung des 
Mittelalters sind uns solche Kapimlationen von 
Bischöfen und Abten in großer Zahl aufbewahrt. 
Diese Art öffentlich-rechtlicher Vereinbarungen 
wurde sodann auf das Verhältnis der weltlichen 
Landesherren zu den Ständen wie auf jenes des 
römischen Königs zu seinen Wählern, den Kur- 
fürsten, übertragen. Auch hier war es üblich, daß 
die Wähler dem zu Erwählenden Bedingungen 
stellten, an die sie ihre Wahl knüpften. Insbe- 
sondere mußte er sich verpflichten, zu allen wich- 
tigen Regierungshandlungen vorerst die Zustim- 
mung der Kurfürsten durch sog. „Willebriefe“ 
einzuholen. Diese Bindung durch vorhergegangene 
Abmachungen wurde sodann auf die Rechts= und 
Verkehrsbeziehungen der abendländlichen Christen- 
heit zu den orientalischen Völkern übertragen. 
Mit der Türkei und andern mohammedanischen 
Staatswesen pflog man, da auf deren Vertrags- 
treue kein Verlaß war und auch eidliche Bekräf- 
tigung eines Traktates nicht zur Anwendung ge- 
langen konnte, bloß Übereinkommen, die gleich- 
falls die Bezeichnung Kapitulationen hatten und 
zum Teil noch haben. Den Hauptanlaß hierzu 
bot die Einführung und Ausgestaltung der konsu- 
larischen Institution in der Levante. Nach Zweck 
und Bestimmung kann man diese völkerrechtlichen 
Kapitulationen mit den Staaten des näheren und 
entfernteren Orients in zwei Gruppen scheiden. 
Die der ersten Gruppe angehörigen Kapitulationen 
bezwecken die Wahrung der Rechte und Interessen 
der christlichen Bevölkerung in den nicht christ- 
lichen Staaten, Verbindlichkeiten, die größtenteils 
in den Freibriefen der Beherrscher jener Völker 
festgelegt und in Kapitel und Artikel zusammen- 
gefaßt wurden — daher auch nach einer übrigens 
kaum zutreffenden Erklärung der Name „Kapi- 
tulation“. Die Kapitulationen der zweiten Gruppe 
betreffen Zugeständnisse, welche die christlichen 
Staaten den mohammedanischen für die ihren 
Angehörigen eingeräumten Bevorzugungen und 
Privilegien zu machen sich veranlaßt fanden. — 
Den wesentlichen Inhalt der Kapitulationen der 
ersten Gruppe bilden Zusicherungen über die Re- 
spektierung der Personen und des Eigentums, 
über die Freiheit des Handelsverkehrs, die Rechts- 
Kapitulation. 
  
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pflege nach nationalem Rechte der Handeltreiben- 
den durch eigene Organe, die Konsularrichter, 
deren Kompetenz sich allmählich zu einer vollen 
Zivil- und Strafgerichtsbarkeit wie Polizeiver- 
tretungs= und Schutzgewalt über ihre Landsleute 
erweiterte. Die Zugeständnisse betreffen ferner 
die Errichtung von Handelsniederlassungen, Mis- 
sionsanstalten, den Bau von Gotteshäusern und 
Spitälern, die Unterdrückung des Seeraubes und 
der Strandräuberei, die Beseitigung der Aneig- 
nung des Vermögens eines in diesen Ländern 
verstorbenen Fremden oder der Einhebung hoher 
Abzugsgelder. Zur zweiten Gruppe von Kapi- 
tulationen gehören die Vereinbarungen über jene 
Häfen, welche den Europäern zugänglich sein 
sollen (Vertragshäfen), über Art und Ausmaß 
der Entrichtung von Zöllen und Abgaben, über 
das Vorkaufsrecht (droit de préemption) und 
die Befugnis der islamischen Staaten, sich der in 
ihren Küstengewässern verweilenden fremdländi- 
schen Fahrzeuge zu Transportzwecken gegen Ent- 
schädigung zu bedienen, ferner über wechselseitige 
Rechtshilfe und Schutzleistung und dergleichen 
mehr. 
Die Originale vieler dieser Kapitulationsur- 
kunden sind längst nicht mehr vorhanden. Man- 
ches lebt nur noch in der Überlieferung und auch 
da nur sehr unsicher fort. Tatsächlich werden unter 
Berufung auf derlei Kapitulationen Ansprüche 
an die Pfortenregierung erhoben, die sich am 
allerwenigsten konventionsmäßig begründen lassen. 
Man begreift da die Abneigung der Pforte gegen 
die Kapitulationen und ihren Wunsch, dieselben 
aus der Welt zu schaffen, um so der fortwähren- 
den Einmischung in die türkische Verwaltung und 
Justiz, die bei deren Unzuverlässigkeit ein notwen- 
diges Übel sein mag, den Boden zu entziehen. 
Besonders typische Bedeutung besitzt in der Ge- 
schichte der Kapitulationen das von Frankreich 
mit der Pforte 1535 getroffene Ubereinkommen. 
Dasselbe wurde zum Vorbilde für spätere Kon- 
ventionen der europäischen Staaten mit der Türkei. 
Die ursprünglichen Kapitulationen wurden jedes- 
mal bei ihrer Erneuerung auch erweitert. So 
erwirkte Frankreich 1740 seine Anerkennung als 
Schutzmacht über die Christen im Orient, während 
Rußland alsbald ein ähnliches Protektorat über 
die Angehörigen der christlich-orientalischen Kirche 
in den Ländern der Türkei in Anspruch nahm. 
Wie man sich erinnert, hat Kaiser Wilhelm II. 
anläßlich des Besuches der heiligen Stätten — 
Oktober 1898 — die deutschen Untertanen im 
Orient als ausschließlich unter deutschem Reichs- 
chutz stehend erklärt. Für Großbritannien ist 
die Kapitulation von 1580 und deren Ergänzung 
von 1675 maßgebend. Den Holländern wurden 
bezüglich der Handelsniederlassungen, der Schiff- 
fahrt, der konsularischen Vertretung 1612 ähn- 
liche Zugeständnisse gemacht. Für Osterreich kommt 
in erster Reihe die Kapitulation von 1615 in 
Betracht, ferner deren Bestätigung von 1718 und 
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