Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

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ferenzen), der Gesetzgebung, Rechts- und Wohl- 
fahrtspflege (Arbeiterschutzkonferenz 1890), des 
Gesundheitswesens und der Maßnahmen gegen 
ansteckende Krankheiten (Sanitätskonferenz). 
Typische Merkmale für die Unterscheidung zwi- 
schen Kongreß und Konferenz haben sich nirgends 
herausgebildet. Es kann der Unterschied nicht da- 
rin gesehen werden, daß die Kongresse Versamm- 
lungen von Staatsoberhäuptern oder ihrer Mini- 
ster der auswärtigen Angelegenheiten, die Kon- 
ferenzen nur Vereinigungen von Spezialbevoll= 
mächtigten seien, denn dies entspricht keineswegs 
den Tatsachen. Ebensowenig ist maßgebend, daß 
auf Kongressen die wichtigsten Angelegenheiten der 
europäischen Staatengemeinschaft entschieden wur- 
den (zu Münster und Osnabrück 1648, Pyre- 
näischer Friede 1659, Aachen 1668, Nimwegen 
1678, Ryswyk 1697, Utrecht 1713, Aachen 
1748, Teschen 1779, Wien 1814/15, Paris 
1856, Berlin 1878), denn die neuere Zeit kennt 
Konferenzen, die sich mit Gegenständen zu befassen 
hatten, die an Wichtigkeit den sonst auf Kon- 
gressen verhandelten Angelegenheiten nicht nach- 
stehen (Berliner Kongokonferenz 1884/85, Brüsse- 
ler Konferenz 1874 über Kodifizierung von Kriegs- 
regeln und Kriegsbrauch im Landkriege, Haager 
Friedenskonferenzen 1899 und 1907). Die Kon- 
gresse zeichnen sich allerdings durch größere Feier- 
lichkeit aus und genießen darum ein erhöhtes An- 
sehen; die Verhandlungen tragen meist politischen 
Charakter, und ein Teil des Programms ergibt 
sich (z. B. nach großen Kriegen) erst im Laufe der 
Verhandlungen, während auf Konferenzen der 
Gegenstand der Verhandlungen vielfach bestimmt 
umgrenzt ist. Aber in rechtlicher Beziehung haben 
die Verhandlungen und Beschlüsse dieselbe Bedeu- 
tung wie die der Kongresse. 
2. Der Zusammentritt von Kongressen 
oder Konferenzen kann bei einer zwischen Staaten 
schwebenden Angelegenheit von einem jeder dieser 
Staaten oder einer dritten vermittelnden Macht 
durch Antrag angeregt, bei einer nicht aktuellen, 
aber die Völkerrechtsgemeinschaft berührenden An- 
gelegenheit (z. B. Ausgestaltung des Völkerrechts, 
Schaffung von Verwaltungsunionen) von jedem 
Staat zur Erwägung gestellt werden (Schweiz be- 
züglich des Eisenbahnfrachtverkehrs 1877, Deutsch- 
land betr. Arbeitergesetzgebung 1890, Rußland 
und Vereinigte Staaten betr. der Haager Friedens- 
konferenzen 1899 und 1907). In den Fällen der 
Berufung der Versammlung durch eine vermittelnde 
Macht ist auch diese berechtigt, an der Zusammen- 
kunft teilzunehmen. In Fragen, welche die Völker- 
gemeinschaft ausnahmslos berühren, soll kein Staat 
ausgeschlossen sein. Mit Recht wurde es gerügt, 
daß zur Haager Friedenskonferenz von 1899 ein 
Vertreter der südafrikanischen Republiken aus Rück- 
sicht für England nicht eingeladen wurde. Die 
kollegiale Tätigkeit der versammelten Bevollmäch- 
tigten beginnt mit der Ernennung des Präsidiums, 
welches nach der herrschenden Praxis dem Mini- 
  
Konkordate. 
  
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ster des Auswärtigen desjenigen Staates über- 
tragen zu werden pflegt, in welchem die Versamm- 
lung tagt. Es folgt sodann der Austausch und 
die Prüfung der Vollmachten, die Bestellung des 
Bureaus sowie die Verständigung über die Ge- 
schäftsordnung eventuell über die Verhandlungs- 
sprache und die Art der Abstimmung. Mojoritäts- 
beschlüsse sind, soweit nicht für gewisse Fragen von 
geringerem Interesse (z. B. bezüglich des Geschäfts- 
ganges) das Gegenteil ausgemacht wird, ausge- 
schlossen. Die Verhandlungen und Entscheidungen 
der Vollversammlung werden durch Kommissions- 
beratungen vorbereitet, alle wichtigen Anträge und 
Beschlüsse in unterzeichnete Protokolle gebracht. 
Das Gesamtergebnis wird in eine gemeinsame 
Kongreß= oder Konferenz= oder General- 
akte zusammengefaßt, mit welcher deren Annexe 
gleiche Kraft haben. In diesem formellen Ergeb- 
nis. das meistens noch der Ratifikation seitens der 
obersten Vertretungsorgane der einzelnen Staaten 
bedarf. kommt der Wille der beteiligten Staaten 
zum Ausdruck, daher nur diese durch die Be- 
schlüsse gebunden sind. Doch kann auch an der 
Verhandlung nicht beteiligten Staaten der Bei- 
tritt offen gelassen werden. 
Literatur. Zaleski, Die völkerrechtliche Be- 
deutung der Kongresse (1874); Holtzendorff, Handb. 
III, § 175; Ullmann, Völkerrecht (21908) 88 72, 
73; Nippold, Die Fortbildung des Verfahrens in 
völkerrechtlichen Streitigkeiten (1907). 
LLentner, rev. Ebers.) 
Konkordate. (Begriff; Natur und bin- 
dende Kraft; Legaltheorie, Privilegientheorie; 
Vertragstheorie; Konsequenzen aus dem Vertrags- 
charakter.] 
1. Konkordate sind Vereinbarungen zwischen 
Kirche und Staat über Angelegenheiten von ge- 
meinsamem Interesse, welche dadurch dauernd 
rechtlich geregelt werden sollen. Hierbei kann es 
sich ebensowohl um die Reglung von nur einzelnen 
Fragen und Gegenständen (z. B. Zirkumskription 
und Dotation der Dibzesen) wie um die gesamte 
rechtliche Stellung der Kirche in einem bestimmten 
Staate, um die Festlegung eines ganzen kirchen- 
politischen Systems handeln. Ob diese Verein- 
barungen formell den Namen Konkordate tragen 
oder nicht (Konvention, Zirkumskriptionsbulle), 
ist ohne Bedeutung. 
Zuständig zum Abschluß eines Konkordates ist 
kirchlicherseits allgemein der Papst als Oberhaupt 
der katholischen Kirche, innerhalb seiner Kompetenz 
auch der Diözesanbischof; staatlicherseits die Re- 
gierung des betreffenden Landes. Ob die Regie- 
rung zum Konkordatsabschluß der Zustimmung 
der Volksvertretung bedarf, hängt von der Ver- 
fassung des betreffenden Landes ab und ist eine 
rein staatsrechtliche Frage; in der Regel wird es 
jetzt der Fall sein, da meistens Geldbewilligungen 
oder Anderung gesetzlicher Zustände in Frage 
kommen. Direkte Rechtsverbindlichkeit für die 
Untertanen schafft die Vereinbarung noch nicht;
	        
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