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Keine abstrakte Begriffsjuristik kann darüber
hinwegtäuschen, daß Staat und Kirche vonein-
ander unabhängige Rechtsgebiete und Befugnisse
haben, auf die ein Rechtsanspruch dem andern
Teile nicht zusteht. Gerade deshalb aber ist es
auch möglich, daß Staat und Kirche Verein-
barungen treffen, wonach dem Staate vertrags-
weise Befugnisse auf kirchlichem Gebiete eingeräumt
werden, während umgekehrt der Staat sich ver-
pflichtet, seine Gewalt und Befugnis in bestimmter
Weise in den Dienst kirchlicher Aufgaben zu stellen.
Diese Notwendigkeit für beide Teile, bei be-
stimmten kirchenpolitischen Wünschen sich zu ver-
einbaren, bleibt auf Grund von beiderseits unab-
hängigen Rechtssphären bestehen, auch wenn man
durchaus anerkennt, daß das Gebiet der Vertrags-
notwendigkeit für beide Teile im modernen Rechts-
staat sich gemindert hat; insofern nämlich in
manchen Punkten jetzt durch rechtsstaatliche Garan-
tien das für Sicherung kirchlicher Aufgaben er-
reicht werden kann, was früher, da überhaupt das
öffentliche Recht viel mehr vom ius pactititium
durchsetzt und getragen war, durch vertragsmäßige
Abmachungen zwischen Kirche und Staat bewerk-
stelligt wurde.
4. Die Privilegientheorie, welche eine
vertragsmäßige rechtliche Bindung des Papstes
durch die Konkordate nicht zugibt und die kirch-
lichen Zugeständnisse an den Staat als rechtlich
frei zurücknehmbare päpstliche Privilegien erklärt,
geht vor allem von folgenden zwei Gesichtspunkten
aus. Einmal fehlt nach ihr die Voraussetzung für
einen zweiseitigen Vertrag zwischen Kirche und
Staat, insofern zwar die Kirche in der Lage ist,
dem Staate Konzessionen zu machen, dieser aber
eigentlich freie Leistung nicht dafür als Gegen-
ersatz der Kirche bieten kann. Die Kirche hat
schlechtweg ein Recht, Unterstützung von seiten der
Staatsgewalt zu verlangen, die sie sich nur noch
in bestimmter Form feierlich zusichern läßt. Diese
Theorie übersieht, daß das kirchenpolitische System
der Verbindung von Staat und Kirche zwar ein
sehr wünschenswertes, aber kein naturrechtlich ab-
solut gebotenes ist und daß der Staat wohl in der
Lage ist, der Kirche freie Förderung und Unter-
stützung vertragsmäßig zuzusichern. Sodann hat
der Staat zwar keinerlei Rechte am innern Leben
der Kirche, aber die bürgerlich-weltliche Seite der
kirchlichen Lebensäußerungen ist nicht in allem der
staatlichen Zuständigkeit entzogen. Auf diesem
Grenzgebiet ist der Staat ebenfalls in der Lage,
durch freie Zugeständnisse eine friedliche Grenz-
regulierung zu erleichtern. Die Uberspannung des
kirchlichen Unabhängigkeitsgedankens, als ob die
Kirche auch in allen bürgerlich-weltlichen Seiten
ihrer Lebensäußerungen der staatlichen Zuständig-
keit vollständig entzogen wäre, ist der Hauptnähr=
boden der Privilegientheorie, wie umgekehrt die
Legaltheorie ihre Stütze in der Identifizierung
— Souveränität und absoluter Staatsallmacht
ndet.
Konkordate.
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Der zweite Einwand, den die Vertreter der
Privilegientheorie gegen die Möglichkeit einer
rechtlichen Bindung der Kirche erheben, geht da-
hin, daß die Kirche selbst nicht berechtigt sei, ver-
tragsmäßig auf ihre gottgegebenen, von welltlicher
Gewalt unabhängigen Befugnisse zu verzichten.
Der Papst könne unmöglich in rechtlich bindender
Weise kirchliche Vollmachten veräußern, die von
Christus der Kirche als unveräußerlich gegeben
seien. Hingegen ist zu sagen, daß es sich bei der
rechtlichen Bindung des Papstes bezüglich der
Ausübung seiner Kompetenz gar nicht um unstatt-
hafte absolute Entäußerung kirchlicher Rechte han-
delt, ebensowenig wie umgekehrt um Entäußerung
staatlicher Rechte, sondern um die vertragsmäßige
Zusicherung „einer bedingungsweisen Überlassung
an sich kirchlicher Befugnisse“ (Cathrein, Moral--
philosophie II I21893 J 633). Diese Bedingung
aber ist, wie wir gleich sehen werden, die, daß die
Art der Ausübung von an sich kirchlichen Befug-
nissen durch den Staat nicht verstoße gegen ein
Lebensinteresse der Kirche, und daß die Kirche da-
durch nicht an der Betätigung ihrer Aufgaben
gehindert werde.
5. Was an der Legal= wie an der Privilegien-
theorie Wahres ist, das kommt voll zur Geltung
auf dem Boden einer dritten Auffassung der Kon-
kordate, auf dem Boden der Vertragstheorie,
die den unentbehrlichen Vorzug hat, daß sie nicht
wie die beiden andern Theorien mit der unbestreit-
baren Absicht der beiden Teile, sich gegenseitig zu
binden, in offenkundigem Widerspruch steht.
Diese dritte Theorie hält in vollstem Einklang
mit der Art und Weise des Zustandekommens der
Konkordate daran fest, daß die Konkordate Ver-
träge sind, und zwar wirkliche Verträge, die eine
gegenseitige rechtliche Bindung herbeiführen. Diese
Auffassung übersieht aber auch nicht, daß es sich
bei den Konkordaten nicht um privatrechtliche Ver-
träge handelt, sondern um eigenartige öffentliche
Verträge, bei denen — analog den völkerrecht-
lichen — die gegenseitige rechtliche Bindung keine
starre und absolute ist, deren rechtliche Fortdauer
vielmehr abhängt von der stillschweigend beigesetz-
ten, aber selbstverständlichen Klausel rebus sie
stantibus. Wenn Kirche und Staat durch ein
Konkordat vertragsmäßig sich binden, so heißt
das nicht, daß sie auch dann noch gebunden seien,
wenn unter veränderten Verhältnissen die Ver-
einbarungen gegen ein Lebensinteresse von Kirche
oder Staat mißbraucht würden oder die Aus-
übung wesentlicher Aufgaben von Kirche und
Staat direkt hinderten.
Die Vertreter der Vertragstheorie begründen
ihre Ansicht von der rechtlichen Bindung von
Staat und Kirche durch ein Konkordat damit, daß
sie sagen: ein Vertrag mit gegenseitiger Bindung
zwischen Kirche und Staat ist an sich möglich;
und beim Abschluß von Konkordaten wird diese
gegenseitige Bindung von beiden Teilen auch tat-
sächlich bald formell bald durch die ganze Art