Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

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Aufsicht über die ihm untergeordneten Organe zu 
führen und darüber zu wachen, daß ihre Tätigkeit 
der Verfassung und den Gesetzen entspricht. Für 
etwaige den Strafgesetzen zuwiderlaufende Amts- 
vergehen und Verbrechen kann daher ein Minister 
wie jeder andere Staatsbeamte zur strafgericht- 
lichen Verantwortung gezogen werden. Eine diszi- 
plinarische Ahndung einer Verfehlung dagegen 
kann, da er keine vorgesetzte Dienstbehörde hat, 
nur vom Monarchen selbst ausgehen und in der, 
wie bereits bemerkt, allzeit zulässigen Entlassung 
aus dem Amte zum Ausdrucke kommen. 
Es ist einleuchtend, daß lediglich diese straf- 
rechtlichen oder disziplinarischen Möglichkeiten in 
einem konstitutionellen Staate nicht ausreichen, 
dem Volke die erwünschten Garantien für eine der 
Verfassung und den Gesetzen gemäße, das Beste 
des Landes fördernde Regierung zu gewähren. 
Gerade die wichtigste Handlung eines Ministers, 
die Gegenzeichnung eines für das Staatswohl 
als verderblich erkannten Regierungsaktes, könnte 
unter Umständen, wenn sie keine Gesetzesverletzung 
enthält, nicht geahndet werden. Es ist daher in 
allen konstitutionell regierten Staaten wenigstens 
prinzipiell ausgesprochen, daß außerdem die Mi- 
nister noch durch die Volksvertretung selbst zur 
Verantwortung gezogen werden können. In man- 
chen Verfassungen, wie z. B. in der Verfassung 
des Deutschen Reiches in bezug auf den Reichs- 
kanzler, ist es aber auch bei einer solchen bloß 
prinzipiellen Erklärung verblieben. Fast in allen 
Verfassungen, die deutsche Reichsverfassung auch 
hier ausgenommen, kommt dann noch hinzu, daß 
die Volksvertretung die Gegenwart der Minister 
behufs Erlangung der gewünschten Aufschlüsse und 
Erklärungen zu fordern berechtigt ist, ein Recht, 
dem die Befugnis der Minister, jederzeit zum 
Worte zugelassen zu werden, gegenübersteht. Im 
übrigen aber ist diese sog. „parlamentarische Mi- 
nisterverantwortlichkeit“ nach dem positiven Staats- 
rechte der verschiedenen Staaten in sehr verschie- 
denem Maße ausgebildet. Manche Verfassungen 
beschränken sich darauf, auszusprechen, daß die 
Minister „wegen Verfassungsverletzung“ „durch die 
Volksvertretung angeklagt“ werden können. Einige 
Staaten dehnen dieses Anklagerecht noch auf an- 
dere Verfehlungen aus; die preußische Verfassung 
z. B. bestimmt (in Art. 61), daß die Minister 
durch Beschluß einer Kammer „wegen des Ver- 
brechens der Verfassungsverletzung, der Bestechung 
und des Verrats“ angeklagt werden können. Nur 
wenige Verfassungen drücken sich allgemeiner aus, 
wie z. B. die badische Verfassung, die auch eine An- 
klage wegen „schwerer Gefährdung der Sicherheit 
und Wohlfahrt des Staates“ zuläßt. Nach neuerer 
staatsrechtlicher Auffassung aber erstreckt sich die 
parlamentarische Verantwortlichkeit der Minister 
auf den ganzen Umfang ihrer Zuständigkeit, d. h. 
daß sie wegen jeder Verletzung einer Amtspflicht 
von der Volksvertretung in Anklagezustand versetzt 
werden könnten. Und das soll auch dort gelten, 
  
Konstitutionalismus. 
  
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wo, wie eben für Preußen bemerkt, die Anklage- 
fälle in den Verfassungen ausdrücklich bezeichnet 
sind. — Ebensowenig bestimmt wie diesen Umfang 
und Inhalt der parlamentarischen Ministerver- 
antwortlichkeit hat das positive Staatsrecht im all- 
gemeinen das Verfahren ausgebildet, in welchem 
über die Ministeranklage befunden werden soll. 
Die preußische Verfassung z. B. hat diesbezügliche 
Vorschriften einem besondern, bis heute noch nicht 
ergangenen Gesetze vorbehalten. Allgemein gilt, 
daß es zur Eröffnung des Verfahrens eines Be- 
schlusses der Volksvertretung bedarf, durch welchen 
die Anklage erhoben wird und aus der Natur der 
Dinge folgt, daß nicht die Volksvertretung in 
ihrer Gesamtheit, sondern nur durch Kommissare 
diese Anklage vor dem zur Aburteilung berufenen 
Gerichtshofe vertreten kann. Was diesen Gerichts- 
hof anlangt, so wird er allgemein als Staats- 
gerichtshof bezeichnet und von einigen Verfassungen 
in Ansehung seiner Zusammensetzung näher ge- 
regelt. Wo dies nicht der Fall, da fungiert be- 
stimmungsgemäß meistens der oberste Gerichtshof 
der Monarchie als Staatsgerichtshof. — Wo in 
den Verfassungen es an einer Ordnung des Ver- 
fahrens und der näheren Angabe der Anklagefälle 
fehlt, da mangelt es auch an einer Bestimmung 
über die zu verhängende Strafe. Im übrigen aber 
teilen sich die Verfassungen nach dem Vorgange 
der englischen oder der nordamerikanischen in 
solche, die, wie jene, eine peinliche Strafe oder, 
wie diese, nur die disziplinarische Strafe der 
Dienstentlassung unter Überweisung des ange- 
klagten Ministers zur weiteren strafrechtlichen Ab- 
urteilung an die ordentlichen Gerichte vorsehen. 
Wo jenes der Fall, d. h. also wo die Zuerkennung 
einer peinlichen Strafe zugelassen ist, da ist meistens 
das Recht des Monarchen zur Begnadigung des 
verurteilten Ministers verfassungsmäßig aufge- 
hoben oder beschränkt. Ist dagegen nur die diszi- 
plinarische Dienstentlassung angängig, da ist es 
selbstverständlich, daß, falls sie tatsächlich aus- 
gesprochen wird, eine Wiederaufnahme des Mi- 
nisters in den Staatsdienst nur mit Zustimmung 
der Volksvertretung statthaben kann. 
8. Schon aus diesen letzteren Bemerkungen er- 
gibt sich, daß die Tätigkeit der Volksvertretung 
im konstitutionellen Staate sich nicht auf die Mit- 
wirkung bei der Gesetzgebung beschränkt. In der 
Tat besitzt die Volksvertretung in allen konsti- 
tutionellen Staaten in dem ihr verfassungsmäßig 
eingeräumten Budgetrecht die Möglichkeit, einen 
erheblichen Anteil an der Verwaltung und eine 
wirksame Kontrolle derselben auszuüben. Das 
Nähere über dieses Recht muß dem Artikel Staats- 
haushalt vorbehalten bleiben; hier ist nur folgen- 
des zu bemerken. Zwar besitzen die Volksver- 
tretungen der Staaten mit Verfassungen aus der 
Zeit vor 1848, also namentlich die der deutschen 
Mittelstaaten, kein formelles Recht, das jährlich 
aufzustellende Budget zu genehmigen oder abzu- 
lehnen, sondern nur eine aus ihrem Steuerbe-
	        
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