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Aufsicht über die ihm untergeordneten Organe zu
führen und darüber zu wachen, daß ihre Tätigkeit
der Verfassung und den Gesetzen entspricht. Für
etwaige den Strafgesetzen zuwiderlaufende Amts-
vergehen und Verbrechen kann daher ein Minister
wie jeder andere Staatsbeamte zur strafgericht-
lichen Verantwortung gezogen werden. Eine diszi-
plinarische Ahndung einer Verfehlung dagegen
kann, da er keine vorgesetzte Dienstbehörde hat,
nur vom Monarchen selbst ausgehen und in der,
wie bereits bemerkt, allzeit zulässigen Entlassung
aus dem Amte zum Ausdrucke kommen.
Es ist einleuchtend, daß lediglich diese straf-
rechtlichen oder disziplinarischen Möglichkeiten in
einem konstitutionellen Staate nicht ausreichen,
dem Volke die erwünschten Garantien für eine der
Verfassung und den Gesetzen gemäße, das Beste
des Landes fördernde Regierung zu gewähren.
Gerade die wichtigste Handlung eines Ministers,
die Gegenzeichnung eines für das Staatswohl
als verderblich erkannten Regierungsaktes, könnte
unter Umständen, wenn sie keine Gesetzesverletzung
enthält, nicht geahndet werden. Es ist daher in
allen konstitutionell regierten Staaten wenigstens
prinzipiell ausgesprochen, daß außerdem die Mi-
nister noch durch die Volksvertretung selbst zur
Verantwortung gezogen werden können. In man-
chen Verfassungen, wie z. B. in der Verfassung
des Deutschen Reiches in bezug auf den Reichs-
kanzler, ist es aber auch bei einer solchen bloß
prinzipiellen Erklärung verblieben. Fast in allen
Verfassungen, die deutsche Reichsverfassung auch
hier ausgenommen, kommt dann noch hinzu, daß
die Volksvertretung die Gegenwart der Minister
behufs Erlangung der gewünschten Aufschlüsse und
Erklärungen zu fordern berechtigt ist, ein Recht,
dem die Befugnis der Minister, jederzeit zum
Worte zugelassen zu werden, gegenübersteht. Im
übrigen aber ist diese sog. „parlamentarische Mi-
nisterverantwortlichkeit“ nach dem positiven Staats-
rechte der verschiedenen Staaten in sehr verschie-
denem Maße ausgebildet. Manche Verfassungen
beschränken sich darauf, auszusprechen, daß die
Minister „wegen Verfassungsverletzung“ „durch die
Volksvertretung angeklagt“ werden können. Einige
Staaten dehnen dieses Anklagerecht noch auf an-
dere Verfehlungen aus; die preußische Verfassung
z. B. bestimmt (in Art. 61), daß die Minister
durch Beschluß einer Kammer „wegen des Ver-
brechens der Verfassungsverletzung, der Bestechung
und des Verrats“ angeklagt werden können. Nur
wenige Verfassungen drücken sich allgemeiner aus,
wie z. B. die badische Verfassung, die auch eine An-
klage wegen „schwerer Gefährdung der Sicherheit
und Wohlfahrt des Staates“ zuläßt. Nach neuerer
staatsrechtlicher Auffassung aber erstreckt sich die
parlamentarische Verantwortlichkeit der Minister
auf den ganzen Umfang ihrer Zuständigkeit, d. h.
daß sie wegen jeder Verletzung einer Amtspflicht
von der Volksvertretung in Anklagezustand versetzt
werden könnten. Und das soll auch dort gelten,
Konstitutionalismus.
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wo, wie eben für Preußen bemerkt, die Anklage-
fälle in den Verfassungen ausdrücklich bezeichnet
sind. — Ebensowenig bestimmt wie diesen Umfang
und Inhalt der parlamentarischen Ministerver-
antwortlichkeit hat das positive Staatsrecht im all-
gemeinen das Verfahren ausgebildet, in welchem
über die Ministeranklage befunden werden soll.
Die preußische Verfassung z. B. hat diesbezügliche
Vorschriften einem besondern, bis heute noch nicht
ergangenen Gesetze vorbehalten. Allgemein gilt,
daß es zur Eröffnung des Verfahrens eines Be-
schlusses der Volksvertretung bedarf, durch welchen
die Anklage erhoben wird und aus der Natur der
Dinge folgt, daß nicht die Volksvertretung in
ihrer Gesamtheit, sondern nur durch Kommissare
diese Anklage vor dem zur Aburteilung berufenen
Gerichtshofe vertreten kann. Was diesen Gerichts-
hof anlangt, so wird er allgemein als Staats-
gerichtshof bezeichnet und von einigen Verfassungen
in Ansehung seiner Zusammensetzung näher ge-
regelt. Wo dies nicht der Fall, da fungiert be-
stimmungsgemäß meistens der oberste Gerichtshof
der Monarchie als Staatsgerichtshof. — Wo in
den Verfassungen es an einer Ordnung des Ver-
fahrens und der näheren Angabe der Anklagefälle
fehlt, da mangelt es auch an einer Bestimmung
über die zu verhängende Strafe. Im übrigen aber
teilen sich die Verfassungen nach dem Vorgange
der englischen oder der nordamerikanischen in
solche, die, wie jene, eine peinliche Strafe oder,
wie diese, nur die disziplinarische Strafe der
Dienstentlassung unter Überweisung des ange-
klagten Ministers zur weiteren strafrechtlichen Ab-
urteilung an die ordentlichen Gerichte vorsehen.
Wo jenes der Fall, d. h. also wo die Zuerkennung
einer peinlichen Strafe zugelassen ist, da ist meistens
das Recht des Monarchen zur Begnadigung des
verurteilten Ministers verfassungsmäßig aufge-
hoben oder beschränkt. Ist dagegen nur die diszi-
plinarische Dienstentlassung angängig, da ist es
selbstverständlich, daß, falls sie tatsächlich aus-
gesprochen wird, eine Wiederaufnahme des Mi-
nisters in den Staatsdienst nur mit Zustimmung
der Volksvertretung statthaben kann.
8. Schon aus diesen letzteren Bemerkungen er-
gibt sich, daß die Tätigkeit der Volksvertretung
im konstitutionellen Staate sich nicht auf die Mit-
wirkung bei der Gesetzgebung beschränkt. In der
Tat besitzt die Volksvertretung in allen konsti-
tutionellen Staaten in dem ihr verfassungsmäßig
eingeräumten Budgetrecht die Möglichkeit, einen
erheblichen Anteil an der Verwaltung und eine
wirksame Kontrolle derselben auszuüben. Das
Nähere über dieses Recht muß dem Artikel Staats-
haushalt vorbehalten bleiben; hier ist nur folgen-
des zu bemerken. Zwar besitzen die Volksver-
tretungen der Staaten mit Verfassungen aus der
Zeit vor 1848, also namentlich die der deutschen
Mittelstaaten, kein formelles Recht, das jährlich
aufzustellende Budget zu genehmigen oder abzu-
lehnen, sondern nur eine aus ihrem Steuerbe-