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willigungsrechte resultierende Befugnis, das Bud-
get auf die Notwendigkeit und Angemessenheit der
Ausgaben hin zu prüfen, und eine mit dieser
Prüfung in Wechselwirkung stehende Befugnis,
gewisse Steuern periodisch weiter zu bewilligen
oder zu versagen. Und die aus der Zeit nach 1848
stammenden Verfassungen, namentlich die Preu-
ßens und im Anschlusse daran des Deutschen
Reiches, auch Osterreichs, haben, wenn auch in
verschiedenen Formulierungen, die Bestimmung,
daß die periodische (meist jährliche) Feststellung
des Staatshaushaltsetats durch ein Gesetz zu er-
folgen habe und daß Steuern und Abgaben für
die Staatskasse, falls sie nicht durch ein beson-
deres Gesetz angeordnet wurden, nur, soweit sie
in den Staatshaushaltsetat aufgenommen sind,
erhoben werden dürfen. In beiden Staaten-
gruppen aber — und zwar unbestritten auch in
der letzteren trotz der hier ausdrücklich vorgeschrie-
benen Gesetzesform — hat die Budgetfeststellung
den Charakter eines Verwaltungsakts, und auf ihn
hat die einzelne Volksvertretung nach Maßgabe
des Gesagten den gewichtigsten materiellen Einfluß,
wobei an dieser Stelle dahingestellt bleiben kann,
ob die Volksvertretung eines Staates der letzteren
Gruppe nach allgemeinen budgetrechtlichen Prin-
zipien die Befugnis hat, das Zustandekommen
eines Etatsgesetzes überhaupt zu verhindern. Dazu
kommt dann in allen konstitutionellen Staaten die
Verpflichtung der Regierung, bei Etatsüberschrei-
tungen nachträgliche Genehmigung der Volksver-
tretung nachzusuchen und überhaupt die Rech-
nungen über den Staatshaushaltsetat der Volks-
vertretung zur Entlastung der Regierung vorzu-
legen, wodurch eine wirksame Kontrolle der ge-
samten Tätigkeit der letzteren eröffnet wird. Denn
bei allen diesen Gelegenheiten ergibt sich für die
Volksvertretung die Möglichkeit, die letztere einer
Besprechung zu unterziehen und, wie unter 7 be-
merkt, von den Ministern die erforderlichen Auf-
klärungen bzw. Abhilfe von Mißständen zu ver-
langen. Uberdies steht in allen konstitutionellen
Staaten den Mitgliedern der Volksvertretung das
Recht zu, unter Einhaltung gewisser, durch die
Geschäftsordnung vorgesehenen Formen feierliche
Anfragen über einzelne Angelegenheiten und Vor-
gänge, sog. Interpellationen, an die Minister zu
richten, um an der Hand ihrer Beantwortung die
ministerielle Verwaltung einer Kritik und Kon-
trolle zu unterwerfen. Dieses Interpellationsrecht
ist indessen in den Verfassungen meist nicht näher
ausgebildet, wenn nicht gar übergangen. So ist
vor allem selten, z. B. in der bayrischen, aber nicht
in der preußischen Verfassung, den Ministern eine
Pflicht zur Beantwortung einer solchen Inter-
pellation auferlegt. Aber als Konsequenz des unter
7 Gesagten ergibt sich, daß eine Weigerung, den
mit der Interpellation gerügten Mißständen ab-
zuhelfen, am letzten Ende zu den dort erwähnten
Maßnchmen seitens der Volksregierung führen
unte.
Konstitutionalismus.
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9. Es würde jedoch eine vollständige Verken-
nung der staatsrechtlichen Stellung der Volksver-
tretung im konstitutionellen Staatssystementhalten,
wollte man aus den vorerwähnten Befugnissen
heraus der Volksvertretung die Stellung einer
mitregierenden obrigkeitlichen Macht zusprechen.
Sie ist allerdings ein integrierender Bestandteil
der Staatsorganisation, aber neben dem Mon-
archen und der Regierung zur positiven Mitwir-
kung, wie bemerkt, nur bei bestimmten Akten be-
rufen, im übrigen nur auf eine „positiv anregende,
negativ abhaltende, Volksrechte beschützende, kon-
trollierende Tätigkeit“ angewiesen und nur in
diesem beschränkten Sinne mitbestimmend bei den
wichtigsten staatlichen Angelegenheiten. Und es
wird gerade als eine Hauptaufgabe der Regie-
rungsvertreter hingestellt und von diesen angesehen,
dieses so geartete Mitbestimmungsrecht nicht zu
einer Teilhaberschaft an der Regierungsgewalt
werden zu lassen. Um eine solche Teilhaberschaft
ausüben zu können, fehlt übrigens der Volksver-
tretung die Eigenschaft einer permanent bestehen-
den Korporation. Sie ist lediglich ein politisches
Kollegium, das nur, wenn und solange es einbe-
rufen ist, seine Tätigkeit ausüben kann, also nur
während dieser Zeit eine rechtliche Existenz hat.
Ihre Stellung in dieser Beziehung ist um so
schwächer, als sie in keinem konstitutionellen Staate
ein Selbstversammlungsrecht hat, vielmehr die Ein-
berufung durch den Monarchen abwarten muß.
In den meisten Verfassungen ist allerdings der
Monarch gebunden, die Einberufung zu bestimmten
Terminen vorzunehmen; er hat aber auch ander-
seits das Recht, das Parlament zu vertagen, zu
schließen und aufzulösen mit der Maßgabe, daß,
behufs Verhütung eines Mißbrauchs dieser Be-
fugnisse, die Vertagung ohne Zustimmung des
Parlaments einen gewissen, meist kurz bemessenen
Zeitraum nicht überschreiten darf, und daß nach
einer Auflösung die Neuwahlen und die Zusammen-
berufung des Parlaments binnen bestimmten Fri-
sten statthaben müssen. Aber auch in diesen
Zwischenräumen, in denen ein Parlament nicht
existiert, ist ein Staat mit konstitutioneller Ver-
fassung keinen Augenblick ein absoluter Staat.
Auch in solchen Zeiträumen ist der Monarch nicht
befugt, allein Verfügungen mit gesetzlicher Kraft
zu erlassen; nur ist ihm in der Regel der Erlaß
sog. Notverordnungen, d. h. von Verordnungen,
die zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicher-
heit oder zur Beseitigung eines ungewöhnlichen
Notstandes, wie sich die preußische Verfassung
(Art. 63) ausdrückt, dringend erforderlich sind,
zugestanden. Solche Verordnungen dürfen natür-
lich nicht der Verfassung zuwiderlaufen und sind
dem Parlamente bei seinem nächsten Zusammen-
tritte zur nachträglichen Genehmigung vorzulegen.
In der Richtung nach dem Monarchen und der
Regierung übt demnach die Volksvertretung doch
einen ständigen staatsrechtlichen Einfluß. Voll-
ständig losgelöst erscheint sie dagegen rechtlich nach