Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

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Landsleute sowie deren Vertretung und Schutz 
überhaupt zustand. Nachdem bereits 1453 Genua 
und 1454 Venedig von Sultan Mohammed II. 
die förmliche Anerkennung und Erneuerung der 
bisherigen Privilegien erhalten hatten, schloß 
Franz I. von Frankreich 1535 mit Soliman II. 
einen Vertrag, der als Vorbild für die von der 
Türkei mit den übrigen europäischen Mächten in 
der Folgezeit zahlreich geschlossenen Kapitulatio- 
nen diente (vgl. d. Art. Kapitulation Sp. 29 ff). 
Auch mit andern nichtchristlichen Staaten wurden 
von den europäischen Mächten Verträge analogen 
Inhalts abgeschlossen, zuerst von Frankreich und 
Rußland mit Persien (1708/17), denen im 
19. Jahrh. solche der verschiedenen europäischen 
Staaten mit Persien, China, Japan, Siam, Korea, 
Maskat, Madagaskar und Sansibar folgten. 
Der absolute Gegensatz in Weltanschauung, 
Sitten und Gewohnheiten zwischen Orient und 
Okzident war es, der die Einräumung so weit- 
gehender Rechte der Konsuln in nichtchristlichen 
Ländern zur Folge haben mußte. Und „dieser 
Unterschied der Zivilisation und die infolgedessen 
ziemlich unverändert gebliebene Abschließung jener 
Länder gegenüber dem Einfluß jener Zivilisation, 
in der die christlichen Völker die Garantien einer 
konstanten Anerkennung der Rechte der Fremden 
und einer unparteiischen Justiz erblicken, haben 
auch heute in der Hauptsache ihre Bedeutung nicht 
verloren“ (Ullmann, Völkerrecht /219081 199 #f0. 
Infolgedessen gelten auch jetzt noch mit geringen 
Ausnahmen die Kapitulationen in den angegebenen 
Ländern. Bezüglich der Türkei hofften allerdings 
die Mächte, als bei Abschluß des Pariser Ver- 
trages 1856 die Türkei in die Völkerrechtsgemein- 
schaft aufgenommen wurde, durch eine Reorgani- 
sation der türkischen Verwaltung die Grundlage 
für die Aufhebung der Kapitulationen gewinnen 
zu können. Da aber diese Reorganisation aus- 
blieb, wurden auch die Kapitulationen nicht be- 
seitigt. Ob und inwieweit die Türkei in der 
Lage sein wird, die in dem österreichisch-türkischen 
Ententeprotokoll vom 26. Febr. 1909 ausge- 
sprochene Absicht, die Kapitulationen durch das 
Völkerrecht zu ersetzen (vgl. d. Art. Kapitulation 
Sp. 31), zu verwirklichen, muß die Zukunft zei- 
gen. Mindestens dürfte es zweifelhaft sein, ob die 
Großmächte schon jetzt in die Aufhebung der Kon- 
sulargerichtsbarkeit einwilligen. Nur in den ehe- 
maligen türkischen Gebieten, wo an die Stelle der 
mohammedanischen Regierung eine christliche ge- 
treten ist, oder die Verwaltung und Rechtsprechung 
europäischem Einfluß unterliegt, konnten Modi- 
fikationen der Konsulargerichtsbarkeit erfolgen. 
Durch den Berliner Vertrag von 1878 wurde 
allerdings bestimmt, daß in Bulgarien, Serbien 
und Rumänien die Konsulargerichtsbarkeit bestehen 
bleiben solle. Doch war sie in Rumänien bereits 
1877 bei der Unabhängigkeitserklärung aufge- 
hoben und wurde auch nicht wieder eingeführt. 
An die Stelle der Kapitulationen traten hier wie 
Konsuln. 
  
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auch in Serbien Konsularverträge mit den euro- 
päischen Mächten. Gleiches dürfte demnächst von 
Bulgarien, wo die Kapitulationen noch in Kraft 
stehen, zu erwarten sein. In Bosnien-Hercego- 
vina wurde die Konsulargerichtsbarkeit 1878 durch 
die Besetzung seitens Osterreichs unter gleichzeitiger 
Einrichtung nationaler Gerichtshöfe beseitigt; das- 
selbe gilt von Cypern und Tunis. Auch in Japan 
ist auf Grund besonderer Verträge seit 1894 die 
Konsulargerichtsbarkeit wenigstens zunächst probe- 
weise bis 1911 aufgehoben. 
Trotz der einflußreichen Stellung, welche den 
Konsuln im Orient dauernd zukam, wurde noch im 
18. Jahrh. die praktische Bedeutung der Berufs- 
konsuln im allgemeinen übersehen, wurde erst spät 
daran gedacht, diese wichtigen Amter mit Berufs- 
beamten zu besetzen und Einrichtungen zu deren 
Heranbildung für den Konsulardienst zu schaffen. 
Allerdings ist für die Organisation des Konsular-= 
dienstes Frankreich durch die Marineordonnanz 
Colberts von 1681 und besonders Osterreich durch 
eine Reihe von Maßnahmen, vor allem durch die 
Gründung der Orientalischen Akademie zu Wien 
1754, zur Ausbildung von Konsularbeamten den 
andern Staaten vorbildlich gewesen; indessen hat 
man im allgemeinen doch erst im 19. Jahrh. der 
Ausbildung des Konsularinstituts eingehende Auf- 
merksamkeit geschenkt. Durch Gesetzgebung und 
Verträge ist nunmehr von den meisten Staaten 
dem Konsularwesen eine seiner Bedeutung ent- 
sprechende feste Grundlage gegeben worden. 
II. Ouellen des Konsularrechts. Abktives 
und passives Konsularrecht. Konsularrecht 
ist der Inbegriff derjenigen Rechtssätze, welche 
Stellung, Rechte und Pflichten der Konsuln regeln. 
Quellen dieser Rechtssätze sind die speziellen 
Landesgesetze (Konsulargesetze und -verordnungen, 
Reglements, Instruktionen), das Herkommen und 
vor allem Staatsverträge, wie sie sich in Kapi- 
tulationen, Freundschafts-, Handels= und Schiff- 
fahrtsverträgen, neuerdings in eignen Konsular- 
verträgen, Niederlassungsverträgen usw. äußern. 
— Das aktive und passive Konsularrecht, d. h. 
das Recht, Konsuln zu entsenden und zu emp- 
fangen, ist wie das Gesandtschaftsrecht ein Aus- 
fluß der Souveränität des Staates. Indessen 
deckt es sich nicht mit dem Gesandtschaftsrecht. 
Denn einmal geht die gegenseitige Vertretung 
durch Konsuln heute weit über den Kreis der zur 
Völkerrechtsgemeinschaft gehörenden Staaten hin- 
aus, sodann besteht eine allgemeine Rechtspflicht 
zur Annahme von Konsuln nicht. Es hängt viel- 
mehr gänzlich vom Ermessen des einzelnen Staates 
ab, ob er fremde Konsuln überhaupt oder nur an 
einzelnen Orten zulassen will. Doch sind dieser 
Freiheit tatsächlich im Interesse des Verkehrs 
Grenzen gezogen. Die Staaten sichern sich in den 
betreffenden Verträgen das Recht zu, Konsuln für 
bestimmte Bezirke bzw. Plätze zu bestellen. Dabei 
spielt die Meistbegünstigungsklausel (vgl. d. Art. 
Handelsverträge Bd II, Sp. 1076) vielfach eine 
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