Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

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gegeben, welche die Staaten der Völkerrechtsgemein- 
schaft verbindet. Es können aber einzelne Staaten 
noch besonders hierzu autorisiert sein, sei es daß 
sie im Einzelfall von den Parteien darum ange- 
gangen werden, sei es daß sie vertragsmäßig ver- 
pflichtet sind, einem der Streitteile ihre guten 
Dienste zu leisten. So bestimmt z. B. der deutsche 
Handelsvertrag mit Korea von 1883, es werde, 
falls zwischen einem der Vertragsteile und einer 
dritten Macht Streitigkeiten entstünden, „der 
andere vertragschließende Teil auf ein diesfall- 
siges Ersuchen seine guten Dienste leihen und eine 
freundschaftliche Erledigung des Streites herbei- 
wird (Art. 5), nur, wie dusdrücklich hervorgehoben 
zuführen suchen“. Schon bei den Verhandlungen 
des Pariser Kongresses im Jahre 1856 wurde dem 
Wunsche Ausdruck gegeben, die Mächte sollten in 
allen Streitigkeiten die Intervention eines be- 
freundeten Staates anrufen, ehe sie an die Waffen 
appellierten. Und in der Tat verpflichteten sich die 
Vertragsstaaten in Art. 8 des Pariser Vertrages, 
bei Streitigkeiten mit der Türkei die Vermittlung 
(action médiatrice) der übrigen unbeteiligten 
Signatarmächte anzurufen. Im übrigen hatte 
jener Wunsch noch die weitere praktische Bedeu- 
tung, daß in der Folgezeit wiederholt die angebo- 
tene Vermittlung von den Parteien angenommen 
wurde, so 1866 nach der Schlacht von Königgrätz 
(Napoleon III.), 1867 in der Luxemburger An- 
gelegenheit (Rußland), 1869 im griechisch-türki- 
schen Konflikte (Preußen), 1909 im bulgarisch- 
türkischen Konflikt (Rußland). Nach dem Vorbild 
der Pariser Vertragsbestimmung ist in der Folge- 
zeit in einer Reihe von Kollektivverträgen für die 
betreffenden Staaten die Verpflichtung aufgenom- 
men worden, bei Konflikten sich der Intervention 
befreundeter Mächte zu bedienen. Von Bedeutung 
ist in dieser Beziehung die Kongoakte von 1885, 
in welcher die Signatarmächte sich verpflichteten, 
einmal ihre guten Dienste zur Durchführung der 
Neutralisierung des Kongobeckens anzubieten, so- 
baldein Staat, der dort Hoheitsrechtebesitzt, in Krieg 
gerate, sodann die guten Dienste einer befreundeten 
Macht anzurufen, sobald unter ihnen bezüglich 
oder innerhalb des Kongobeckens ein Konflikt ent- 
stünde. In Weiterbildung und Verallgemeinerung! 
der 1856 und 1885 geäußerten Erwägungen hal 
dann endlich das Haager Friedensabkommen von 
1899 (Art. 2/8, erneuert durch das Friedensab- 
kommen von 1907, Art. 2/8) die guten Dienste 
und die Vermittlung zu einer ständigen Institution 
des Völkerrechts gemacht. Die Vertragsmächte 
kommen in demselben überein, „im Falle einer 
ernsten Meinungsverschiedenheit oder eines Strei- 
tes, bevor sie zu den Waffen greifen, die guten 
Dienste oder die Vermittlung einer befreundeten 
Macht oder mehrerer befreundeten Mächte anzu- 
rufen, soweit dies die Umstände gestatten werden“ 
(Art. 2). Dieser immerhin in das Ermessen der 
Beteiligten gestellten Pflicht steht das den am 
Streit nicht beteiligten Mächten zugesprochene Recht 
gegenüber, „aus eignem Antrieb den im Streit 
Krieg usw. 
  
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befindlichen Staaten ihre guten Dienste oder ihre 
Vermittlung anzubieten, soweit sich die Umstände 
hierfür eignen“, ein Recht, dessen Ausübung „nie- 
mals von einem der streitenden Teile als unfreund- 
liche Handlung angesehen werden kann“ (Art. 3). 
Die Annahme der Vermittlung hat auf die Er- 
öffnung oder Fortsetzung der Feindseligkeiten keinen 
Einfluß (Art. 7). Aufgabe des Vermittlers ist es, 
zwischen den Parteien „die einander entgegen- 
gesetzten Ansprüche auszugleichen und Verstim- 
mungen zu beheben“ (Art. 4), doch hat seine 
Tätigkeit, die mit der Abweisung der von ihm 
vorgeschlagenen Mittel der Verständigung beendet 
wird, „die Bedeutung eines Rates und niemals 
verbindliche Kraft"“ (Art. 6). Das Ergebnis der 
erfolgreichen Vermittlung wird in einer Media- 
tionsakte niedergelegt. 
Neben den guten Diensten und der Vermitt- 
lung im allgemeinen hat aber die Haager Kon- 
ferenz noch ein neues Mittel friedlicher Beilegung 
eines Konfliktes eingeführt: die besondere 
Vermittlung (médiation spéciale). Den 
Streitteilen steht es frei, „bei ernsten, den Frieden 
gefährdenden Streitfragen“ als letztes Mittel zur 
Erhaltung desselben je eine befreundete Macht mit 
der Aufgabe zu betrauen, mit dem Freunde des 
Gegners in unmittelbare Verbindung zu treten, 
um den Bruch der friedlichen Beziehungen zu ver- 
hüten. Während der Dauer dieses Auftrages, die, 
abgesehen von besonderer Vereinbarung, 30 Tage 
nicht übersteigen darf, haben die Streitteile sich 
jeder unmittelbaren Verhandlung über den Streit 
zu enthalten, sie vielmehr ausschließlich den ver- 
mittelnden Mächten zu überlassen. Auch falls diese 
Bemühungen erfolglos sind, bleiben die betreffen- 
den Mächte mit der gemeinsamen Aufgabe betraut, 
jede Gelegenheit zu benutzen, um den Frieden 
wiederherzustellen (Art. 8). 
) Endlich kann, und dieses Mittel gewinnt 
mehr und mehr an Bedeutung, die rechtliche Bei- 
legung von Streitigkeiten durch Schiedsspruch 
erfolgen. Zugänglich sind einer solchen Behand- 
lung vor allem solche rechtlichen Konflikte, die eine 
Entscheidung nach Rechtssätzen zulassen (vgl. Haa- 
ger Friedensabkommen Art. 16, jetzt Art. 38: In 
Rechtsfragen und in erster Linie in Fragen der 
Auslegung oder Anwendung internationaler Ver- 
einbarungen ); hierzu gehören ferner Streitig- 
keiten, die aus Verletzung vermögensrechtlicher 
Interessen, aus Ersatzansprüchen oder Verletzungen 
der Neutralität, der Grenzen, der Gebietshoheit 
usw. hervorgehen (Ullmann, Völkerrecht 442). 
— Die rechtliche Grundlage für die Befugnis 
des Schiedsgerichts bildet der Schiedsvertrag 
(compromissum), durch welchen die beteiligten 
Staaten sich verpflichten, sich dem Schiedsspruch 
des vereinbarten Schiedsrichters zu unterwerfen. 
Der bekannteste von den überaus zahlreichen 
Schiedssprüchen (uogl. d. Art. Internationale 
Schiedsgerichtsbarkeit II) ist der in dem sog.
	        
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