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Alabamafall zwischen England und den Vereinig-
ten Staaten, welcher am 14. Sept. 1872 dahin
entschieden wurde, daß England 15 1/ Mill. Dollar
zahlen mußte, weil es während des amerikanischen
Bürgerkrieges in seinen Häfen die Ausrüstung
von Kreuzern der Südstaaten zugelassen hatte. —
Neben den besondern Schiedsverträgen für den
einzelnen Fall findet sich, zumal in neuerer Zeit,
vielfach in Handels-, Konsularverträgen usw. die
sog. kompromissarische Klausel, d. h. die
Verpflichtung, etwaige aus der Auslegung oder
Anwendung des Vertrages sich ergebenden Streitig-
keiten einem Schiedsgericht zur Erledigung zu
übertragen. So z. B. in den von Italien, Belgien,
der Schweiz, neuestens auch von Deutschland ab-
geschlossenen Handelsverträgen, ferner auch in
allgemeinen Verträgen, wie dem Weltpostvertrag,
der Brüsseler Antisklavereiakte, Vertrag über den
Eisenbahnfrachtverkehr. — Auch allgemeine
oder permanente Schiedsverträge kom-
men seit den letzten Dezennien des vorigen Jahrhun-
derts vor, durch welche die sämtlichen zwischen den
Vertragschließenden künftig entstehenden Streitig-
keiten oder wenigstens allediejenigen einem Schieds-
gericht überwiesen werden, die nicht die Ehre und
Unabhängigkeit des Staates berühren. Von be-
sonderer Bedeutung ist der Vertrag, welchen
Frankreich Ende 1903 mit England abschloß, da
dieser der Anfang einer Reihe von ungefähr 50
weiteren allgemeinen Schiedsverträgen bildet, die
das Bestreben aufweisen, mehr und mehr über-
haupt alle Streitigkeiten, welche sich nicht durch
diplomatische Verhandlungen erledigen lassen, dem
schiedsrichterlichen Verfahren zu unterwerfen (val.
d. Art. Internationale Schiedsgerichtsbarkeit III).
— Um die unmittelbare Anrufung der Schieds-
sprechung für die internationalen Streitfragen zu
erleichtern, hat dann die Haager Konferenz einen
stän igen Schiedsgerichtshoff eingerichtet
und damit den weit zurückreichenden Bemühungen
um einen permanenten Staatengerichtshof greif-
bare Gestalt verliehen. Derselbe ist für alle Schieds-
fälle zuständig, sofern nicht zwischen den Parteien
über die Einsetzung eines besondern Schiedsgerichts
Einverständnis besteht (Art. 21, jetzt Art. 42).
(Vgl. des näheren Art. Internationale Schieds-
gerichtsbarkeit.)
2. Die Mittel der nichtkriegerischen
Selbsthilfe. Führen die rechtlichen Mittel nicht
zum Ziele oder erscheinen sie von Anfang an als
untunlich, so ist der verletzte Staat berechtigt, zur
Selbsthilfe zu schreiten. Diese beschränkt sich ent-
weder auf einzelne Gewaltakte bzw. indirekte
Zwangsmaßregeln, sog. nichtkriegerische
Selbsthilfe, oder besteht in der Anwendung
der äußersten und sämtlichen Gewaltmittel, dem
Kriege. Das Charakteristische der nichtkriegerischen
Selbsthilfe besteht darin, daß sie zwar Gewaltmaß-
regeln sind, aber, wie schon erwähnt, den Kriegs-
zustand mit seinen Rechtsfolgen nicht erzeugen. Zu
diesen Mitteln der indirekten Selbsthilfe gehören:
Krieg ufw.
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a) die Retorsion, d. h. die Erwiderung von
unbilligen (iniquum) oder die comitas gentium
(nicht aber das jus gentium) verletzenden, wenn
auch formell legalen Maßregeln eines Staates
mit einer ähnlichen Handlungsweise seitens des
verletzten Staates. Der Zweck derselben ist, den
Gegner auf die Unbilligkeit seines Verhaltens auf-
merksam zu machen und die Beseitigung jener
Maßregeln zu veranlassen (s. d. Art. Retorsion).
b) Die Repressalien, d. h. gewalttätige
Handlungen eines Staates gegen den andern oder
dessen Staatsangehörigen, um sich Genugtuung
für das durch ein völkerrechtliches Delikt (in-
iustum) erlittene Unrecht und Ersatz für den
daraus entstandenen Schaden zu verschaffen (s. d.
Art. Repressalien).
c) Das Embargo (vom spanischen embar-
gar — anhalten), d. h. die vorläufige Beschlag-
nahme der in nationalen Gewässern eines Staates,
namentlich in den Häfen derselben befindlichen
gegnerischen Handelsschiffe. In früheren Zeiten
benutzte man dieses Mittel namentlich bei drohen-
dem Kriegsausbruch als provisorische Maßregel,
welche sich dann beim Eintritt des Kriegszustandes
in eine definitive (Konfiskation) verwandelte. Heut-
zutage findet das Embargo nur als Akt der nicht-
kriegerischen Selbsthilfe Anwendung, so daß es
nunmehr als ein spezieller Fall der Repressalien
erscheint.
d) Die Friedensblockade, d. h. die von
einem Staate über die Häfen oder Küsten des
gegnerischen Staates verhängte Verkehrssperre (s.
d. Art. Blockade).
III. Begriff und Arten des Krieges. Kön-
nen bölkerrechtliche Streitigkeiten weder durch recht-
liche Mittel noch durch Akte der Gewalt oder des
indirekten Zwanges erledigt werden, oder handelt
es sich um Konflikte, die von vornherein eine fried-
liche Beilegung ausschließen (Fragen der Existenz,
Freiheit usw.), so bleibt zur Verteidigung des
Rechts bzw. zur Durchsetzung des wirklichen oder
vermeintlichen Anspruches nur noch die Entschei-
dung der Waffen übrig, d. h. der Krieg. Der-
selbe ist und bleibt trotz aller Friedensbestrebungen
(s. die Art. Friede, ewiger, Friedensgesellschaften)
auch im heutigen Völkerrecht noch die ultima
ratio zur Beilegung internationaler Streitig-
keiten.
1. Der Krieg ist seinem Begriffe nach der
zwischen zwei oder mehreren Staaten nach be-
stimmten Rechtsnormen mit Waffengewalt ge-
führte Kampf gegeneinander mit Gefahr für die
völkerrechtliche Unabhängigkeit oder wenigstens die
Integrität des Staatsgebietes für den unterliegen-
den Teil. Der Krieg ist somit heutzutage nicht
ein bloßer Zustand äußerster Gewalt, sondern,
weil unter der Herrschaft allgemein anerkannter
Rechtsvorschriften stehend, ein Rechtsverhält-
nis, das eine Reihe von Rechten und Pflichten
einmal zwischen den Kriegsparteien selbst, sodann
zwischen diesen und den am Kriege Nichtbeteiligten,