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mit mehr Recht könnte man sie als die wirksamste
Ursache bezeichnen; denn hält die Konsumtion
stand, so wird in einer noch so gesteigerten Pro-
duktion eine Gefahr nicht zu finden sein. Allein
bei ihr wird man immer nach Gründen suchen
müssen, auf denen sie selbst wieder beruht. Be-
schränkt man sich indes zunächst einmal darauf,
die Gleichgewichtsstörungen zwischen Produktion
und Konsumtion zu betrachten, die doch wohl als
die häufigsten Krisen zu bezeichnen sind, und nach
den Ursachen zu forschen, aus welchen diese Krisen
gerade als Handelskrisen zur Erscheinung und zum
Ausbruch kommen, so scheint uns Schäffle (a. a. O.)
recht zu haben, wenn er (im wesentlichen) sagt:
„Es kommt darauf an, das Verhältnis des Han-
dels zu jenen Gleichgewichtsstörungen zu be-
stimmen. Der Handel ist der Vermittler zwischen
Produktion und Konsumtion. Er vollzieht diese
Vermittlung namentlich durch eine Kette von Kre-
diten nach beiden Seiten hin. Diese Kredite sollen
getilgt werden durch Zahlungen, welche sich in
einer oft langen Kette aufwinden, bis sie in die
Hand des Produzenten gelangen. Der Produzent
aber ist selbst wieder Käufer von Rohstoffen,
Halbfabrikaten, Arbeit usw., welche er mit der ein-
gehenden Zahlung decken muß. Solange die ganze
Kreditkette in regelmäßiger Zahlung sich leicht auf-
windet, ist es ein gesundes Arbeiten in der Volks-
wirtschaft. Hört dies auf, so beginnt die Krisis."
Schäffle führt dann weiter aus, daß die Unfähig-
keit zur Zahlung immer vom mangelnden Absatz
ausgehe; wenn die Konsumtion dem durch den
Handel vermittelten Angebot der Produktion nicht
mehr folge, so müsse der letzte Verkäufer entweder
wohlfeiler verkaufen oder lagern, durch beides aber
entstehe, wenn er nicht einen Schatz verfügbarer
Mittel habe, Zahlungsunfähigkeit. Dieser Prozeß
wirke durch die ganze Kette der Handelsvermitt-
lung zurück auf den Produzenten, von da auf
Arbeiter, Lieferanten, Gläubiger aller Art und
lähme Konsumtionskraft und Konsumtionsmut.
Man wird jedoch nicht bei diesem Erklärungs-
versuche stehen bleiben dürfen, sondern fragen
müssen, welche Ursachen den Mangel des Absatzes
bewirkten. Diese können mannigfachster Art sein.
So kann allerdings eine Überproduktion, ein allzu
großer Vorrat für einen bestimmten Produ-
zentenkreis die Ursache sein, ohne es gleichzeitig
für einen andern zu werden; dasselbe gilt von
Anderungen im Betriebe, z. B. billigerer Her-
stellung infolge von Verbesserungen im Maschinen-
wesen; ja auch die Abwendung der Mode ist ein
nicht zu unterschätzender Faktor. Zu diesen und
ähnlichen innern Gründen kommen dann noch die
unendliche Zahl der äußern Gründe, z. B. Ande-
rungen, die im Verkehrsleben entstehen und dem
Konsum andere Bezugsquellen eröffnen oder ihn
überhaupt stören, wie der Ausbruch eines Krieges.
Verläßt man dies von Schäffle gewählte Demon-
strationsgebiet des Handels, so wird man eben-
falls immer eine Kette wirtschaftlicher Wechsel-
Krisen.
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beziehungen im Volksleben vor sich sehen, deren
leichte Aufwindung ebenso auf die mannigfaltigste
Art gestört werden kann, wodurch dann der Aus-
bruch der Krisis herbeigeführt ist. Jeder Umstand,
sagt Roscher, der plötzlich und stark die Konsum-
tion vermindert, die Produktion vermehrt oder
auch nur die gewohnte Ordnung des Verkehrs er-
schüttert, kann eine Absatzkrise nach sich ziehen.
Jede Eröffnung einer Eisenbahnstrecke oder Dampf-
schiffahrt auf den Flüssen z. B. brachte und bringt
eine Krisis für das Frachtgeschäft der betroffenen
Gegend. Wo immer also eine jener Wechsel-
beziehungen, ein Glied jener Kette ausgeschaltet
wird, was auf tausenderlei Weise geschehen kann,
entsteht eine je nach der Wichtigkeit dieses Gliedes
kleine oder große Krisis. Die Aussichtslosigkeit
des Versuches, den Ausbruch der Krisen aus einem
bestimmten einzigen Prinzipe herleiten zu wollen,
erläutert treffend die Tatsache, daß eine im Jahre
1886 unternommene Untersuchung über die Ur-
sachen der damals in Nordamerika herrschenden
Krisis deren 180 ergab. Ein Eindringen in das
Wesen der Krisen aus der Erkenntnis ihrer Ur-
sachen wird demnach nur im Einzelfalle mög-
lich sein.
Auch was die volkswirtschaftlichen
Wirkungen anlangt, gehen die Beurteilungen
der Krisen auseinander. Für eine Anzahl nam-
hafter nationalökonomischer Schriftsteller sind die
Krisen nichts weiter, als was sie für Roscher sind:
eine Schattenseite der höheren Kultur; oder für
M. Wirth: „Die Krisen sind einem furchtbaren
Gewitter zu vergleichen mit Blitz und Donner und
Wolkenbrüchen, durch das Menschen erschlagen,
Vorratsmagazine entzündet, blühende Gefilde
überschwemmt, schreckliche Verluste an Vieh und
Früchten herbeigeführt werden — aber welches im
ganzen über die von ihm bestrichene Gegend einen
befruchtenden Regen niedersendet.“ In der Krisis
entladet sich „der Widerstreit aller Elemente des
bürgerlichen Produktionsprozesses“. Zahlreiche
und große Vermögensverluste treten in der Regel
ein, von denen auch solche, welche an den Aus-
bruchsursachen nicht beteiligt sind, mit den Schul-
digen gleichmäßig betroffen werden. Ganze
Länder können davon schwer betroffen werden.
Durchaus notwendig ist übrigens eine unmittel-
bare Schädigung des Volkswohlstands nicht damit
verknüpft, indem wirkliche Werte dabei nicht zu
Grunde gehen, sondern nur den Besitzer wechseln
und der Verlust von imaginär gesteigerten Werten
nicht unter allen Umständen eine Beeinträchtigung
des Volksvermögens zu sein braucht.
Was die Mittel anlangt, den Krisen vor-
zubeugen oder ihre schädlichen Wirkungen
wieder zu heilen, so ergibt sich als Konsequenz
der sozialistischen Anschauung über die Ursachen
der Krisen die planmäßige Reglung der Pro-
duktion. Indessen dürfte diese nicht ausreichen;
eine planmäßige Reglung der Konsumtion müßte
hinzutreten. Auf demselben Gebiete der Pro-