Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

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duktion werden vom Standpunkte der gegenwär- 
tigen Wirtschaftsordnung die Industriekartelle 
empfohlen; aber auch von ihnen kann eine völlige 
Beseitigung der Krisen nicht erwartet werden, 
namentlich dann nicht, wenn sie keine Weltmarkts- 
kartelle sein sollen. Als Vorbeugungsmittel werden 
weiter besonders empfohlen ein stetiger Ausbau 
der Transporteinrichtungen, eine Politik der Han- 
delsverträge, welche die zollpolitische Situation 
vor jähen Wechselfällen sichert, ein solides Geld-, 
Bank-, Kredit= und Aktienwesen, konsequent durch- 
geführte Gewerbefreiheit und Freizügigkeit, über- 
haupt Erziehung der Volkswirtschaft zur Freiheit 
und Selbständigkeit und ähnliches; als Heilmittel 
unter anderem: Aufschließung des Schatzes und 
Reservefonds der Banken, Errichtung von Dis- 
konto= und Darlehenskassen, Warenvorschußkassen, 
Kreditgenossenschaften, Darlehen von seiten des 
Staates, Suspension der Schuldgesetze. Ohne 
genaue Kenntnis der Ursachen indessen wird von 
diesen Mitteln kaum ein Erfolg zu erhoffen sein. 
Als bedeutende Krisen der letzten drei 
Jahrhunderte seien genannt: die Krisis nach der 
Tulpenmanie in Holland 1637 (Börsenkrisis), 
die englische Geldkrisis von 1696; die Krisis 
nach der Schwindelperiode John Laws 1720 
(Spekulationskrisis); die Assignatenkrisis 1793 
bis 1796; die kuglische nach den Freiheitskriegen 
1815 und die von 1825 (beide infolge von Über- 
produktion); die Agrarkrisen von 1822, 1837, 
1847 (die beiden ersten infolge überreicher Ernten, 
die letzte als Folge einer Mißernte, diese auch in 
fast allen Kulturstaaten); die nordamerikanische 
von 1857, die auch Europa ergriff (infolge von 
Üüberproduktion); die österreichisch-deutsche von 
1873 (die schwerste des 19. Jahrh., Überproduk- 
tion und Gründungskrisis); die in Frankreich von 
1882 (Gründungskrisis). Im Jahre 1900 nahm 
eine internationale wirtschaftliche Krisis ihren An- 
fang, ergriff aber die verschiedenen Länder in sehr 
ungleichem Maße, war auch offenbar nicht gleich- 
mäßigen Ursprungs. Am meisten wurden da- 
von Rußland, die Vereinigten Staaten von 
Amerika und Deutschland betroffen. In der 
Hauptsache war es eine industrielle Krisis, in 
Rußland kam aber noch eine schwere Agrarkrifis 
hinzu. Deutschland im besondern hatte seit dem 
Inkrafttreten det Handelsverträge des Jahres 
1894 einen sehr bedeutenden wirtschaftlichen Auf- 
schwung genommen. Es fand eine Vermehrung 
der Produktion statt, mit der der Verbrauch nicht 
gleichen Schritt zu halten vermochte, so daß eine 
Erschütterung nicht ausbleiben konnte. Hinzu trat 
die in Zeiten einer Hochkonjunktur gewöhnliche 
Überspannung der Spekulation, und so ent- 
wickelte sich hier, lediglich aus innerdeutschen 
Marktverhältnissen, ohne Hinzutritt internationaler 
Ursachen, eine intensive Produktions= und Absatz- 
krisis. Die Krisis war im allgemeinen von kurzer 
Dauer; schon im Jahre 1902 machte sich ein be- 
deutender Aufschwung geltend, der bis 1907 an- 
Kuba. 
  
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hielt. Dann aber hat eine allgemeine internatio- 
nale Depression eingesetzt, deren Ende noch nicht 
abzusehen ist. Beginnend in Nordamerika und 
äußerlich zusammenfallend mit dem dort ein- 
getretenen Kupferkrach, aber kausal zusammen- 
hängend mit der Geldknappheit, griff sie auch nach 
Europa über und verursachte auch hier, nament- 
lich in Deutschland, einen sehr starken Umschwung. 
Das Bestreben Nordamerikas, in seiner Geld- 
knappheit das europäische Gold an sich zu ziehen, 
verursachte in Europa, das schon in den vorauf- 
gegangenen Jahren Milliarden an Rußland ab- 
gegeben hatte, gleichfalls eine noch nicht dagewesene 
Geldteuerung, die auf alle wirtschaftlichen Ver- 
hältnisse niederdrückend einwirkte und namentlich 
die Produktion in einem Maße lähmte und mit 
Mißtrauen in den Bestand der günstiger werden- 
den Verhältnisse erfüllte, daß sie trotz Besserung 
auf dem Geldmarkte zu einer rüstigen Vorwärts- 
bewegung noch immer nicht gelangen kann. 
Literatur. Art. „K.“ im Handwörterbuch 
der Staatswissenschaften u. im Wörterbuch der 
Volkswirtschaftslehre; Max Wirth, Geschichte der 
Handelskrisen (11890); E. v. Bergmann, Gesch. der 
nationalökon. K.theorien (1895); v. Jugan-Ba- 
ranowski, Studien zur Gesch. u. Theorie der Han- 
delskrisen in England (1901); L. Pohle, Bevölke- 
rungsbewegung, Kapitalbildung u. periodische 
Wirtschaftskrisen (1902); Die Störungen im deut- 
schen Wirtschaftsleben während der Jahre 1900 ff; 
Schriften des Vereins für Sozialpolitik Bd 105 
bis 112 (1903); Karmin, Zur Lehre von den Wirt- 
schaftskrisen (1905); Bouniatian, Studien zur 
Theorie u. Gesch. der Wirtschaftskrisen; 1: Wirt- 
schaftskrisen u. überkapitalisation (1908); II: Ge- 
chichte der Handelskrisen in England 1640/1840 
(1908); weitere Bände sollen folgen. 
[Wellstein.] 
Kuba. 1. Geschichte. Kuba wurde am 
28. Okt. 1492 von Kolumbus auf seiner ersten 
Fahrt entdeckt und ursprünglich Juana genannt, 
1508 von Sebastian de Ocampo näher erforscht 
und als Insel erkannt, 1511 durch Diego Ve- 
lasquez der spanischen Herrschaft unterworfen 
(Gründung von Baracoa, 1514 von Trinidad 
und Santiago de Cuba, 1529 von Habana). Die 
Insel blieb, da sie bei ihrem geringen Reichtum 
an Edelmetallen für den spanischen Staatsschatz 
verhältnismäßig wenig abwarf, lange Zeit unent- 
wickelt, diente aber (besonders Habana, das 1552 
Hauptstadt wurde) als wichtiger Stützpunkt für 
die Unternehmungen gegen Mexiko, Mittelamerika, 
Florida und das Mississippigebiet. Die spanischen 
Ansiedler bauten ursprünglich nur die zu ihrem 
Unterhalt notwendigen Nutzgewächse an; der An- 
bau von Tabak zu Handelszwecken begann auf 
Kuba erst gegen Ende des 16. (Ausfuhr um 1700 
kaum 1000, um 1750 an 20000 Zentner), der von 
Zuckerrohr und Kaffee nach Mitte des 18. Jahrh. 
Die Urbevölkerung, Indianer aus der Gruppe der 
Arrowaken, waren nicht imstande, die von den 
Spaniern geforderten Frondienste zu leisten und 
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