565
hause noch im Reichstage des Norddeutschen
Bundes eine geschlossene Fraltion. Die sich scharf
vordrängenden Militär= und Verfassungsfragen
hatten die Notwendigkeit einer dauernden Sorge
für die Wahrung der katholischen Interessen in
den Hintergrund treten lassen.
Auch das Verhältnis der Regierung zum Epi-
skopat blieb ein durchaus freundliches. Als vor
dem Kriege von 1866 König Wilhelm den Erz-
bischof Melchers von Köln um seine Ansicht frug,
konnte dieser in seinem Briefe vom 27. Mai offen-
herzig von dem „Bruderkrieg“ abraten, ohne daß
in der Antwort des Königs vom 4. Juni deshalb
eine Gereiztheit durchgeklungen hätte. Als die
italienische Regierung den Krieg von 1870 be-
nutzte, um am 20. Sept. dem Papst die Stadt
Rom, den letzten Rest seines Patrimoniums, zu
rauben, wurden die Versuche des Erzbischofs von
Posen - Gnesen Grafen Ledochowski im Nov.
1870 sowie einer Deputation rheinisch-westfälischer
und schlesischer Malteserritter im Febr. 1871, eine
Intervention zugunsten des Papstes herbeizu-
führen, vom Grafen Bismarck zwar zurückhaltend,
vom Kaiser dagegen freundlich ausgenommen.
Der Kaiser erklärte der erwähnten Deputation im
Hauptquartier zu Versailles, „seine Gesinnungen
für den Papst als das kirchliche Oberhaupt seiner
katholischen Untertanen seien noch stets dieselben;
er sehe in der Okkupation Roms einen Gewaltakt
sowie eine Anmaßung von seiten Italiens und
würde nach Beendigung des Krieges in Gemein-
schaft mit andern Fürsten Schritte dagegen in
Betracht ziehen“. Eine Wendung zeigte zuerst
die Thronrede zur Eröffnung des ersten deutschen
Reichstages am 21. März 1871, indem sie nicht
— ein Eintreten für das Papsttum ab-
ehnte.
2. Die Feindseligkeiten gegen die katholische
Kirche, aus denen der spätere „Kulturkampf“ er-
wuchs, nahmen überhaupt ihren ursprünglichen
Ausgang nicht aus den Kreisen der preußischen
Regierung, sondern aus den Kreisen des gebildeten
liberalen und protestantischen Bürger-
tums. Der Aufschwung katholischen Lebens seit
1848 begegnete sehr bald in protestantischen und
liberalen Kreisen einem feindlichen Argwohn,
welcher in dem auf den Staatsuniversitäten herr-
schenden Doktrinarismus die reichste Nah-
rung fand. Die Hegelsche Theorie von der un-
umschränkten Staatsgewalt wurde auf den meisten
Lehrstühlen vorgetragen. Die Zahl der Katholiken
unter den Professoren war eine verschwindende.
Üüber die allgemeine protestantische Abneigung
gegen Rom hinaus ging eine breite Strömung
tiefen Hasses gegen jegliches Kirchentum und jeg-
lichen positiven Glauben. Die liberale Presse im
Bunde mit dem liberalen Professorentum und der
liberalen Bourgeoisie war die Trägerin dieser
Richtung, welche bald auch im Abgeordnetenhause,
zuerst vereinzelt, dann immer häufiger und un-
duldsamer, sich geltend machte.
Kulturkampf ufw.
566
3. Das Papsttum wurde zunächst das Ziel
des Angriffs. Als die italienische Revolution im
Jahre 1860 dem Papst den größten Teil des
Kirchenstaates raubte, gab der im März 1860
gegründete, auf die Einigung Deutschlands unter
Preußen hinzielende „Nationalverein“ seiner Zu-
stimmung offen Ausdruck: „Gleiches Bedürfnis
und gleiches Interesse lassen die nationale Be-
wegung mit warmer Teilnahme verfolgen.“ Die
Führer der liberalen Opposition im Abgeordneten-
hause trugen kein Bedenken, die „Hyder des Ultra-
montanismus“ unverhohlen als den Feind zu
bezeichnen, der „zertreten“ werden müsse. Eine
Flut von Angriffen gegen Kirche und Papsttum
erhob sich, als Papst Pius IX. zur Verteidigung
der gesamten Stellung der Kirche gegen alle da-
mals landläufigen Angriffe mit der Enzyklika
Quanta cura vom 8. Dez. 1864 den vorwiegend
gegen liberale Maximen gerichteten Syllabus
errorum, eine Zusammenstellung der hauptsäch-
lichsten Irrtümer der Zeit, veröffentlichte. Bald
nachher wurde die Absicht des Papstes bekannt,
ein allgemeines Konzil nach Rom zu berufen.
Man erwartete, dasselbe werde die im Syllabus
negativ hingestellten Sätze positiv formulieren.
Außerdem verlautete, die alte katholische Lehre von
der päpstlichen Unfehlbarkeit solle zum förmlichen
Dogma erhoben werden.
Das vatikanische Konzil wurde bald darauf
berufen. Unter dem deutschen Episkopat erregte die
beabsichtigte Dogmatisierung der lehramtlichen
Unfehlbarkeit des Papstes Bedenken, namentlich
aus Opportunitätsrücksichten, während eine An-
zahl katholischer Universitätsprofessoren unter
Führung der „Münchener Schule“ zu prinzipieller
Opposition überging und das Laientum in den
Kampf hineinzuziehen strebte. Nachdem jedoch der
Versuch, die „Kölnischen Blätter“, die leitende ka-
tholische Zeitung, in das Lager der Konzilsgegner
hinüberzuführen, gescheitert war, blieb die Be-
wegung ohne tiefere Einwirkung auf die Seelsorge-
geistlichkeit und das katholische Volk. In der
Diplomatie dagegen fand sie Unterstützung. Der
bayrische Ministerpräsident Fürst Hohenlohe sandte
am 9. April 1869 an die bayrischen Gesandten
bei den europäischen Mächten eine Zirkulardepesche,
nach welcher diese sich bemühen sollten, eine Koa-
lition der europäischen Mächte gegen die bevor-
stehende Kirchenversammlung ins Leben zu rufen,
um im voraus „Verwahrung oder Protestation“
gegen die erwarteten Beschlüsse einzulegen; doch
ohne Erfolg. Insbesondere verhielt sich der Kanzler
des Norddeutschen Bundes, Graf Bismarck, wenn
nicht geradezu ablehnend, so doch ausweichend.
Am 18. Juli 1870 wurde das Dogma von
der lehramtlichen Unfehlbarkeit des Papstes
durch das Konzil feierlich verkündet, einen Tag,
ehe die Kriegserklärung Frankreichs in Berlin
übergeben wurde. Die deutschen Bischöfe belehrten
alsbald nach ihrer Heimkehr durch einen gemein-
samen Hirtenbrief aus Fulda ihre Diözesanen über