Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

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das Dogma und mahnten zu gläubiger Annahme. 
Klerus und Laien folgten dieser Aufforderung. 
Nur kleine Kreise unter Vorantritt von Universi- 
tätsprofessoren und sonstigen Mitgliedern der ge- 
lehrten Stände lehnten sich auf und bildeten die 
„altkatholische“ Sekte. Unter dem Jubel des 
Liberalismus beteiligte sich diese an dem bald aus- 
brechenden Kampfe gegen die Kirche, bei welchem 
sie den Katholiken hauptsächlich „die für einen 
Menschen in Anspruch genommene Sündenlosig- 
keit und sogar Gottähnlichkeit“ vorwarf. 
Während der Vorbereitungen zum Konzil und 
während des Konzils selbst hatten sich die kirchen- 
feindlichen Kundgebungen auch auf andern Ge- 
bieten bedenklich gemehrt. Der Wormser Prote- 
stantentag am 31. Mai 1869 hatte unter scharfer 
Polemik gegen „die staatsverderblichen und kultur- 
widrigen Grundsätze“ des Syllabus die Jesuiten 
als die „Feinde Deutschlands“, der allgemeine 
deutsche Lehrertag die Schule als „Sache des 
Volkes, nicht einer religiösen Partei“, der Heidel- 
berger Juristentag vom 26. bis 28. Aug. die Zivil- 
ehe als „die dem Verhältnis zwischen Staat und 
Kirche in Deutschland entsprechende notwendige 
Form der Eheschließung“ bezeichnet. Als im 
Sommer 1869 in dem Karmeliterinnenkloster zu 
Krakau eine geisteskranke Nonne, Barbara 
Ubryk, in enger Einschließung aufgefunden 
wurde, brach zunächst in Osterreich ein Sturm 
künstlich erzeugter Entrüstung gegen die Orden 
los. Aufhebung der Klöster, Ausweisung der 
Jesuiten und Beseitigung des Konkordats wurden 
verlangt. Der Wiener Journalistentag beschloß 
am 31. Juli 1869: „Man erwartet, daß auch 
die preußische Volksvertretung in diesem Sinne 
ihre Schuldigkeit tun wird.“ Der Ruf verhallte 
nicht ungehört. Im Sommer 1869 hatten sich 
in Moabit, einer Vorstadt Berlins, zwei Do- 
minikaner niedergelassen, um die Seelsorge der 
dortigen sehr armen Katholiken zu übernehmen. 
Am 4. Aug. fand die Einweihung ihrer Kapelle 
statt. Alsbald sahen sich diese in ihrer Wohnung, 
welche als „Kloster“ hingestellt wurde, mehrere 
Tage lang den gewalttätigen Angriffen des auf- 
gehetzten Berliner Pöbels ausgesetzt, so daß sie 
schließlich über Dächer und Gärten hinweg ihr 
Leben retten mußten. Im Anschluß an diesen 
„Moabiter Klostersturm“ organisierten die 
Liberalen eine Bewegung in Versammlungen und 
Petitionen; jedoch brachten sie nicht mehr als elf 
Petitionen aus Berliner Bezirksvereinen und eine 
aus Elbing zustande. Das Abgeordneten- 
haus wies diese an die Petitionskommission, 
welche infolge der Bemühungen des Referenten 
Professor Gneist am 15. Dez. 1869 einen gegen 
die Orden höchst feindseligen Bericht abfaßte. Er 
eignete sich die Behauptung der Petitionen an, 
die Mönchs= und Nonnenklöster seien „die Pflanz- 
stätten des Aberglaubens, der Faulheit und der 
Unzucht“, und stellte den Antrag, die Regierung 
aufzufordern, die angeblich noch bestehenden Be- 
Kulturkampf usw. 
  
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stimmungen des preußischen Allgem. Landrechts 
über die Beschränkung der Orden zur Ausführung 
zu bringen. Die Regierung verhielt sich ablehnend 
und ließ in der Kommission durch den Geheimen 
Oberregierungsrat Linhoff die Gesetz= und Ver- 
fassungswidrigkeit der Klostersturm-Petitionen 
darlegen. Als dann auf katholischer Seite eine 
gewaltige Aufregung sich kundgab und eine starke 
Gegenpetitionsbewegung in Fluß kam, hintertrieb 
die liberale Mehrheit am 8./10. Febr. 1870 die 
Beratung der Petitionen im Plenum. Den Grund 
hat später, am 25. Nov. 1873, der national- 
liberale Abgeordnete Lasker im Abgeordneten- 
hause verraten: „Wir konnten damals leidenschaft- 
liche religiöse Debatten nicht brauchen. Das 
Deutsche Reich war noch nicht geeinigt, und es 
würde zum größten Schaden gereicht haben der 
zukünftigen Vereinigung des Südens und Nor- 
dens, wenn es Ihnen damals bereits gelungen 
wäre, diese Saat der Zwietracht und des kirch- 
lichen Streites auszustreuen.“ 
Während so der kühl berechnende Liberalismus 
des Parlaments sich einstweilen noch Beschränkung 
auferlegte, kam in der liberalen und protestan- 
tischen Presse die katholikenfeindliche Stimmung 
unverhohlen zum Ausdruck. Vor dem österreichi- 
schen Kriege schon hatte die „Norddeutsche All- 
gemeine Zeitung“ Anfang Mai 1866 vom Hause 
Habsburg als dem „Todfeind der evangelischen 
Kirche“ gesprochen. Die „Neue Preußische (Kreuz- 
Zeitung“ erblickte Ende Mai 1866 vielfache An- 
zeichen, welche darauf hindeuteten, „daß ein Re- 
ligionskrieg im Anzuge sei, vielleicht ebenso blutig, 
wie vor 200 Jahren der Dreißigjährige Krieg 
war“. Die Eröffnungsrede des Rektors der 
Greifswalder Universität vom 15. Mai 1866, 
welche von einem bevorstehenden „Gustav-Adolfs- 
Ritt in katholisches Land“ sprach, fand begeisterte 
Zustimmung. Der Sieg der preußischen Waffen 
über Osterreich und Bayern im Kriege von 1866 
wurde als „Sieg des Protestantismus“ verherr- 
licht. Während des französischen Krieges erhob 
die nationalliberale Presse den Ruf: „Hie Ger- 
manismus, hie Romanismus!“ aus dem bald 
das Wort „Kampf des Protestantismus gegen den 
Katholizismus“ wurde. Mit besonderem Eifer 
hetzte diese Presse gegen die französische Kaiserin. 
Eugenie und gegen die Jesuiten, unter deren Ein- 
fluß die Kaiserin aus religiösen Beweggründen 
den Krieg gegen das protestantische Preußen ent- 
zündet haben sollte. Rasch stieg dieser Fanatis= 
mus, so daß schon 1871 Professor Friedberg in 
einem Aussatz in Holtzendorffs „Jahrbuch für Ge- 
setzgebung“ schreiben konnte: „Würde sich eine 
Religionsgesellschaft mit Grundsätzen, wie sie die 
katholische Kirche nach dem vatikanischen Konzil 
als Glaubenssache hingestellt hat, heutzutage 
neu bilden wollen, so würden wir es zweifel- 
los für eine Pflicht des Staates erachten, sie zu 
unterdrücken, zu vernichten, mit Gewalt zu zer- 
treten.“
	        
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