Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

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dortigen Katholiken bezüglich ihrer politischen Hal- 
tung Weisungen zu erteilen“. Graf Tauffkirchen 
hatte bei dieser Unterredung das Vorgehen des 
Zentrums dargestellt als „eine Vereinigung der 
Gußersten Rechten mit der äußersten Linken, der 
Schwärzesten mit den Rotesten“. Nochmals, am 
30. Juni, wies Bismarck den Grafen Tauffkirchen 
an, eine Intervention des Heiligen Stuhles zu 
verlangen, mit der Begründung: „Als Ganzes 
hat das Verhalten der Fraktion nur dazu bei- 
getragen, die subversiven, aller Autorität der Re- 
gierung feindlichen Tendenzen zu stärken und zu 
fördern“; das „Bündnis der schwarzen mit der 
roten Partei“ sei „im Reichstag durch den Ver- 
such der Einführung der Grundrechte offen zutage 
getreten“. Er fügte die Drohung hinzu: „Diese 
aggressive Tendenz der die katholische Kirche be- 
herrschenden Partei nötigt uns zur Abwehr, in 
welcher wir nur unsere eigne Verteidigung suchen, 
welche wir aber mit allem Ernst und mit den uns 
zu Gebote stehenden Mitteln durchführen müssen.“ 
Doch auch dieser Versuch blieb ohne Erfolg. Viel- 
mehr erklärte Antonelli, der inzwischen durch Mit- 
glieder der neuen Zentrumsfraktion, zunächst durch 
den Bischof von Mainz, Freiherrn v. Ketteler, dann 
auch durch Fürst Löwenstein und Lingens über 
die wahre Natur jener Vorgänge aufgeklärt worden 
war, in einem Briefe an den Bischof von Mainz 
vom 5. Juni, „es habe ihn nicht wenig betrübt, 
daß durch die Gegner der Kirche in deutschen 
Zeitungen verbreitet worden sei, er habe die Hand- 
lungsweise der katholischen Fraktion im Reichstag 
getadelt“. 
5. Die Ablehnung der Kurie, „dem feindlichen 
Auftreten des Zentrums gegen das Reich Einhalt 
zu gebieten“, wurde von der preußischen Regierung 
erwidert durch die Allerhöchste Kabinettsorder vom 
8. Juni 1871, welche die Katholische Ab- 
teilung im Kultusministerium gufshob. Diese, 
1841 nach Beendigung der „Kölner Wirren“ 
geschaffen, hatte bis dahin die Beziehungen der 
katholischen Kirche zum Staate mit einer gewissen 
Selbständigkeit bearbeitet. Fortan wurde diese 
Bearbeitung ausschließlich protestantischen Räten 
anvertraut. 
Mit diesem Akte trat Fürst Bismarck offen in 
den kirchenpolitischen Konflikt ein. Er ist als 
der Anfang des späteren sog. „Kulturkampfes“ 
zu betrachten. Drei Faktoren vereinigten sich bei 
diesem Kampfe gegen die Kirche: auf seiten der 
Regierung die politische Machtfrage; auf seiten 
des Liberalismus und des Freimaurertums das 
allgemeine Widerstreben gegen jeglichen positiven 
Glauben und das Prinzip der unbedingten 
Staatshoheit auch über die Kirche; auf seiten der 
Konservativen der frisch erwachte konfessionelle 
Gegensatz und der Haß „gegen Rom“. Gleich- 
zeitig suchte das vorwiegend nationalliberale und 
jüdische „Gründertum“, welches den wirtschaft- 
lichen Aufschwung Deutschlands nach 1870 zu 
unerhörter Ausbeutung des Volkes benutzte, durch 
Kulturkampf ufw. 
  
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Hetzen gegen Rom die Aufmerksamkeit von dem 
eignen Treiben abzulenken. Der „Altkatholizis- 
mus“ bot, wie erwähnt, gleichfalls seine Unter- 
stützung. Dazu trat bald, nach dem Sturze des 
Kultusministers v. Mühler, am 22. Jan. 1872 an 
die Spitze des preußischen Kultusministeriums eine 
durch und durch bureaukratische Natur, Dr Falk, 
der Sohn eines protestantischen Predigers, wel- 
cher die Überlieferungen des früheren altpreu- 
Pßischen Staatskirchentums mit den Instinkten des 
modernen kirchlichen Liberalismus in sich ver- 
einigte. Er wurde alsbald von allen Seiten als 
„Bannerträger im Kampf gegen Rom“ bezeichnet 
und bekannte sich selbst in der Sitzung des Ab- 
geordnetenhauses vom 28. Jan. 1874 offen zum 
„Kampf gegen Rom“. Fürst Bismarck, ein 
„Realpolitiker“, wie er selbst sich nannte, und von 
Anfang an wohl ohne größeres konfessionelles 
Vorurteil gegen die katholische Kirche, als in den 
Kreisen des protestantischen altpreußischen Adels 
im allgemeinen herrschend zu sein pflegt, war in 
seiner Stellungnahme wohl wesentlich von poli- 
tischen Erwägungen geleitet, obgleich er nachmals. 
den Appell an den konfessionellen Gegensatz als 
Kampfmittel mehrfach nicht verschmähte und sich 
„auf das protestantische Kaisertum eingeschworen“ 
fühlte. Von dem Selbstbewußtsein der staatlichen 
Machtfülle getragen und von tiefem Widerwillen 
gegen den modernen Konstitutionalismus beseelt, 
den er nur notgedrungen in das neue Reich hatte 
einführen helfen, betrachtete er als dessen „unge- 
heuerlichste Erscheinung“ eine „konfessionelle Frak- 
tion“. Besonders widerwärtig war ihm die Auf- 
nahme der bayrischen „Partikularisten“, welche 
vor kurzem im bayrischen Abgeordnetenhause gegen 
die Kriegsanleihe, dann auch gegen die Versailler 
Verträge gestimmt hatten. Die Mitgliedschaft 
des „welfischen“ Abgeordneten Windthorst, eines 
früheren hannoverischen Justizministers, sowie der 
Umstand, daß die katholischen Abgeordneten aus 
den polnisch redenden Landesteilen in kirchlichen 
Fragen mit dem Zentrum stimmten, erschienen 
ihm als eine Verbindung mit Elementen, „deren 
fortdauernder prinzipieller Widerspruch gegen den 
preußischen Staat und gegen das Deutsche Reich 
notorisch ist“. Auch die angeblich „polonisierende 
Tendenz“ der Katholischen Abteilung hat er später 
einmal bezeichnet als den „eigentlichen Grund, 
durch den er überhaupt in den Kulturkampf ge- 
raten sei“". In der nachdrücklichen Ablehnung 
eines spezifisch protestantischen Charakters, welcher 
von liberaler und protestantischer Seite für das 
neue Reich in Anspruch genommen wurde, erblickte 
Fürst Bismarck den Ausdruck einer konfessionellen 
Abneigung gegen die evangelische Spitze des 
Deutschen Reichs, gegen das „evangelische Kaiser- 
tum“, wie er es am 6. März 1872 nannte. In 
dem Betonen des der Reichsverfassung zugrunde 
liegenden föderativen Prinzips sah er ein grund- 
sätzliches Widerstreben „gegen Kaiser und Reich". 
Das Gesamtauftreten der „katholischen Partei“ 
 
	        
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