571
dortigen Katholiken bezüglich ihrer politischen Hal-
tung Weisungen zu erteilen“. Graf Tauffkirchen
hatte bei dieser Unterredung das Vorgehen des
Zentrums dargestellt als „eine Vereinigung der
Gußersten Rechten mit der äußersten Linken, der
Schwärzesten mit den Rotesten“. Nochmals, am
30. Juni, wies Bismarck den Grafen Tauffkirchen
an, eine Intervention des Heiligen Stuhles zu
verlangen, mit der Begründung: „Als Ganzes
hat das Verhalten der Fraktion nur dazu bei-
getragen, die subversiven, aller Autorität der Re-
gierung feindlichen Tendenzen zu stärken und zu
fördern“; das „Bündnis der schwarzen mit der
roten Partei“ sei „im Reichstag durch den Ver-
such der Einführung der Grundrechte offen zutage
getreten“. Er fügte die Drohung hinzu: „Diese
aggressive Tendenz der die katholische Kirche be-
herrschenden Partei nötigt uns zur Abwehr, in
welcher wir nur unsere eigne Verteidigung suchen,
welche wir aber mit allem Ernst und mit den uns
zu Gebote stehenden Mitteln durchführen müssen.“
Doch auch dieser Versuch blieb ohne Erfolg. Viel-
mehr erklärte Antonelli, der inzwischen durch Mit-
glieder der neuen Zentrumsfraktion, zunächst durch
den Bischof von Mainz, Freiherrn v. Ketteler, dann
auch durch Fürst Löwenstein und Lingens über
die wahre Natur jener Vorgänge aufgeklärt worden
war, in einem Briefe an den Bischof von Mainz
vom 5. Juni, „es habe ihn nicht wenig betrübt,
daß durch die Gegner der Kirche in deutschen
Zeitungen verbreitet worden sei, er habe die Hand-
lungsweise der katholischen Fraktion im Reichstag
getadelt“.
5. Die Ablehnung der Kurie, „dem feindlichen
Auftreten des Zentrums gegen das Reich Einhalt
zu gebieten“, wurde von der preußischen Regierung
erwidert durch die Allerhöchste Kabinettsorder vom
8. Juni 1871, welche die Katholische Ab-
teilung im Kultusministerium gufshob. Diese,
1841 nach Beendigung der „Kölner Wirren“
geschaffen, hatte bis dahin die Beziehungen der
katholischen Kirche zum Staate mit einer gewissen
Selbständigkeit bearbeitet. Fortan wurde diese
Bearbeitung ausschließlich protestantischen Räten
anvertraut.
Mit diesem Akte trat Fürst Bismarck offen in
den kirchenpolitischen Konflikt ein. Er ist als
der Anfang des späteren sog. „Kulturkampfes“
zu betrachten. Drei Faktoren vereinigten sich bei
diesem Kampfe gegen die Kirche: auf seiten der
Regierung die politische Machtfrage; auf seiten
des Liberalismus und des Freimaurertums das
allgemeine Widerstreben gegen jeglichen positiven
Glauben und das Prinzip der unbedingten
Staatshoheit auch über die Kirche; auf seiten der
Konservativen der frisch erwachte konfessionelle
Gegensatz und der Haß „gegen Rom“. Gleich-
zeitig suchte das vorwiegend nationalliberale und
jüdische „Gründertum“, welches den wirtschaft-
lichen Aufschwung Deutschlands nach 1870 zu
unerhörter Ausbeutung des Volkes benutzte, durch
Kulturkampf ufw.
572
Hetzen gegen Rom die Aufmerksamkeit von dem
eignen Treiben abzulenken. Der „Altkatholizis-
mus“ bot, wie erwähnt, gleichfalls seine Unter-
stützung. Dazu trat bald, nach dem Sturze des
Kultusministers v. Mühler, am 22. Jan. 1872 an
die Spitze des preußischen Kultusministeriums eine
durch und durch bureaukratische Natur, Dr Falk,
der Sohn eines protestantischen Predigers, wel-
cher die Überlieferungen des früheren altpreu-
Pßischen Staatskirchentums mit den Instinkten des
modernen kirchlichen Liberalismus in sich ver-
einigte. Er wurde alsbald von allen Seiten als
„Bannerträger im Kampf gegen Rom“ bezeichnet
und bekannte sich selbst in der Sitzung des Ab-
geordnetenhauses vom 28. Jan. 1874 offen zum
„Kampf gegen Rom“. Fürst Bismarck, ein
„Realpolitiker“, wie er selbst sich nannte, und von
Anfang an wohl ohne größeres konfessionelles
Vorurteil gegen die katholische Kirche, als in den
Kreisen des protestantischen altpreußischen Adels
im allgemeinen herrschend zu sein pflegt, war in
seiner Stellungnahme wohl wesentlich von poli-
tischen Erwägungen geleitet, obgleich er nachmals.
den Appell an den konfessionellen Gegensatz als
Kampfmittel mehrfach nicht verschmähte und sich
„auf das protestantische Kaisertum eingeschworen“
fühlte. Von dem Selbstbewußtsein der staatlichen
Machtfülle getragen und von tiefem Widerwillen
gegen den modernen Konstitutionalismus beseelt,
den er nur notgedrungen in das neue Reich hatte
einführen helfen, betrachtete er als dessen „unge-
heuerlichste Erscheinung“ eine „konfessionelle Frak-
tion“. Besonders widerwärtig war ihm die Auf-
nahme der bayrischen „Partikularisten“, welche
vor kurzem im bayrischen Abgeordnetenhause gegen
die Kriegsanleihe, dann auch gegen die Versailler
Verträge gestimmt hatten. Die Mitgliedschaft
des „welfischen“ Abgeordneten Windthorst, eines
früheren hannoverischen Justizministers, sowie der
Umstand, daß die katholischen Abgeordneten aus
den polnisch redenden Landesteilen in kirchlichen
Fragen mit dem Zentrum stimmten, erschienen
ihm als eine Verbindung mit Elementen, „deren
fortdauernder prinzipieller Widerspruch gegen den
preußischen Staat und gegen das Deutsche Reich
notorisch ist“. Auch die angeblich „polonisierende
Tendenz“ der Katholischen Abteilung hat er später
einmal bezeichnet als den „eigentlichen Grund,
durch den er überhaupt in den Kulturkampf ge-
raten sei“". In der nachdrücklichen Ablehnung
eines spezifisch protestantischen Charakters, welcher
von liberaler und protestantischer Seite für das
neue Reich in Anspruch genommen wurde, erblickte
Fürst Bismarck den Ausdruck einer konfessionellen
Abneigung gegen die evangelische Spitze des
Deutschen Reichs, gegen das „evangelische Kaiser-
tum“, wie er es am 6. März 1872 nannte. In
dem Betonen des der Reichsverfassung zugrunde
liegenden föderativen Prinzips sah er ein grund-
sätzliches Widerstreben „gegen Kaiser und Reich".
Das Gesamtauftreten der „katholischen Partei“