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Entwürfe und der etwa auf Grund derselben zu
erlassenden Gesetze förmliche und feierliche Ver-
wahrung einzulegen“. Am 2. Mai 1873, nach
Annahme der Verfassungsänderung, richteten die
Bischöfe in gleichem Sinne ein gemeinsames Hirten-
schreiben an ihre Diözesanen. Nach Publikation
der Maigesetze selbst überreichten am 26. Mai die
Bischöfe dem Staatsministerium die gemeinschaft-
liche Erklärung, daß sie nicht imstande seien, zum
Vollzug derselben mitzuwirken. — In voller Über-
einstimmung mit dem Episkopat empfahlen die
politischen Führer des katholischen Volkes, welche
im Abgeordnetenhause den Erlaß dieser Gesetze
Schritt für Schritt auf das nachdrücklichste be-
kämpft hatten, den passiven Widerstand
gegen dieselben, zu dem auch die Bischöfe selbst
und die übrige Geistlichkeit ihre Zuflucht nahmen.
Es begann nunmehr der große Kampf der preu-
ßischen Katholiken für die Freiheit und Rechts-
stellung ihrer Kirche, bei dem auf seiten der Re-
gierung keines der zahlreichen Machtmittel der
Gesetzgebung und Verwaltung, auf seiten des
kirchenfeindlichen, fanatischen Liberalismus keine
Verleumdung, Verlästerung und Verhetzung, auf
katholischer Seite aber auch keine Mühe und kein
Opfer gescheut wurde.
Der Widerstand der Bischöfe äußerte sich sofort
in einer Reihe maigesetzwidriger Anstellungen ohne
vorherige Anzeige, denen dann die maigesetz-
lichen Strafen auf dem Fuße folgten. Die
Staatsaufsicht über die kirchlichen Anstalten wurde
abgelehnt; sofort wurden diesen die Staats-
zuschüsse entzogen und dann deren Schließung
verfügt. Zum „Kulturexamen“ hat sich niemals
ein katholischer Theologe gemeldet. Die katholisch-
theologischen Fakultäten verödeten. Der Erz-
bischof von Köln wurde wegen Bekanntmachung
der Exkommunikation zweier Priester im „Amt-
lichen Kirchenblatt“, der Bischof von Paderborn
wegen der Weigerung, die von ihm über einen
Priester verhängte Suspension aufzuheben, von
Geldstrafen getroffen. Wegen Verweigerung der
Lossprechung im Beichtstuhl und wegen Ausschluß
vom Empfang der heiligen Kommunion wurden
in mehreren Fällen Priester maigesetzlich verfolgt
und verurteilt. Es folgten in immer größerer
Zahl Verurteilungen von Bischöfen und Geist-
lichen wegen maigesetzwidriger Amtshandlungen:
weil sie getauft, das Sakrament der Buße ge-
spendet, in Gegenwart von Gemeindemitgliedern
das heilige Meßopfer dargebracht, die heilige
Kommunion ausgeteilt und Sterbenden die letzte
Wegzehrung und heilige Olung gebracht hatten.
Da die Verurteilten regelmäßig nicht zahlten, kam
es jedesmal zur Zwangsvollstreckung, zur Pfän-
dung und Versteigerung der gepfändeten Gegen-
stände. Wenn auf dem Wege der Zwangsvoll=
streckung die Geldstrafen nicht mehr beizutreiben
waren, wurden die Verurteilten ins Gefängnis
geführt. Durch Verfügung vom 24. Okt. 1873
empfahl der Minister Falk verschärftes Vorgehen;
Kulturkampf ufw.
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jede einzelne Amtshandlung solle sofort zum Gegen-
stand einer strafrechtlichen Untersuchung gemacht
werden; vor der Eventualität der Gefängnisstrafen
solle man in keiner Weise zurückschrecken.
Mit der Handhabung der maigesetzlichen Straf-
bestimmungen hielten Verwaltungsmaß-
regeln gleichen Schritt. Der Kriegsminister
ordnete durch einfache Verfügung die Heran-
ziehung der Theologen zum Militärdienst an.
Die Marianischen Kongregationen an den Gym-
nasien wurden verboten, die katholischen Vereine
wurden der strengsten Aufsicht, die politischen Ver-
sammlungen und die Presse der Zentrumspartei
der eifrigsten Uberwachung unterstellt. Die Straf-
prozesse gegen Redner auf solchen Versammlungen,
Geistliche und Laien, sowie gegen Redakteure und
Verleger katholischer Zeitungen erreichten infolge-
dessen bald eine außerordentlich hohe Zahl. Durch
Allerhöchste Verordnung vom 6. Dez. 1873 wurde
der von den katholischen Bischöfen dem König zu
leistende Eid umgeändert: die frühere Beziehung
auf den dem Pahpfste geleisteten Eid war aus-
gemerzt und eine unbedingte Anerkennung der Ge-
setze des Staates aufgenommen worden. In dieser
Form ist der Eid niemals von einem katholischen
Bischof geleistet worden.
Die ganze Schärfe der Maigesetze erfuhr zu-
erst der Erzbischof von Posen, Graf Ledo-
chowski. Am 3. Febr. 1874 wurde er zu zwei-
jährigem Gefängnis nach Ostrowo abgeführt, am
15. April 1874 durch Urteil des neuen Kirchen-
gerichtshofs für abgesetzt erklärt. Nach Entlassung
aus dem Gefängnis wurde ihm Torgau als Auf-
enthalt angewiesen. Er zog es vor, in Rom seinen
Wohnsitz zu nehmen, wo ihn am 15. März 1875,
während er noch im Gefängnis sich befand,
Papst Pius IX. zum Kardinal ernannt hatte.
Eine ähnliche Behandlung erfuhren die andern
Bischöfe. Am 6. März 1874 wurde der Bischof
von Trier, Dr Eberhard, am 31. März der Erz-
bischof von Köln, Dr Paulus Melchers, am
27. Juli der Weihbischof von Posen, Msgr Jani-
szewski, bald darauf auch der Weihbischof von
Gnesen, Mssgr Cybichowfki, verhaftet; der Weih-
bischof von Köln, Dr Baudri, wurde mehrfach
gepfändet.
Eine Unterstützung fand die Kirchenpolitik der
Regierung auf katholischer Seite nur in der sog.
„Staatskatholiken-Adresse“ vom 14. Junie
1873, deren etwa 150, meistens freikonservative,
Unterzeichner, an erster Stelle der Herzog von
Ratibor, nicht wollten, „daß bestehende Gesetze
bestritten und mißachtet würden“, und erklärten:
„Wir müssen und werden für den Staat stets
das Recht in Anspruch nehmen, die Grenzbestim-
mung zwischen Staat und Kirche den Bedürf-
nissen und Verhältnissen der stets wechselnden
lebendigen Entwicklung der Gesellschaft entspre-
chend selbständig zu gestalten.“ — Auch die Alt-
katholiken standen fest auf seiten der Regierung,
welche ihnen dafür mit nachdrücklicher Unterstützung