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aufgehoben, die allein noch geduldeten, ausschließ-
lich krankenpflegenden Ordenspersonen in ihrer
Wirksamkeit vielfach behindert. — Das Altkatho-
likengesetz konnte zwar der bereits absterbenden
altkatholischen Bewegung nicht mehr aufhelfen,
entzog aber einer ganzen Reihe von katholischen
Gemeinden ihre Kirchen, indem in vielen Fällen
die staatlichen Behörden schon eine Anzahl von
30/40 Altkatholiken in Gemeinden von 3000/4000
Seelen als „erheblich“ anerkannten. — Das Zivil-
ehegesetz dagegen traf die katholische Kirche in der
beabsichtigten Weise fast gar nicht und machte sich
viel mehr für die protestantische fühlbar. — In
Sachen des Kirchenvermögensgesetzes entschlossen
sich die Bischöfe unter Zustimmung des Aposto-
lischen Stuhles und im Vertrauen auf die bewährte
kirchliche Gesinnung und Treue der Katholiken,
an der Ausübung desselben mitzuwirken. — Der
Kampf der Regierung gegen den passiven Wider-
stand des katholischen Volkes ging mit immer
größerer Erbitterung weiter und zeitigte, nament-
lich im Posenschen, Vorgänge, welche man nur
grauenerregend nennen kann. Der Kampf auf
dem Gebiete der Schule gelangte zu seinem Höhe-
punkt durch ein Reskript des Kultusministers Falk
vom 18. Febr. 1876, welches nicht nur die staat-
liche Aufsicht über den Religionsunterricht fest-
hielt, sondern sogar bestimmte, daß der Religions-
unterricht selbst „von den vom Staate dazu be-
rufenen oder zugelassenen Organen unter seiner
Ausfsicht erteilt“ werden solle.
5. In den Jahren 1876, 1877, 1878 floß
die Quelle der Kulturkampfgesetzgebung spär-
licher. Das Gesetz vom 26. Febr. 1876 fügte
dem § 130 a des Reichsstrafgesetzbuches,
dem sog. Kanzelparagraphen, den Zusatz bei:
„Gleiche Strafe (Gefängnis oder Festungshaft
bis zu zwei Jahren) trifft denjenigen Geistlichen
oder andern Religionsdiener, welcher in Ausübung
oder in Veranlassung der Ausübung seines Be-
rufes Schriftstücke ausgibt oder verbreitet, in wel-
chen Angelegenheiten des Staates in einer den
öffentlichen Frieden gefährdenden Weise zum Ge-
genstand einer Verkündigung oder Erörterung
gemacht sind.“ Es sollte dadurch die Verlesung
päpstlicher und bischöflicher Außerungen verhindert
werden. — Das „Gesetz über die Aufsichts-
rechte des Staates bei der Vermögens-
verwaltung in der katholischen Diözesen“ vom
7. Juni 1876 unterstellt die bischöfliche Ver-
waltung der für die katholischen Bischöfe, Bis-
tümer und Kapitel bestimmten Vermögensstücke
und der kirchlichen Anstalten, Stiftungen und
Fonds der staatlichen Aufsicht, auf Grund deren
der Staat eine lange Reihe von Genehmigungs-
und Kontrollrechten bei den verschiedensten Ver-
waltungsmaßregeln der kirchlichen Organe erhält.
Zu diesem Gesetz erging eine Ausführungsverord-
nung vom 29. Sept. 1876.
Das Jahr 1877 brachte kein neues Kultur-
kampfgesetz. Die Anwendung der bestehenden da-
Kulturkampf ufw.
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gegen hielt den gleichen Schritt wie früher. Der
Bischof von Hildesheim war schließlich zu einer
Gesamtstrafsumme von 87 600 KM verurteilt, der
Bischof von Kulm zu fast 20 000 M. Kardinal-
Erzbischof Ledochowski, der sich außer Landes be-
fand, wurde im Febr. noch zu 2½ Jahren Ge-
fängnis, im Sommer zu einem weiteren Jahre
verurteilt und dann steckbrieflich verfolgt; er sollte
außerdem 98 400 M Geldstrafe zahlen. Die son-
stigen Verurteilungen von Geistlichen und andern
waren zahllos. Immer mehr Pfarreien verwaisten,
und immer höher stieg die seelsorgliche Not der
katholischen Bevölkerung.
Das Jahr 1878 brachte endlich den Abschluß
der Kulturkampfgesetzgebung, ein Nachtragsgesetz
zum Kirchenvermögensgesetz. Das „Gesetz, betr.
die Befugnis der Kommissarien für die bi-
schöfliche Vermögensverwaltung in
den erledigten Diözesen, Zwangsmittel anzu-
wenden“, vom 13. Febr. 1878 überträgt den
staatlichen Kommissaren die in dem Kirchenver-
mögensgesetz vergessene Exekutivgewalt bei Aus-
übung ihrer Verwaltung und Aussicht, nämlich
das Recht, Exekutivgeldstrafen bis zu 150 M zu
verhängen und unmittelbaren Zwang anzuwenden.
Die Hoffnung, welche der Abgeordnete Freiherr
v. Heereman bei der Beratung dieses Gesetzes aus-
gesprochen hatte, daß es das letzte ausf dem Gebiete
des Kulturkampfes sein werde, eine „Art Testa-
ment“, erwies sich als begründet. Alle Mittel zur
Durchführung desselben waren erschöpft. Das
katholische Volk, seine geistlichen Führer und seine
parlamentarische Vertretung waren ungebeugt,
obwohl die preußische Kulturkampfgesetzgebung
das vollständigste System zur Unterdrückung der
Freiheit der Kirche war, das jemals aufgebaut
wurde. Niemals ist einer Regierung, am wenigsten
von einer sich „liberal“ nennenden Mehrheit, eine
solche Fülle der einschneidendsten Polizeimaßregeln
und des materiellen Druckes, ein solches Maß dis-
kretionärer Vollmachten, eine solche Ungebunden-
heit von richterlicher Kontrolle gewährt worden.
An der rücksichtslosesten Handhabung aller zu Ge-
bote stehenden Mittel hatte es nicht gefehlt. Aber
der Erfolg scheiterte an dem Glaubensbewußtsein
des katholischen Volkes; den Kulturkämpfern selbst
begann die Kampfesfreudigkeit zu schwinden.
III. Stillskand und Wendung im Kullur-
kampf. Von der Wahl Leos XIII. und dem
Rücktritt Falks bis zum Ende des Jahres 1885.
1. Am 7. Febr. 1878 starb Papst Pius IX.;
am 20. Febr. folgte ihm Leo XIII. auf dem
päpstlichen Stuhle. Bei seiner Anzeige der Thron-
besteigung an den Kaiser gab er dem Bedauern
Ausdruck, daß die früheren guten Beziehungen des
Heiligen Stuhles zum Deutschen Reiche gestört
seien, und wandte sich an die Hochherzigkeit des
Kaisers, „um zu erlangen, daß der Friede und die
Ruhe des Gewissens dem katholischen Teile seiner
Untertanen wiedergegeben werden“. Die Antwort
des Kaisers vom 24. März war in versöhnlichem