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hierfür in Händen hat, wird sie sich bemühen, von
der Landesvertretung Vollmachten zu gewinnen,
welche ihr bei der Anwendung und Handhabung
der einschlagenden Gesetzgebung freiere Hand ge-
währen und damit die Möglichkeit bieten, solche
Vorschriften und Anordnungen, die von der rö-
mischen Kirche als Härten empfunden werden, zu
mildern oder zu beseitigen“. Der römische Stuhl
verweigerte jedoch die Gestattung der Anzeige ohne
die verlangten Bürgschaften und gesetzlichen Neu-
reglungen; die in dem Breve an den Erzbischof
von Köln ausgesprochene Konzession war durch
Nichterfüllung der Bedingungen von selbst hin-
fällig geworden. Damit waren die Verhandlungen
zunächst abgebrochen.
2. Nunmehr ging die Regierung, obwohl die
Voraussetzungen des Staatsministerial-Beschlusses
vom 17. März nicht eingetroffen waren, „aus
ihrer eignen Initiative heraus“ vor, „ohne von
der Kurie eine Gegenkonzession zu erhalten oder
zu erwarten“, und schlug am 20. Mai dem Ab-
geordnetenhause in der ersten kirchenpoli-
tischen Novelle eine Reihe gesetzlicher Maß-
regeln vor, „welche mit den unveräußerlichen
Rechten des Staates verträglich sind“ und „die
Wiederherstellung einer geordneten Diözesanver-
waliung und die Abhilfe des eingetretenen Priester-
mangels möglich machen“ sollten. In Rom hatte
man nicht einmal Kenntnis von dem Entwurf.
Dieser verlangte für die Regierung die Voll-
macht zur Dispensation von gewissen maigesetz-
lichen Bestimmungen. Durch Anwendung oder
Nichtanwendung dieser „diskretionären Vollmach-
ten“ hoffte dann die Regierung von Rom weitere
Zugeständnisse zu erringen. Das Zentrum war
bemüht, diese in dauernde gesetzliche Bestimmungen
zu verwandeln. Als das nicht gelang, stimmte es
gegen das Gesetz. Dieses wurde durch die konser-
vativen Fraktionen und die Hälfte der National-
liberalen mit 206 gegen 202 Stimmen zu stande
gebracht, und zwar in wesentlich veränderter Ge-
stalt. Am 14. Juli wurde es vom König sank-
tioniert, daher Juligesetz genannt. Dieses
„Gesetz betr. Abänderung der kirchenpolitischen
Gesetze“ vom 14. Juli 1880 bestimmte, daß in
Bistümern, die erledigt oder deren Bischof staat-
lich abgesetzt warx, auf Beschluß des Staatsmini-
steriums ein Bistumsverweser zugelassen werden
könne unter Dispensation von dem maigesetzlich
vorgeschriebenen Eid; das Staatsministerium sollte
eine eingeleitete staatliche, kommissarische Ver-
mögensverwaltung in solchen Bistümern wieder
aufheben und die Wiederaufnahme eingestellter
Staatsleistungen für den Umfang eines Sprengels
anordnen können; alle diese Bestimmungen sollten
nur bis 1. Jan. 1882 gelten. Sodann ermäch-
tigte das Gesetz die Minister des Innern und des
Kultus, den zugelassenen krankenpflegenden Orden
einige Erweiterungen ihrer Tätigkeit auf chari-
tativem Gebiet zu gewähren. Daneben enthielt das
Gesetz einige endgültige, wenn auch kleine Ver-
Kulturkampf ufw.
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änderungen: fortan sollte nicht mehr auf „Amts-
entsetzung“ von Kirchendienern, sondern „auf
Unfähigkeit zur Bekleidung ihres Amtes“ erkannt
werden; wichtiger war die Bestimmung, daß die
„von gesetzmäßig (d. h. vor Erlaß der Maigesetze)
angestellten Geistlichen in erledigten oder in solchen
Pfarreien, deren Inhaber an der Ausübung des
Amtes verhindert ist, vorgenommenen geistlichen
Amtshandlungen“ straffrei sein sollten. Diese
letzte Bestimmung, welche den „Nachbargeistlichen“
die Aushilfe in verwaisten Pfarreien gestattete,
wurde von der katholischen Geistlichkeit sofort und
in weitestem Umfange benutzt. Dagegen machte
die Regierung von ihren Vollmachten nur zögernd
Gebrauch. Zunächst wurde am 11. Febr. 1881
in Osnabrück und am 26. Febr. in Paderborn
ein Bistumsverweser gewählt, welchen die Re-
gierung unter Verzicht auf den gesetzlichen Eid
anerkannte; dem am 28. März in Trier gewählten
Bistumsverweser Domkapitular Dr de Lorenzi
versagte dagegen die Regierung die Dispensation
vom gesetzlichen Eide und damit die Zulassung.
Am 11. März 1881 war ein abermaliger Wechsel
im Kultusministerium eingetreten: auf v. Putt-
kamer, welcher Minister des Innern wurde, folgte
der bisherige Unterstaatssekretär im Kultusmini-
sterium, v. Goßler. Minister v. Puttkamer
hatte bei seiner ganzen Amtsführung, auch wo er,
was zuweilen geschah, theoretisch sehr schroff den
maigesetzlichen Standpunkt festhielt, der katho-
lischen Kirche in der Praxis unverkennbares Wohl-
wollen bewiesen und bei Handhabung der Gesetze
manche Erleichterungen eintreten lassen. In der
Simultanisierung der Volksschulen — unter Falk
war die Zahl der Simultanschulen, welche im
Jahre 1870 nur 60 betrug, um 382 mit 2049
Lehrern und anschlagsmäßig 160 000 Kindern
vermehrt worden — war unter ihm eine rückläufige
Bewegung eingetreten. Die Erteilung des Reli-
gionsunterrichtes in den Volksschulen, welche Falk
ausschließlich für die staatlichen Organe in An-
spruch genommen hatte, hatte er wieder in weitem
Umfange den Geistlichen überlassen.
Unter seinem Nachfolger v. Goßler nahm die
Wiederherstellung der bischöflichen Diözesanver-
waltungen ihren Fortgang. Nach Vereinbarung
mit der Regierung ernannte der Papst zum Bischof
von Trier den Straßburger Kanonikus Dr Felix
Korum, welcher am 14. Aug. 1881 in Rom ge-
weiht wurde. Das Domkapitel hatte auf sein
Wahlrecht verzichtet, um der Kurie freie Hand zu
lassen. Dasselbe Verfahren wurde fortan bei den
meisten Neubesetzungen von Bischofsstühlen ein-
geschlagen. Am 26. Okt. wurde, nachdem Fürst-
bischof Förster gestorben war, für Breslau ein
Bistumsverweser erwählt, welcher von dem Eide
dispensiert wurde, und am 15. Nov. wurde der
Hildesheimer Generalvikar Dr Kopp durch päpst-
liches Breve zum Bischof von Fulda ernannt.
Auch die neuen Bischöfe wurden von dem vor-
geschriebenen Bischofseide dispensiert, was ohne