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wird mit meinem Willen auch nicht um ein Haar
breit nachgegeben werden.“ Als auch die Thron-
rede zur Eröffnung des Landtages am 14. Jan.
1885 keine neue kirchenpolitische Vorlage ankün-
digte, brachte der Abgeordnete Windthorst seine
Anträge auf Aufhebung des Sperrgesetzes und
Straffreiheit des Messelesens und Sakramente-
spendens abermals ein. Am 22. April kamen sie
zur Beratung; der erste wurde mit 182 gegen 128,
der zweite mit 169 gegen 127 Stimmen ver-
worfen; der Kultusminister hatte, ebenso wie
Fürst Bismarck im Reichstag, den Mangel pöpst-
licher Konzessionen betont.
Die Verhandlungenmitder Kurie in
dieser Zeit führten nur zu dem Ergebnis, daß der
Kölner Erzstuhl neu besetzt wurde. Erzbischof
Melchers hatte schon früher seine Bereitwilligkeit
zur Resignation dem Papste erklärt. Nun nahm
der Papst diese an und ernannte nach Überein-
kunft mit der Regierung im Konsistorium vom
30. Juli 1885 den Bischof Krementz von Erm-
land, einen gebornen Koblenzer, zum Erzbischof
von Köln. Erzbischof Melchers war schon am
27. Juli zum Kardinal erhoben worden. Zum
Nachfolger auf dem Ermländer Bischofsstuhl
wurde nach längeren Unterhandlungen erst am
15. Dez. vom Domkapitel der dortige General-
vikar Dr Thiel gewählt, nachdem die Zweifel über
die Anwendbarkeit der Bestimmungen der-Bulle
De salute animarum auf diesen Fall der Er-
ledigung eines Bischofsstuhles durch Translation
des Bischofs zugunsten dieser Bestimmungen er-
ledigt worden waren. Dagegen wurde die Neu-
besetzung der Posen-Gnesener Erzdizese nicht er-
reicht, obwohl Kardinal Ledochowski schon im
März 1884 vom Papste zum Sekretär des Bitt-
schriftenamtes mit Residenzpflicht in Rom ernannt
worden war. Die Regierung bestand nämlich auf
einem deutschen Kandidaten, während die Kurie
im kirchlichen Interesse einen Erzbischof polnischer
Abstammung für unumgänglich hielt.
Neue Hoffnungen für die Regierung knüpften
sich an einen Studienerlaß des Paderborner
Generalvikariates vom 17. Febr. 1885,
welcher die Kandidaten des Priesterstandes daran
erinnerte, daß sie während des Besuches ihrer
theologischen und philosophischen Vorlesungen
auch Vorlesungen aus dem Gebiete der Geschichte
und deutschen Literatur zu hören und ein beson-
deres „Zeugnis über den Fleiß im Besuche dieser
Vorlesungen“ zu erbitten hätten. Der Erlaß schloß
sich also an die Bestimmungen der Novelle von
1882 an, welche vom Papste nicht akzeptiert
waren; auch erschien das gesonderte Vorgehen
einer einzelnen bischöflichen Behörde in einer der-
artigen grundsätzlichen Frage, über welche zwischen
Regierung und Kurie verhandelt wurde, unzu-
lässig. Es machten sich daher lebhafte Bedenken
gegen den Erlaß geltend. Am 15. Juli wurde er
auf Weisung des päpstlichen Stuhles zurück-
gezogen, und die Konferenz der preußischen Bi-
Kulturkampf ufw.
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schöfe zu Fulda vom 4. Aug. eröffnete allen Stu-
dierenden der Theologie, daß die Einholung der
sog. „Fleißzeugnisse“ bei kanonischer Strafe der
Unfähigkeit zum Empfang der heiligen Weihen
nicht gestattet sei. Die „Neue Preußische (Kreuz-)
Zeitung“ hatte an den Erlaß in offiziösen Ar-
tikeln ein ganzes Programm geknüpft, wie durch
nachsichtige und leutselige Handhabung der Mai-
gesetze ein modus vivendi in ihrem Sinne her-
gestellt, d. h. die Maigesetze allmählich zur Geltung
gebracht werden könnten. Doch fand diese „Ver-
sumpfungspolitik“ in katholischen Kreisen unaus-
gesetzt den nachdrücklichsten Widerstand und trug
wesentlich dazu bei, bei den im Oktober 1885
stattfindenden Neuwahlen zum Abgeordneten-
hause die Katholiken zur beharrlichsten Geltend-
machung ihrer Forderungen zu veranlassen, um
so mehr, als die Regierung mit verstärktem Nach-
druck auf das Zustandekommen einer ihr unbedingt
ergebenen „Mittelpartei“ hinarbeitete, um so vom
Zentrum und den selbständigen Konservativen un-
abhängig zu werden. Das Zentrum behauptete
sich mit 97 Mitgliedern und 2 Hospitanten wie-
der glänzend; aber das Zustandekommen einer
Mehrheit der Mittelparteien hatte nicht verhindert
werden können. Im Reichstag dagegen, wo die
Wahlen von 1884 dem Zentrum 99 Mitglieder
und 10 Hospitanten gebracht hatten, blieb seine
Stellung die gleiche.
IV. Herstellung eines modus vivendi.
1. Durch das Zustandekommen der Mittelpartei
im Abgeordnetenhause wurde das Ver-
hältnis der Regierung und insbesondere des
Fürsten Bismarck zum Reichstage, in welchem
die Opposition die Oberhand behauptete, ein
immer gespannteres. Fürst Bismarck spielte das
Abgeordnetenhaus rücksichtslos gegen den Reichs-
tag aus, jedoch ohne Erfolg, da der maßvolle Ge-
brauch, den die Mehrheit des Reichstages unter
Führung des Abgeordneten Windthorst von ihrer
Stellung machte, dem Reichstage die Zustimmung
der öffentlichen Meinung sicherte. Die wichtigsten
neuen Gesetze, wie das Krankenversicherungsgesetz,
die Zolltarifnovelle, das Börsensteuergesetz und
das von dem Zentrumsabgeordneten Freiherrn
v. Huene beantragte Verwendungsgesetz, waren
nur durch die ausschlaggebende Mitwirkung des
Zentrums zustande gekommen. Das Unfall-
versicherungsgesetz wurde zweimal abgelehnt und
erst angenommen, nachdem die Regierung die von
dem Zentrum als notwendig bezeichneten Ab-
änderungen hatte eintreten lassen. Auf der andern
Seite waren, stets wesentlich durch die Stellung-
nahme des Zentrums, das Tabakmonopol und
mehrere andere Steuerprojekte der Regierung ab-
gelehnt worden, ebenso die von der Regierung
verlangte Beratung eines zweijährigen statt des
bisherigen einjährigen Etats und die Etatsposition
für den als Gegengewicht gegen den Reichstag er-
richteten Volkswirtschaftsrat. Der fast dreijährige
Stillstand in der Abänderung der Maigesetze