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wie in den Schutzgebieten in Ostafrika, welche
unter den Bestimmungen der Kongoakte stehen,
Missionäre aller Orden, einschließlich der Jesuiten
und „verwandten“ Orden, unbeschränkt zuzulassen
wären, auf den Widerspruch der Regierung hin
abgelehnt. Der Antrag des Abgeordneten Windt-
horst auf Aufhebung des Priesterausweisungs-
gesetzes wurde in dritter Lesung fast mit Ein-
stimmigkeit angenommen, ohne daß jedoch die
Regierung sich zu demselben äußerte, obwohl der-
selbe Antrag bereits dreimal vorher mit immer
größer werdenden Mehrheiten vom Reichstag an-
genommen worden war. Ein Antrag des Frei-
herrn v. Huene, die (katholischen und protestan-
tischen) Theologen wieder vom Militärdienst zu
befreien, der am 12. Dez. 1889 in zweiter Lesung
mit 127 gegen 111 Stimmen angenommen wor-
den war, wurde am 18. Jan. 1890 in dritter
Lesung infolge des Widerspruchs aus den Kreisen
der protestantischen Theologen mit 121 gegen
89 Stimmen des Zentrums abgelehnt. Doch
wurde ein Gegenantrag der Abgeordneten v. Kar-
dorff und v. Kleist-Retzow, welcher diese Befreiung
auf die katholischen Theologen beschränkt, mit
großer Mehrheit angenommen. Am 8. Febr.
1890 wurde er Gesetz. Auch den Antrag auf
Aufhebung des Priesterausweisungsgesetzes nah-
men die verbündeten Regierungen endlich an; er
wurde Gesetz am 6. Mai 1890. Ein Gesetz-
entwurf des Kultusministers v. Goßler betr.
die Verwendung der Sperrgelder, welcher am
29. April 1890 zur ersten Beratung kam, wurde
am 7. Juni abgelehnt; das Zentrum hatte sich
entschieden gegen ihn erklärt, weil er die Sperr-
gelder „zugunsten der allgemeinen Staatsfonds
vereinnahmen“ und den einzelnen Diözesen nur
eine schmale Rente von der Summe anweisen
wollte, welche aus ihrem Bezirk aufgekommen war.
In der folgenden Session legte Kultusminister
v. Goßler einen neuen Entwurf vor, welcher jetzt
das Kapital an die einzelnen Diözesen zur Ver-
teilung an die Geschädigten herausgeben wollte.
Nach mehreren Abänderungen wurde er im Ab-
geordnetenhause angenommen. Unter dem 24. Juni
1891 wurde die Vorlage Gesetz.
V. Schluß. 1. Das System der Maigesetz-
gebung ist durch die beiden letzten Novellen zer-
stört. Was von demselben noch übrig bleibt,
ist, so bedenklich es auch sein mag, nur noch,
wie Fürst Bismarck es nannte, „Schutt“ und
„Trümmer“. Der Kulturkampf in seiner eigen-
tümlichen und schroffen Form ist damit zu Ende.
Er war der gewaltigste kirchenpolitische Kampf des
19. Jahrh. und einer der gewaltigsten der ganzen
christlichen Geschichte. Nächst Gottes Hilfe ist
er entschieden worden durch die unwandelbare
Treue des katholischen Volkes und durch die feste
Einigkeit desselben mit seinen geistlichen Obern
und parlamentarischen Führern. Sein Ende ist
von der Regierung rascher und mit mehr Nach-
druck herbeigeführt worden, als vielfach für mög-
Kulturkampf usfw.
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lich gehalten wurde. Das Verdienst des Fürsten
Bismarck bei dieser raschen Beendigung kann nicht
verkannt werden. Der größte deutsche Staats-
mann der Reuzeit hat so den größten Irrtum
seines staatsmännischen Wirkens aus guter Real-
politik und mit seltener Selbstüberwindung soweit
möglich wieder gutzumachen gestrebt. Er bestätigte
damit vollauf die Zuversicht des Abgeordneten
Windthorst, welcher bereits am 6. April 1875,
nachdem er den Fürsten Bismarck als den einzigen
und alleinigen Träger der Kirchenpolitik bezeichnet
hatte, gleichwohl erklärte, seinen Rücktritt nicht zu
wünschen; denn, sagte er, „der Fürst Bismarck ist
der einzige Mann, der möglicherweise den Frieden
wiederherstellen kann und wiederherstellen wird an
dem Tage, wo er sich überzeugt, daß er auf dem
falschen Wege ist“. Ein völliger Friede ist jedoch
nicht hergestellt, sondern nur gemäß dem Aus-
spruch des Fürsten Bismarck ein modus vivendi,
welcher nach der Ansicht des Papstes einen „Zu-
gang zum Frieden" darstellt. Zu der dem Papste
in Aussicht gestellten abschließenden Revision der
Maigesetze ist es nicht gekommen. Vielleicht ist die
Veränderung der Stellung des Fürsten Bismarck
nach dem Tode Kaiser Wilhelms I. (gest. 9. März
1888) unter Kaiser Friedrich (gest. 15. Juni 1888)
und Kaiser Wilhelm II. und der bald erfolgte
Rücktritt des Fürsten Bismarck (19. März 1890)
darauf nicht ohne Einfluß gewesen. Von der
Rechtsstellung der katholischen Kirche in Preußen
seit 1850 ist der heutige Zustand noch weit entfernt.
Der verbliebene Rest der Maigesetzgebung
enthält noch zahlreiche das Recht der Kirche ver-
letzende Einzelbestimmungen, welche für die katho-
lische Kirche durchaus unannehmbar sind und jeder-
zeit einem übelwollenden Minister die kränkendsten
Maßregeln gegen die Kirche ermöglichen. Dazu
kommt der überlieferte Zug des preußischen Be-
amtentums, die Selbständigkeit der katholischen
Kirche in Preußen zu beschränken oder wenigstens
mit Argwohn zu betrachten; sodann das wieder
stärker hervortretende Streben, für den preußischen
Staat einen ausgeprägt protestantischen Charakter
und damit die Aufgabe einer mehr oder minder
offenen Bekämpfung des Katholizismus in An-
spruch zu nehmen, und endlich das nie rastende
Vorwärtsdrängen der „liberalen“ Ideen. „Die
Aufgabe der Katholiken, die religiösen Interessen
zu schützen, kann daher“, wie die Note Jacobinis
vom 21. Jan. 1887 sagt, „keineswegs als er-
schöpft angesehen werden, indem in ihr eine be-
dingte und zeitweilige und daneben eine unbedingte
und dauernde anerkannt werden muß. Auf die
vollständige Abschaffung der Kampfesgesetze hinzu-
wirken, die richtige Auslegung der neuen Gesetze
zu verteidigen und ihre Ausführung zu überwachen,
das alles fordert jederzeit die Tätigkeit der Katho-
liken.“ Bei Erfüllung dieser Aufgabe werden die
Katholiken Preußens und im Deutschen Reich nie-
mals von einer geschlossenen parlamentarischen
Vertretung absehen dürfen, damit dem Betonen