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durchlebte, schmilzt inzwischen rasch zusammen.
Am 31. März 1902 starb auch der Abgeordnete
Dr Lieber, welcher nach dem Tode Windthorsts
der hervorragendste Führer des Zentrums ge-
worden war und die Stellung des Zentrums im
politischen Leben zu behaupten verstanden hatte.
Unter seiner Führung hat das Zentrum immer
mehr gelernt, an den allgemeinen Aufgaben des
deutschen und preußischen Volkes, namentlich auch
den in besonderem Sinne sog. nationalen Auf-
gaben positiv schaffend und unbefangen mitzu-
wirken. Aufgabe der jüngeren Generation wird
es nun sein, rechtzeitig in die Lücken einzutreten
und die Aufgaben der älteren zu übernehmen.
Wenn auch die Erfüllung dieser Aufgabe seit der
Wendung vom 13. Dez. 1906 einstweilen erschwert
ist, so darf der katholische Volksteil doch niemals
sich von einem tätigen Anteil an ihrer Lösung ab-
schrecken lassen. Auf der richtigen Erkenntnis und
selbstlosen Durchführung dieser Aufgaben durch die
jüngere Generation beruht die Zukunft der Zen-
trumspartei und damit die kirchenpolitische Sicher-
heit des katholischen Volksteiles.
Literatur. Rolfus u. Sickinger, Kirchengeschicht-
liches in chronologischer Reihenfolge (1867 ff);
v. Kirchmann, Der Kulturkampf in Preußen
(51875); F. X. Schulte, Aufhebung der Maigesetze
(71877); ders., Geschichte der ersten sieben Jahre
des preuß. Kuliurkampfes! (21879); Hahn, Gesch
des Kulturkampfes in Preußen (1881); F. 4
Schulte, Geschichte des Kulturkampfes in Preußen
(1882); Siegfried, Aktenstücke betr. den preuß.
Kulturkampf (1882); v. Beesten, Beiträge zur
Charakteristik des Kulturkampfes (1883); Fehr,
Allg. Gesch. des 19. Jahrh. IV (1883/84); Wier-
mann, Gesch. des Kulturkampfes (1885); Majunke,
Gesch. des Kulturkampfes in Preußen-Deutschland
(1886); Jul. Bachem, Preußen u. die kath. Kirche
(5/1887); Ditscheid, Matthias Eberhard, Bischof
von Trier, im Kulturkampf (1900); Falter, Der
preuß. Kulturkampf von 1873 bis 1880 (1900);
Seeberg, An der Schwelle des 20. Jahrh. (1900);
Brück, Die Kulturkampfbewegung in Deutschland
(1901); Brück u. Kißling, Gesch. der kath. Kirche
in Deutschland im 19. Jahrh. IV (21907/08).
[Karl Bachem.)]
Kultusfreiheit s. Bekenntnisfreiheit.
zu ndschafter s. Krieg, Kriegsrecht (Sp.
Kunstpflege. Der Staat als solcher hat
erst seit seiner Neugestaltung im 19. Jahrh. Stel-
lung zur Kunst genommen. In der früheren Zeit
war die Pflege der Kunst Sache der Kirche, ein-
zelner Adliger, der Bürgerschaft oder des auf-
geklärten Fürstentums. Mehr oder weniger fällt
auch die Tätigkeit der Könige Friedrich Wil-
helm IV. von Preußen und Ludwig I. von Bayern
unter dieses persönliche Mäcenatentum.
Zuerst nahm sich der Staat der Ausbildung
der Künstler an, die in den Kunstakademien er-
folgt. Die Akademien waren ursprünglich Ver-
einigungen von Künstlern, die eine gemeinsame
Richtung vertraten (Mailand 1494 begründet
Kultusfreiheit
— Kunstpflege. 624
durch Leonardo da Vinci, Florenz 1571 be-
gründet durch Cosimo I., später die Akademie in
Rom, Ecole des beaux- arts in Paris, Aka-
demie in Nürnberg 1662 begründet durch San-
drart, in Berlin 1694, in Dresden 1705). Eigent-
liche Kunstschulen zur Ausbildung der Künstler in
Zeichnen, Malerei und Plastik sind die durch
Fürsten aus dem Hause Wittelsbach begründeten
Akademien in Düsseldorf, gestiftet 1767, erneuert
1822, und die in München, schon 1770 gestiftet,
doch eigentlich erst durch König Maximilian I.
1808 im heutigen Sinne begründet. Die beiden
Akademien haben den größten Einfluß auf die Kunst
des 19. Jahrh. gewonnen und zwei in sich ziem-
lich fest geschlossene Richtungen geschaffen. Erst in
neuerer Zeit ist ihr Einfluß durch die individuellere
Richtung in der Kunst wieder zurückgegangen.
Mag man auch von künstlerischem Standpunkt
immer wieder Bedenken gegen ihre Tätigkeit
äußern, so wird doch nach wie vor ihre Existenz
für die Ausbildung der großen Masse der Künstler
notwendig sein. Die innere Einteilung in Unter-
klassen und Meisterateliers ist allgemein durch-
geführt auch in den Akademien von Berlin, Kassel,
Leipzig, Dresden und Karlsruhe. Mit dem Auf-
schwung des Kunstgewerbes sind auch eine Reihe
von Kunstgewerbeschulen gegründet wor-
den, die für Heranbildung der Kunstgewerbler
sorgen. Die bedeutendsten sind in Berlin, Mün-
chen und Weimar.
Weiter pflegt und fördert der Staat die Kunst
durch Veranstaltungen von Kunstausstel-
lungen, Prämiierungen, Ankauf ihrer Werke
für öffentliche Sammlungen, Staatsgebäude und
Kirchen, durch Reisestipendien und künstlerische
Konkurrenzen. Lebhaftest zu begrüßen ist auch,
daß in immer höherem Maße Künstler bei Aus-
führung großer Staatsbauten sowohl für Archi-
tektur wie Inneneinrichtung herangezogen werden
(künstlerische Gestaltung von Bahnhöfen, Schulen,
Kasernen usw.).
Der Staat ist ferner bemüht, den künstlerischen
Geschmack der Bevölkerung zu bilden. In ver-
schiedenen Schulen sind schon anerkennenswerte
Versuche gemacht worden, die Schüler durch Zeich-
nen zum Sehenlernen zu erziehen und durch Lokal-
kunde ihr Interesse zu wecken. Am schlechtesten ist
es noch damit auf den Gymnasien bestellt, wo
außer einem dürftigen Unterricht in der Oberklasse
über antike Plastik fast nichts geschieht. In fast
allen Kreisen der Pädagogen, nicht zuletzt der
Volksschullehrer, wird der Kunsterziehung große
Beachtung geschenkt. Auch auf den „Kunsterzie-
hungstagen“ ist schon viel Anregung geboten wor-
den. Doch muß noch Bedeutendes nachgeholt
werden, um das Verständnis der Gebildeten für
Kunst tiefer und nachhaltiger zu beeinflussen.
Außerhalb der staatlichen Kunsterziehung hat in
den letzten Jahrzehnten wohl das meiste der
„Kunstwart“ geleistet. In der letzten Zeit hat er
seine Bestrebungen im „Dürerbund“ verdichtet,