Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

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Berũcksichtigt man ferner, daß in der Zeit zwi- 
schen beiden Zählungen die Zahl der ausländischen 
Wanderarbeiter sich vermehrt hat, von denen etwa 
50/60% weibliche Personen sind, so ist ein starker 
Rückgang der inländischen männlichen Arbeiter 
unter gleichzeitiger beträchtlicher Anspannung weib- 
licher Arbeitskräfte festzustellen. 
Man unterscheidet gewöhnlich Gesinde, 
Kontraktarbeiter und freie Arbeiter. 
Das Gesinde gehört zur häuslichen Gemeinschaft 
des Arbeitgebers, die Kontraktarbeiter sind durch 
einen längeren, meist jährlichen Vertrag für alle 
vorkommenden Arbeiten gebunden. Das Gesinde 
erhält in der Regel neben Wohnung und Be- 
köstigung einen Barlohn. Dagegen findet sich in 
der Gruppe der Kontraktarbeiter der Natural- 
lohn (Deputat) in erheblichem Maße und in den 
verschiedensten Formen. Er besteht häufig in der 
Gewährung einer freien Wohnung, sei es 
auf dem Gutshofe oder in besondern Gebäuden; 
dies ist die Regel bei den ostelbischen Gutstage- 
löhnern (Instleuten). Die Wohn= und Wirt- 
schaftsräume sind für jede Familie getrennt. Auch 
die Wanderarbeiter erhalten freie Unterkunft, 
Massenquartiere mit gemeinschaftlicher Feuer- 
stelle, wobei meist die Frau des Aufsehers oder 
Vorarbeiters das Kochen und Reinigen über- 
nimmt und der Arbeitgeber die Schlafgelegen- 
heit stellt. 
Neben der Wohnung wird häufig Land- 
nutzung gewährt: Gartenland, Kartoffel= oder 
Leinacker. Entweder sind dies festbegrenzte Flächen 
in der Nähe der Insthäuser, oder sie liegen „im 
Felde“ und werden je nach der Entbehrlichkeit 
für die Gutswirtschaft bald hier bald da zu- 
gewiesen. Während in der Regel die Fläche durch 
den Gutstagelöhner für sich selbst bewirtschaftet 
wird, kommt bei Getreidebau auch die Bestellung 
durch die Gutsherrschaft vor, auch wird wohl ein 
reises Feld zur Aberntung überwiesen. Zu den 
Instwohnungen pflegt Stallung für Kleinvieh, 
auch wohl für eine Kuh zu gehören. Dazu kommt 
das Recht, das Vieh auf die herrschaftliche Weide 
zu treiben, Überweisung von Stoppelweide, der 
Grasnutzung an Wegen und Gräben. An dessen 
Stelle wird auch wohl für die „Leutekuh“ ein 
Platz im herrschaftlichen Stalle oder auch ein 
festes Milchdeputat gewährt. Als Deputat 
werden ferner Nahrungsmittel in vertraglich be- 
stimmten Mengen geliefert: Kartoffeln, Mehl, 
Fleisch oder Speck, so bei manchen Deputatisten 
des Ostens und allgemein bei den Wander- 
arbeitern. Zu dem Naturallohn tritt der Bar- 
lohn. Dieser ist im allgemeinen im Osten nie- 
driger als im Westen und Süden, wo die In- 
dustrielöhne preiserhöhend wirken. Während die 
Gutstagelöhner des Ostens wesentlich auf den 
Naturallohn angewiesen sind, ist dies bei dem 
Arbeiter im Westen und Süden weniger der Fall. 
Dort findet sich vorwiegend der freie Arbeiter, 
häufig in Besitz von eignem oder gepachtetem 
Landarbeiter. 
  
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Land nebst Haus, der Arbeit annimmt, um das 
Einkommen aus der eignen Wirtschaft zu ergänzen, 
und meist Barlohn erhält. Indes findet sich auch 
die Gattung der landlosen Arbeiter, die 
zur Miete wohnen. Im Osten bilden diese („Ein- 
lieger“) neben den Instleuten den Hauptstock der 
Arbeitskräfte. Sie erhalten dort Deputat und Bar- 
lohn. Eine eigentümliche Gattung hat sich in West- 
falen und Hannover entwickelt, die Heuer- 
linge. Diese pachten vom Arbeitgeber, meistens 
größeren Bauern, ländliche, mit einem Haus ver- 
sehene Stellen (Kotten) zu verhältnismäßig nie- 
derem Preise und verpflichten sich zu ebenfalls 
mäßigen Preisen zu Arbeitsleistungen, die nach 
Art und Zeit oder auch nach dem Willen des 
Arbeitgebers bis zu einer gewissen Grenze bestimmt 
sind. Die freien Arbeiter des Westens verlangen 
häufig die Bestellung des eignen Landes durch 
den Arbeitgeber. Neben dem Natural= und Bar- 
lohn kommt auch die Gewinnbeteiligung 
vor. Es wird als Lohn ein bestimmter Anteil am 
Erdrusch, am gemähten Heu, bei der Kartoffel-, 
Rüben= und Tabakernte gewährt. Der Lohn ist 
bald Zeit= bald Akkordlohn, Einzelakkorde als 
Stücklohn, gemeinsame als Gruppenakkord. Da 
sich manche Arbeiten zum Akkord nicht eignen, so 
ergibt sich im allgemeinen ein aus Zeit= und 
Akkordlohn gemischtes System. 
Die Pflichten des Arbeiters regelr sich 
nach dem Dienstvertrage. Er ist entweder für alle 
vorkommenden oder für bestimmt angegebene 
Arten, Erntearbeiten, Rübenarbeit, Viehwartung 
usw., verpflichtet. Während er im übrigen nur 
die eigne Arbeitskraft zur Verfügung zu stellen 
hat, muß der Instmann des Ostens auf seine 
Kosten noch ein oder zwei Gehilfen, Scharwerker 
oder Hofgänger, stellen. Die zu leistende Arbeit 
ist in manchen Punkten von der des gewerb- 
lichen Arbeiters ihrer Natur nach verschie- 
den. Darum dürfen auch sozialpolitische Forde- 
rungen des einen Standes nicht ohne weiteres auf 
den andern übertragen werden. Zunächst treffen 
die Entstehungsgründe der gewerblichen Arbeiter- 
frage für die Landarbeiterfrage nicht überall zu. 
Die idealen, versöhnlichen Züge der Gemeinsam- 
keit der Arbeit, familiärer Beziehungen, der Hoch- 
achtung gegen den Arbeitgeber, der Gemeinsam- 
keit der Interessen finden sich in den Gegenden 
mit bäuerlicher Besitzverfassung noch häufig. Der 
Begriff des Dienstverhältnisses ist durch den des 
freien Arbeitsvertrages dort noch lange nicht über- 
all abgelöst. Am ehesten trifft dies bei den Wan- 
derarbeitern zu. Die Insten des Ostens stehen 
immerhin noch in einem gesindeähnlichen Verhält- 
nis, wenngleich der Standesunterschied zwischen 
ihnen und dem Gutsherrn das Gefühl einer Ge- 
meinsamkeit der Interessen weniger aufkommen 
läßt. In den bäuerlichen Gegenden sind zwar die 
Standesunterschiede in vielfachen Abstufungen 
vorhanden, gleichwohl besteht bei den häufig 
grundbesitzenden Arbeitern noch ein Gefühl der
	        
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