Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

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fabrikate verwandt werden, kommt die preis- 
steigernde Wirkung der verschiedenen Kartelle 
natürlich nicht in gleich starker Weise zur Geltung. 
Es wurde schon darauf hingewiesen, daß die Fabri- 
kanten konsumfertiger Waren nicht immer in der 
Lage sind, die Preissteigerung der Rohstoffe usw. 
ganz oder auch nur teilweise auf das Publikum 
abzuwälzen. Im allgemeinen hat aber zweifellos 
schließlich doch die breite Masse der Konsumenten 
mehr oder weniger die Kosten der Kartellerfolge 
zu tragen. Kann auch durch Vereinigung der 
Konsumenten in Einkaufsgenossenschaften und 
Konsumvereinen ein recht wirksames Gegengewicht 
geschaffen werden — was namentlich den land- 
wirtschaftlichen Genossenschaften vielfach gelungen 
ist —, so ist das bisher gegenüber der großen 
Macht der Kartelle doch erst in verhältnismäßig 
geringem Umfang möglich gewesen. Am fühl- 
barsten ist für das große Publikum der „Kartell- 
ausfschlag“ bei der Kohle geworden. 
Faßt man die Wirkungen des Kartellwesens 
zusammen, so muß nochmals betont werden, daß 
die hervorgehobenen Nachteile nicht verallgemeinert 
werden dürfen. Es gibt auch Kartelle, die zu der- 
artigen Klagen keinen Anlaß gegeben haben. Zu 
erinnern ist z. B. an das Kalisyndikat. Nur 
in Deutschland wird Kali in abbauwürdigen 
Mengen gewonnen. Wäre diese Industrie nicht 
kartelliert, so würde das Kali zu billigen Preisen 
ins Ausland verschleudert werden. Das Kali- 
syndikat unter Führung des preußischen Staates, 
des meistbeteiligten Gesellschafters, hat den Grund- 
satz zur Durchführung gebracht: dem Ausland 
hohe, dem Inland niedrige Preise. Die Existenz 
und Tätigkeit des Kalisyndikats entspricht also 
durchaus den allgemeinen Interessen. Anderseits 
bleibt bestehen, daß manche Kartelle sich Ubergriffe 
haben zuschulden kommen lassen, daß ihre Ent- 
wicklung Mißstände und Auswüchse gezeitigt hat, 
deren Vorhandensein kaum noch von irgend einer 
Seite — mit Ausnahme der Nächstbeteiligten — 
bestritten wird. 
VII. Über die Aufgaßen des Staates und 
der Gesetzgebung gegenüber den Kartellen gehen 
die Ansichten im einzelnen noch weit auseinander. 
In der Tat sind die Schwierigkeiten richtiger und 
erfolgreicher staatlicher Maßnahmen zur Verhin- 
derung der Auswüchse des Kartellwesens nicht zu 
unterschätzen. In einer Reihe von nordameri- 
kanischen Einzelstaaten bestehen gesetz- 
liche Bestimmungen, gemäß welchen „alle Ver- 
bände von Firmen oder Korporationen zwecks 
Produktion allgemeiner Gebrauchsartikel“ (Maine) 
oder „alle Verbände, die dahin tendieren, den 
freien Wettbewerb in der Produktion, der Ein- 
fuhr, dem Verkauf von Gütern zu verhindern 
oder die Preise festzusetzen und zu regulieren“ 
(Tennessee) unter hohen Strafen verboten 
werden. Derartige radikale Maßregeln haben 
sich jedoch als unwirksam erwiesen, da sie zwar die 
Kartelle unterdrückten, dafür aber die Trustbildung 
Kartelle. 
  
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oder die völlige Fusion von Unternehmungen be- 
förderten, so daß diese den beabsichtigten Zweck in 
anderer Form doch erreichten. Von den europäi- 
schen Staaten hat bisher nur Osterreich einen 
Anlauf zu gesetzlicher Reglung des Kartellwesens 
unternommen. Die verschiedenen österreichischen 
Gesetzentwürfe, die seit 1897 vorgelegt wurden, 
aber nicht zur Verabschiedung gelangten, sehen 
eine weitgehende staatliche Reglementierung und 
Beaufsichtigung sowie unter Umständen direkte 
Eingriffe in die Preispolitik der Kartelle vor. Die 
Entwürfe sind vielfach kritisiert worden; man hat 
u. a. eingewandt, daß ein solches Vorgehen nicht 
nur sehr schwierig sei, sondern auch, zumal in 
einer Zeit, wo die Wirkungen der einzelnen Kar- 
telle noch nicht völlig klargestellt sind, eine Gefahr 
für die Entwicklung der Industrie in sich berge. 
Strafgesetzliche Bestimmungen gegen die Kartell- 
auswüchse zu schaffen ist ebenfalls außerordentlich 
schwer, wenn solche Bestimmungen keine Aus- 
nahmegesetzgebung darstellen sollen. 
In Anbetracht dieser Schwierigkeiten einer 
Kartellgesetzgebung ist man ziemlich allgemein zu 
der Ansicht gelangt — die in der Reichstagssitzung 
vom 5. März 1908 der Abgeordnete Dr Mayer 
(Zentrum) in einer programmatischen Rede über 
die Kartelle zum Ausdruck brachte —, daß die 
Mittel, die der Staat den Kartellen gegenüber an- 
wenden kann und muß, vornehmlich auf wirt- 
schaftspolitischem Gebiete liegen, daß es 
also Mittel sind wie Zollherabsetzungen, Aus- 
fuhrverbote, Zollrückvergütung, Abschaffung etwa 
bestehender Ausfuhrprämien oder besonderer Ver- 
günstigungen durch Ausfuhrtarife, Auslands- 
absatzsteuer, Zuschlagszölle für Produkte, bei deren 
Export von fremden Syndikaten direkt oder in- 
direkt Ausfuhrprämien gezahlt werden. Der Staat 
kann ferner durch die Tarife der Eisenbahnen und 
Wasserstraßen Auswüchse der Kartelle bekämpfen. 
In Betracht kommen weiterhin die Errichtung 
staatlicher Konkurrenzunternehmungen in den be- 
treffenden Industriezweigen, Auszahlung staat- 
licher Subventionen an neu entstehende Kon- 
kurrenz, eventuell Ankauf der Kartellprodukte im 
Auslande, Heranziehung von ausländischer Kon- 
kurrenz zu staatlichen Lieferungen, Bildung von 
Zollvereinen zwischen verschiedenen Staaten usw. 
Um aber diese Mittel rechtzeitig und richtig an- 
wenden zu können, bedarf der Staat des ungehin- 
derten Einblicks in die Geschäftsgebarung der 
Kartelle. Eine informatorische dauernde 
Reichsaussicht ist notwendig und wird auch 
von den angesehensten Vertretern der National- 
ökonomie (Schmoller, Wagner u. a.) sowie vielen 
Kartellspezialisten (Pohle, Grunzel usw.) als das 
erste Erfordernis staatlichen Eingreifens gegen- 
über den Kartellen bezeichnet. Der deutsche Reichs- 
tag hat sich ebenfalls auf diesen Standpunkt ge- 
stellt, indem er am 11. März 1908 eine Zentrums- 
resolution (Spahn, Mayer, Hitze, Gröber) annahm, 
welche die verbündeten Regierungen ersucht, „tun-
	        
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