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fabrikate verwandt werden, kommt die preis-
steigernde Wirkung der verschiedenen Kartelle
natürlich nicht in gleich starker Weise zur Geltung.
Es wurde schon darauf hingewiesen, daß die Fabri-
kanten konsumfertiger Waren nicht immer in der
Lage sind, die Preissteigerung der Rohstoffe usw.
ganz oder auch nur teilweise auf das Publikum
abzuwälzen. Im allgemeinen hat aber zweifellos
schließlich doch die breite Masse der Konsumenten
mehr oder weniger die Kosten der Kartellerfolge
zu tragen. Kann auch durch Vereinigung der
Konsumenten in Einkaufsgenossenschaften und
Konsumvereinen ein recht wirksames Gegengewicht
geschaffen werden — was namentlich den land-
wirtschaftlichen Genossenschaften vielfach gelungen
ist —, so ist das bisher gegenüber der großen
Macht der Kartelle doch erst in verhältnismäßig
geringem Umfang möglich gewesen. Am fühl-
barsten ist für das große Publikum der „Kartell-
ausfschlag“ bei der Kohle geworden.
Faßt man die Wirkungen des Kartellwesens
zusammen, so muß nochmals betont werden, daß
die hervorgehobenen Nachteile nicht verallgemeinert
werden dürfen. Es gibt auch Kartelle, die zu der-
artigen Klagen keinen Anlaß gegeben haben. Zu
erinnern ist z. B. an das Kalisyndikat. Nur
in Deutschland wird Kali in abbauwürdigen
Mengen gewonnen. Wäre diese Industrie nicht
kartelliert, so würde das Kali zu billigen Preisen
ins Ausland verschleudert werden. Das Kali-
syndikat unter Führung des preußischen Staates,
des meistbeteiligten Gesellschafters, hat den Grund-
satz zur Durchführung gebracht: dem Ausland
hohe, dem Inland niedrige Preise. Die Existenz
und Tätigkeit des Kalisyndikats entspricht also
durchaus den allgemeinen Interessen. Anderseits
bleibt bestehen, daß manche Kartelle sich Ubergriffe
haben zuschulden kommen lassen, daß ihre Ent-
wicklung Mißstände und Auswüchse gezeitigt hat,
deren Vorhandensein kaum noch von irgend einer
Seite — mit Ausnahme der Nächstbeteiligten —
bestritten wird.
VII. Über die Aufgaßen des Staates und
der Gesetzgebung gegenüber den Kartellen gehen
die Ansichten im einzelnen noch weit auseinander.
In der Tat sind die Schwierigkeiten richtiger und
erfolgreicher staatlicher Maßnahmen zur Verhin-
derung der Auswüchse des Kartellwesens nicht zu
unterschätzen. In einer Reihe von nordameri-
kanischen Einzelstaaten bestehen gesetz-
liche Bestimmungen, gemäß welchen „alle Ver-
bände von Firmen oder Korporationen zwecks
Produktion allgemeiner Gebrauchsartikel“ (Maine)
oder „alle Verbände, die dahin tendieren, den
freien Wettbewerb in der Produktion, der Ein-
fuhr, dem Verkauf von Gütern zu verhindern
oder die Preise festzusetzen und zu regulieren“
(Tennessee) unter hohen Strafen verboten
werden. Derartige radikale Maßregeln haben
sich jedoch als unwirksam erwiesen, da sie zwar die
Kartelle unterdrückten, dafür aber die Trustbildung
Kartelle.
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oder die völlige Fusion von Unternehmungen be-
förderten, so daß diese den beabsichtigten Zweck in
anderer Form doch erreichten. Von den europäi-
schen Staaten hat bisher nur Osterreich einen
Anlauf zu gesetzlicher Reglung des Kartellwesens
unternommen. Die verschiedenen österreichischen
Gesetzentwürfe, die seit 1897 vorgelegt wurden,
aber nicht zur Verabschiedung gelangten, sehen
eine weitgehende staatliche Reglementierung und
Beaufsichtigung sowie unter Umständen direkte
Eingriffe in die Preispolitik der Kartelle vor. Die
Entwürfe sind vielfach kritisiert worden; man hat
u. a. eingewandt, daß ein solches Vorgehen nicht
nur sehr schwierig sei, sondern auch, zumal in
einer Zeit, wo die Wirkungen der einzelnen Kar-
telle noch nicht völlig klargestellt sind, eine Gefahr
für die Entwicklung der Industrie in sich berge.
Strafgesetzliche Bestimmungen gegen die Kartell-
auswüchse zu schaffen ist ebenfalls außerordentlich
schwer, wenn solche Bestimmungen keine Aus-
nahmegesetzgebung darstellen sollen.
In Anbetracht dieser Schwierigkeiten einer
Kartellgesetzgebung ist man ziemlich allgemein zu
der Ansicht gelangt — die in der Reichstagssitzung
vom 5. März 1908 der Abgeordnete Dr Mayer
(Zentrum) in einer programmatischen Rede über
die Kartelle zum Ausdruck brachte —, daß die
Mittel, die der Staat den Kartellen gegenüber an-
wenden kann und muß, vornehmlich auf wirt-
schaftspolitischem Gebiete liegen, daß es
also Mittel sind wie Zollherabsetzungen, Aus-
fuhrverbote, Zollrückvergütung, Abschaffung etwa
bestehender Ausfuhrprämien oder besonderer Ver-
günstigungen durch Ausfuhrtarife, Auslands-
absatzsteuer, Zuschlagszölle für Produkte, bei deren
Export von fremden Syndikaten direkt oder in-
direkt Ausfuhrprämien gezahlt werden. Der Staat
kann ferner durch die Tarife der Eisenbahnen und
Wasserstraßen Auswüchse der Kartelle bekämpfen.
In Betracht kommen weiterhin die Errichtung
staatlicher Konkurrenzunternehmungen in den be-
treffenden Industriezweigen, Auszahlung staat-
licher Subventionen an neu entstehende Kon-
kurrenz, eventuell Ankauf der Kartellprodukte im
Auslande, Heranziehung von ausländischer Kon-
kurrenz zu staatlichen Lieferungen, Bildung von
Zollvereinen zwischen verschiedenen Staaten usw.
Um aber diese Mittel rechtzeitig und richtig an-
wenden zu können, bedarf der Staat des ungehin-
derten Einblicks in die Geschäftsgebarung der
Kartelle. Eine informatorische dauernde
Reichsaussicht ist notwendig und wird auch
von den angesehensten Vertretern der National-
ökonomie (Schmoller, Wagner u. a.) sowie vielen
Kartellspezialisten (Pohle, Grunzel usw.) als das
erste Erfordernis staatlichen Eingreifens gegen-
über den Kartellen bezeichnet. Der deutsche Reichs-
tag hat sich ebenfalls auf diesen Standpunkt ge-
stellt, indem er am 11. März 1908 eine Zentrums-
resolution (Spahn, Mayer, Hitze, Gröber) annahm,
welche die verbündeten Regierungen ersucht, „tun-