Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

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meinsamen Kräften abwendbar. Zudem läßt sich 
durch zielbewußte Reglung des Wasserlaufes der 
Ertrag von Grund und Boden ganz wesentlich 
steigern. Die hierdurch ermöglichte Vermehrung 
der Futtererzeugung ist ein bedeutsamer Faktor 
einer lohnenden Biehzucht, insbesondere wenn die- 
selbe durch eine sachgemäße Auswahl und Haltung 
der Zuchttiere unterstützt wird. Wenn auch die 
Erweiterung und Verbesserung des Wiesenbaues 
vornehmlichstes Ziel der Wasserunternehmungen 
ist, so dienen dieselben erfahrungsgemäß auch zur 
Verbesserung des Ackerlandes, der Bodenkultur 
überhaupt. Die Wichtigkeit der Wasserverhält- 
nisse eines Landes und seines Grundes und 
Bodens gibt die bündigste Erklärung für die Er- 
scheinung, daß wir schon frühzeitig in den meisten 
Staaten Gesetze finden, welche die Bewässerungs- 
und Entwässerungsunternehmungen zum Zwecke 
der Bodenkultur zum Gegenstande haben. Am 
zweckmäßigsten verfährt der Gesetzgeber hierbei, 
wenn er, von unmittelbarem Eingreifen absehend, 
die Bildung von Interessengenossenschaften mit 
etwaigem Zwangsrecht bezüglich des Beitritts 
regelt und befördert. Be- und Entwässerungs- 
unternehmungen, welche einen unzweifelhaft über- 
wiegenden landwirtschaftlichen Nutzen gewähren, 
sich auf eine bedeutende Grundfläche erstrecken und 
ohne Ausdehnung auf fremde Grundstücke oder 
ohne zwangsweise Entwehrung unbeweglichen 
Eigentums nicht ausführbar sind, sollen als Unter- 
nehmen für öffentliche Zwecke in der Weise be- 
günstigt werden, daß widersprechende Grund- 
besitzer zur Teilnahme an der gemeinschaftlichen 
Kulturanlage in Ansehung des benötigten Areals 
und zur Tragung der sie treffenden Kostenanteile 
gezwungen werden können, wenn eine hinreichende 
Mehrheit (des Grundbesitzes, der an der Anlage 
beteiligt ist) sich für das Unternehmen erklärt; 
den so gebildeten Genossenschaften soll dann auch 
die Pflicht auferlegt werden, jedes benachbarte 
Grundstück in den Verband aufzunehmen, wenn 
dasselbe an den Vorteilen der Anlage teilnehmen 
kann und die Anlage hierzu ausreicht. Notwen- 
dige Voraussetzung für eine gedeihliche Entwick- 
lung der Melioration ist eine zweckentsprechende 
Gestaltung des Wasserrechts überhaupt, das ja 
auch die schwerwiegenden Interessen der Industrie 
zu berücksichtigen hat. Für die letztere entbehr- 
liches Wasser soll möglichst der Kultur zugute 
kommen. Erforderlich ist auch, daß gegen den Eigen- 
tümer eines Grundstückes Zwang nach der Rich- 
tung ausgeübt werden könne, daß er die Zu= oder 
Ableitung des Wassers über sein Grundstück, so- 
fern es für eine Bodenkulturunternehmung not- 
wendig ist, gestatten muß; das gilt insbesondere 
für die Drainage, diese vorteilhafteste Art der 
Bodenverbesserung (s. Schober, Die Landeskultur- 
Rentenbanken in Preußen, Sachsen und Hessen 
[1887 7 ). 
Zur Neugewinnung von Land eignet sich ins- 
besondere die Eindeichung überschwemmter Fluß-, 
Landeskulturgesetzgebung. 
  
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Haff= oder Meeresniederungen, auch die Aus- 
trocknung von Seen und Sümpfen, das Gerade- 
ziehen der Flüsse. Größere Bedeutung gewann 
in der Neuzeit auch die Kultur der Moore, für 
welche besondere Zentralbehörden, Moorkultur- 
anstalten, bestellt wurden (z. B. bayrische Ver- 
ordnung vom 3. Juli 1900). Das Bedürfnis 
des gemeinsamen Schutzes gegen Überschwem- 
mungen führt zu Deichverbänden, welche alle be- 
drohten Grundeigentümer umfassen; hierbei sind 
Zwangsrechte gegen kurzsichtige Bodenbesitzer und 
Begünstigung der Körperschaften unentbehrliche 
Lebensbedingungen derselben. Schädliche Tiere 
oder Unkräuter, Erkrankungen des Viehes sind 
oft nur zu bekämpfen durch gemeinsame Maß- 
regeln, die durch Polizei= oder Staatsverord- 
nungen (Maikäfersammeln, Vogelschutz, Absperren 
des Viehes, Einfuhrverbote), mitunter durch inter- 
nationale Vereinbarungen (Reblauskonvention von 
1881) vorgeschrieben werden müssen. Hand in 
Hand mit der Melioration geht zumeist das 
Streben nach Arrondierung der zerstreut 
liegenden Grundstücke, welch letztere selbst durch 
zweckmäßige Vermarkung der Grundstücke in ihrem 
Bestand gesichert ist. Auch hier muß das Sonder- 
interesse einzelner dem wirtschaftlichen Interesse 
der Mehrheit untergeordnet sein, so daß die ersteren 
nicht befugt sein können, die für alle oder für die 
Mehrheit notmwendige oder wünschenswerte bessere 
Reglung des Wirtschaftsbetriebes zu hindern; der 
wichtige, staatswirtschaftliche, sohin öffentliche 
Zweck läßt die Statuierung eines gesetzlichen 
Zwanges für die Minderzahl als unerläßlich er- 
scheinen. 
Die Gesetzgebung bezüglich dieser Kulturunter- 
nehmungen hat sonach zum hauptsächlichsten In- 
halt, die rechtlichen Handhaben zu bieten, welche 
zur Verwirklichung umfassenderer Meliorationen 
nicht entbehrt werden können. Die wirtschaftliche 
Bedeutung einer zweckentsprechenden Gesetzgebung 
erhellt z. B. aus der Zahl und Größe der Kultur- 
unternehmungen, welche in Bayern auf Grund 
der Wassergesetzgebung in der Zeit vom 1. Juni 
1870 bis 31. Dez. 1906 ausgeführt wurden. 
Nicht weniger als 2355 Unternehmungen mit 
60 995 Genossenschaftsmitgliedern hatten die Ein- 
beziehung von rund 63.000 ha Areal in die 
Kultur mit einem Kostenaufwand von über drei 
Mill. M zur Folge; hinzu kommen noch 25222 ha, 
welche mit einem Aufwand von ungefähr 5½ 
Mill. M mittels Tonröhren (Drainagen) ent- 
wässert wurden (s. Die Landwirtschaft in Bayern, 
Denkschrift I1890] 688 ff; Die Maßnahmen 
auf dem Gebiete der landwirtsch. Verwaltung 
in Bayern 1890/97, Denkschrift (1897)] 10 ff; 
Jahrbuch des bayr. statist. Bureaus 1907). 
Diese Zahlen sprechen eine sehr beredte Sprache; 
sie beweisen auch, daß die Aufbringung des be- 
nötigten Kapitals wesentlich mit der Frage des 
landwirtschaftlichen Kredits zusammenhängt; 
denn die Ausführung solcher Unternehmungen
	        
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