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Beginn des 19. Jahrh. besitzt in Deutschland nur
noch der Landesherr die aktive Lehnsfähigkeit.
Die passive Lehnsfähigkeit war im
ganzen Mittelalter auf die Waffentüchtigkeit ge-
gründet; erst mit dem Zurücktreten des Waffen-
dienstes der Vassallen trat auch hier eine Lockerung
der ursprünglichen Sätze ein. Grundsätzlich war
Ritterbürtigkeit und Vollbesitz der ritterlichen Ehre
verlangt. Gänzlich lehnsunfähig waren Juden,
Geächtete, Exkommunizierte, Rechtlose, Ehrlose;
relativ unfähig waren Frauen, Geistliche (aus-
genommen die geistlichen Fürsten); Lahme und
Verstümmelte dann, wenn sie vor der Belehnung
schon diese Gebrechen hatten; endlich juristische
Personen, Bauern und anfänglich auch Markt-
bewohner und Stadtbürger. Seit dem 13. Jahrh.
drang die passive Lehnsfähigkeit der Bürger durch,
gefördert durch den Einschlag von stadtherrlichen
Ministerialen in den Städten und durch die ge-
hobene Stellung des städtischen Patriziates. Für
relativ lehnsunfähige Personen konnte eine lehns-
fähige Person als lehnrechtlicher Treuhänder
(Lehnsträger, portitor feudi) das Lehen emp-
fangen.
Die Lehnserrichtung (Inrestitur) erfolgt
durch Hulde (Treueid, Mannschaft, homagium,
leudesamium) des Mannes und Leihe des Herrn
(Investitur mit Zepter, Hut, Speer, Lehnsbrief).
Der Mann schwört, dem Herrn so treu und hold
zu sein, als ein Mann von Rechts wegen soll, und
bietet, indem er seine gefalteten Hände in die
Hände des Herrn legt, seine Mannschaft an. Die
Investitur (Lehnung) fand vor den Lehnsgenossen
statt. Von der Form der Verleihung stammen
wichtige Bezeichnungen verschiedener Lehnsarten
her. Aus der älteren germanischen Gefolgschaft
übernahm das Lehnswesen die Waffenreichung des
Herrn an den Vassallen bei Begründung des Lehns-
verhältnisses. Sie war eine germanische Zweck-
schenkung und bewirkte als solche im Falle des
Todes des Lehnsmannes den Rückfall der ge-
schenkten Waffen an den Herrn, ein Spezialfall
des Rechts am Hergewäte. Später verblieben die
Waffen dem Lehnsfolger und fielen nur bei Fehlen
eines Lehnserben dem Herrn heim. Die Waffen-
reichung hatte inzwischen nach anderer Richtung
ihre ursprüngliche Bedeutung gewandelt und war
zum Investitursymbol geworden. Der Belehnungs-
akt bildete sich zu einem symbolischen Investiturakt
aus, die Übergabe von Investitursymbolen seitens
des Herrn an den Beliehenen gab diesem den Be-
sitz des Lehnsobjektes. Als Investitursymbole
dienten außer den Waffen (besonders Schwert oder
Speer) dieselben, deren sich auch das Landrecht
bediente: Handschuh, Hut, Stab, Zweig u. a.
mehr. Einzelne Symbole wurden allmählich mit
auszeichnender Beschränkung auf bestimmte Lehen
verwendet. So diente in der Zeit des hohen Mittel-
alters das Schwert nur noch als Symbol der In-
vestitur in die Königsgewalt; in dieser Eigenschaft
kehrt das Schwert ebenso in der Lehnsabhängigkeit
Lehnswesen.
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der höchsten Gewalten von Gott (Zweischwerter-
lehre), im Krönungsritual der Könige wie in den
Fällen wieder, wo auswärtige Könige, wie z. B.
Böhmen, die Lehnsoberherrlichkeit des deutschen
Reiches anerkannten. Die Befehlshaber größerer
Heeresteile trugen seit frühester Zeit ihren Auf-
geboten Fahnen voraus, ursprünglich farbige
Tücher, an Stangen angebracht, auf denen sym-
bolische Tierzeichen sich befanden. Die Heerführer-
stellung der Herzoge, Markgrafen und bald auch
anderer Großen des Reiches führte dazu, daß der
König sie mit der an den Speer angehefteten
Fahne belieh, daß die daherkommende Fahnbeleh=
nung bald die besondere Form der Fürstenbeleh-
nung wurde, daß endlich mit fortschreitender Ver-
dinglichung auch dieser Rechtsbeziehungen das
Banner zum Zeichen des Landes ward und dieses
selbst ein Fahnlehen genannt wurde. Über die
Belehnung der geistlichen Fürsten soll gleich noch
ein Wort gesagt werden. Bemerkt sei nur, daß
mit Entwicklung der Heraldik auch das Wappen
ein Gegenstand der Belehnung um so leichter wer-
den konnte, als ja der Schild der ausgezeichnete
Platz des Wappens und als Waffe Investitur-
symbol war. Daher die Wappenverleihung der
Lehnsherren und die Wiederverleihung der kraft
Hergewätsrechts dem Lehnsherrn heimgefallenen
Wappen ausgestorbener Familien.
Die Lehnsherrlichkeit gewährt das Recht
auf Lehnstreue und Lehnsdienste. Die Lehnstreue
soll der Treue, welche sich Verwandte untereinander
schulden, gleichstehen, sich auch in den Grenzen
derselben halten: man muß dem Herrn treu sein,
jedoch nicht in widerrechtlichen Dingen. Es ist
nicht gegen die Treue, wenn man dem König und
Richter zur Beugung des Unrechts Hilfe leistet, in
Notwehr verwundet, gegen unrechte Gewalt hilft,
den Herrn wegen Raubes verklagt. Schwere Ver-
letzungen der Treue sind Felonie. In diesem sowie
in andern Fällen, wie namentlich beim Tode des
Beliehenen bzw. bei Aussterben der Familie im
Mannesstamme, äußert sich das Obereigentum des
Lehnsherrn als Heimfallsrecht. Mit Rücksicht auf
das Heimfallsrecht kann er auch Eventualbeleh-
nung vornehmen. Sie ist Belehnung mit einem
Gute auf den Fall des Ledigwerdens, d. i. des
lehnserblosen Todes seines jetzigen Lehnsinhabers
(benanntes Geding) und von Belehnung mit dem
zuerst ledig werdenden, folglich jetzt noch unbe-
stimmten Gute (Anwartung, Irrlehen, Exspektanz)
zu unterscheiden. Es gab auch insofern bedingte
Belehnung, als sich der Lehnsherr Lösung gegen
Rückzahlung eines bestimmten Kapitals vorbehielt,
Pfandlehen (Beispiel: Übergang der Mark Bran-
denburg an Hohenzollern).
Die christliche Aufsassung, Gott als obersten
Lehnsherrn zu betrachten, gab der Lehnstreue eine
religiöse Färbung. Jene Auffassung war eine
Anwendung des allgemeineren Gedankens, allen
Vermögens= und Machtbesitz im Lichte einer Ver-
leihung von Gott, also allen Besitz als eine Art