791
Innungen wieder zu Organen der gewerblichen
Selbstverwaltung machte und ihnen hinsichtlich
der Lehrlingsausbildung bestimmte Rechte ver-
lieh, aber auch dieses war unzureichend. Ebenso-
wenig halfen die Novellen von 1884, 1886 und
1887 den bestehenden Ubelständen ab, obgleich sie
immerhin einen Fortschritt bedeuteten.
Lehrlings- und Gesellenwesen.
792
Schriftlichkeit des Lehrvertrags; er trifft ferner
Festsetzungen hinsichtlich der erforderlichen Be-
zeichnung des Gewerbes, in dem die Ausbildung
erfolgen soll, über die Dauer der Lehrzeit, die An-
gabe der gegenseitigen Leistungen, die Mögiichteit
der Auflösung des Vertrags usw. Im § 1
D sind die Pflichten des Lehrherrn betreffs der 13
Erhöht wurde die Schwierigkeit einer Reglung nischen und sittlichen Ausbildung der Lehrlinge
des Lehrlingswesens durch den Umstand, daß die I niedergelegt, im § 127 a dagegen die Pflichten
Gewerbeordnung keinen Unterschied zwischen in= des Lehrlings gegen den Lehrherrn bestimmt.
dustriellen und Handwerkslehrlingen machte und Weitere Bestimmungen regeln die zulässige Probe-
keine Definition des Begriffes „Lehrling“ gab, zeit, während der beide Teile von dem Vertrage
sowie ferner dadurch, daß auch sonst keine aus- zurücktreten können, die vorzeitige Auflösung des
reichenden Anhaltspunkte für die Beurteilung der Lehrverhältnisses (8 127b), die Ausstellung von
Frage, ob im einzelnen Falle ein Lehrverhältnis Lehrzeugnissen (§ 127c), das Entlaufen aus der
vorliege oder nicht, irgendwie gegeben waren. Die Lehre (§ 1274), die Möglichkeit des Ubergangs
natürliche Folge war, daß sich durch eine von Fall zu einem andern Gewerbe (§127e), etwaige Ent-
zu Fall ausgeübte Rechtsprechung eine verschiedene schädigungsansprüche (8 127f u. g), während
Auffassung des Begriffes Lehrling herausbildete. 128 die Lehrlingszüchterei zu unterbinden be-
Namentlich wurde dort das Vorhandensein eines strebt ist. Für die Handwerkerlehrlinge kommen
Lehrverhältnisses nicht angenommen, wo im Ver- außerdem in Betracht die allgemeinen Schutz-
trage vereinbart worden war, daß die jugendliche bestimmungen der Gewerbeordnung (88 119a,
Person nicht als Lehrling, sondern als „jugend-
licher Arbeiter“ beschäftigt werden sollte. Dadurch
war den Gewerbetreibenden die Möglichkeit ge-
geben, sich den gesetzlichen Verpflichtungen des
Lehrherrn gegenüber dem Lehrlinge in technischer
und sittlicher Beziehung zu entziehen und die
Vorschriften der Gewerbeordnung illusorisch zu
machen (vgl. Motive zur Gewerbeordnung, Druck--
sache 713).
3. Die Novelle zur Gewerbeordnung
vom 26. Juli 1897 legte zwar auch den Be-
griff nicht fest, suchte aber den verschiedenen
Schwierigkeiten zu begegnen, indem sie einmal im
allgemeinen die Vermutung aufstellte, daß alle
Personen unter 17 Jahren, welche mit technischen.
Hilfsleistungen beschäftigt werden, als Lehrlinge
zu gelten hätten, sodann dadurch, daß sie unter
Loslösung des seither der Innung zugrunde ge-
legenen Gedankens der Freiwilligkeit gestattete,
die Innung auf der Grundlage des Zwanges
aufzubauen und ihr in Durchführung ihrer An-
erkennung als öffentlich-rechtliche Korporation be-
stimmte obligatorische und fakultative Auf-
gaben betreffs Ausbildung der Lehrlinge in tech-
nischer, sittlicher usw. Hinsicht stellt.
Die Novelle vom 26. Juli 1897 unterscheidet,
Lehrlingsverhältnisse im allgemeinen und für
Handwerker im besondern.
In den allgemeinen Bestimmungen ist
festgelegt, daß die Befugnis zum Halten von
Lehrlingen Personen, welche sich nicht im Besitze
der bürgerlichen Ehrenrechte befinden, nicht zusteht
(* 126), und daß sie solchen Personen jederzeit
entzogen werden kann, welche wegen moralischen
Defekts oder wegen geistiger und körperlicher Ge-
brechen zur sachgemäßen Anleitung des Lehrlings
nicht geeignet sind (§ 126 a). Der § 126b regelt
den formellen und materiellen Inhalt des Lehr--
vertrags und enthält die wichtige Bestimmung der
120 ) und das B.G.B. 8§§ 618/619.
Die besondern Bestimmungen für Hand-
werksbetriebe gehen von dem Gedanken aus, daß
die jugendlichen Personen, welche ein Handwerk
erlernen. eine ungleich sorgfältigere Ausbildung
genießen müssen als die sonstigen Lehrlinge; sie
stellen daher an die Qualifikation des Lehrherrn
außer den vorhin angeführten noch besondere An-
sprüche sowohl hinsichtlich seines Alters als auch
seiner Ausbildung.
Nach § 129 der Novelle zur Reichs-Gemeinde-
ordnung vom 30. Mai 1908 muß er das 24. Le-
bensjahr vollendet und die Meisterprüfung
(7 133) bestanden haben. Hierdurch ist der sog.
kleine Befähigungsnachweis eingeführt.
— Handwerker, welche nach dem 1. Okt. 1901
die Meisterprüfung nicht bestanden, haben dem-
nach die Befugnis zum Anleiten von Lehrlingen
nicht, selbst dann nicht, wenn sie diese Befugnis
auch nach dem Gesetze vom 26. Juli 1897 bis-
heran schon besaßen oder wenn sie nach den Über-
gangsbestimmungen desselben Gesetzes den Meister-
titel führen durften. — Die Verwaltungsbehörde
kann aber für die Übergangszeit Milderungen auf
Antrag eintreten lassen, besonders hinsichtlich jener
Personen, die infolge besonderer Umstände obige
Bedingungen nicht erfüllen können (§ 129 neuer
Fassung), auch dort, wo mehrere Gewerbe in einem
Betriebe vereinigt sind, sowie beim Todesfalle eines
Gewerbetreibenden, wenn die Witwe oder minder-
jährigen Erben das Geschäft fortsetzen wollen.
Die Dauer der Lehrzeit für den Hand-
werkerlehrling ist durch § 130 a auf mindestens
drei, höchstens vier Jahre je nach den von den
Handwerkskammern erlassenen Bestimmungen zur
Reglung des Lehrlingswesens für die verschie-
denen Handwerke festgesetzt.
Die Zurücklegung der Lehrzeit kann auch in
einem dem Gewerbe angehörigen Großbetrieb er-