Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

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Innungen wieder zu Organen der gewerblichen 
Selbstverwaltung machte und ihnen hinsichtlich 
der Lehrlingsausbildung bestimmte Rechte ver- 
lieh, aber auch dieses war unzureichend. Ebenso- 
wenig halfen die Novellen von 1884, 1886 und 
1887 den bestehenden Ubelständen ab, obgleich sie 
immerhin einen Fortschritt bedeuteten. 
Lehrlings- und Gesellenwesen. 
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Schriftlichkeit des Lehrvertrags; er trifft ferner 
Festsetzungen hinsichtlich der erforderlichen Be- 
zeichnung des Gewerbes, in dem die Ausbildung 
erfolgen soll, über die Dauer der Lehrzeit, die An- 
gabe der gegenseitigen Leistungen, die Mögiichteit 
der Auflösung des Vertrags usw. Im § 1 
D sind die Pflichten des Lehrherrn betreffs der 13 
  
Erhöht wurde die Schwierigkeit einer Reglung nischen und sittlichen Ausbildung der Lehrlinge 
des Lehrlingswesens durch den Umstand, daß die I niedergelegt, im § 127 a dagegen die Pflichten 
Gewerbeordnung keinen Unterschied zwischen in= des Lehrlings gegen den Lehrherrn bestimmt. 
dustriellen und Handwerkslehrlingen machte und Weitere Bestimmungen regeln die zulässige Probe- 
keine Definition des Begriffes „Lehrling“ gab, zeit, während der beide Teile von dem Vertrage 
sowie ferner dadurch, daß auch sonst keine aus- zurücktreten können, die vorzeitige Auflösung des 
reichenden Anhaltspunkte für die Beurteilung der Lehrverhältnisses (8 127b), die Ausstellung von 
Frage, ob im einzelnen Falle ein Lehrverhältnis Lehrzeugnissen (§ 127c), das Entlaufen aus der 
vorliege oder nicht, irgendwie gegeben waren. Die Lehre (§ 1274), die Möglichkeit des Ubergangs 
natürliche Folge war, daß sich durch eine von Fall zu einem andern Gewerbe (§127e), etwaige Ent- 
zu Fall ausgeübte Rechtsprechung eine verschiedene schädigungsansprüche (8 127f u. g), während 
Auffassung des Begriffes Lehrling herausbildete. 128 die Lehrlingszüchterei zu unterbinden be- 
Namentlich wurde dort das Vorhandensein eines strebt ist. Für die Handwerkerlehrlinge kommen 
Lehrverhältnisses nicht angenommen, wo im Ver- außerdem in Betracht die allgemeinen Schutz- 
trage vereinbart worden war, daß die jugendliche bestimmungen der Gewerbeordnung (88 119a, 
  
Person nicht als Lehrling, sondern als „jugend- 
licher Arbeiter“ beschäftigt werden sollte. Dadurch 
war den Gewerbetreibenden die Möglichkeit ge- 
geben, sich den gesetzlichen Verpflichtungen des 
Lehrherrn gegenüber dem Lehrlinge in technischer 
und sittlicher Beziehung zu entziehen und die 
Vorschriften der Gewerbeordnung illusorisch zu 
machen (vgl. Motive zur Gewerbeordnung, Druck-- 
sache 713). 
3. Die Novelle zur Gewerbeordnung 
vom 26. Juli 1897 legte zwar auch den Be- 
griff nicht fest, suchte aber den verschiedenen 
Schwierigkeiten zu begegnen, indem sie einmal im 
allgemeinen die Vermutung aufstellte, daß alle 
Personen unter 17 Jahren, welche mit technischen. 
Hilfsleistungen beschäftigt werden, als Lehrlinge 
zu gelten hätten, sodann dadurch, daß sie unter 
Loslösung des seither der Innung zugrunde ge- 
legenen Gedankens der Freiwilligkeit gestattete, 
die Innung auf der Grundlage des Zwanges 
aufzubauen und ihr in Durchführung ihrer An- 
erkennung als öffentlich-rechtliche Korporation be- 
stimmte obligatorische und fakultative Auf- 
gaben betreffs Ausbildung der Lehrlinge in tech- 
nischer, sittlicher usw. Hinsicht stellt. 
Die Novelle vom 26. Juli 1897 unterscheidet, 
Lehrlingsverhältnisse im allgemeinen und für 
Handwerker im besondern. 
In den allgemeinen Bestimmungen ist 
festgelegt, daß die Befugnis zum Halten von 
Lehrlingen Personen, welche sich nicht im Besitze 
der bürgerlichen Ehrenrechte befinden, nicht zusteht 
(* 126), und daß sie solchen Personen jederzeit 
entzogen werden kann, welche wegen moralischen 
Defekts oder wegen geistiger und körperlicher Ge- 
brechen zur sachgemäßen Anleitung des Lehrlings 
nicht geeignet sind (§ 126 a). Der § 126b regelt 
den formellen und materiellen Inhalt des Lehr-- 
vertrags und enthält die wichtige Bestimmung der 
120 ) und das B.G.B. 8§§ 618/619. 
Die besondern Bestimmungen für Hand- 
werksbetriebe gehen von dem Gedanken aus, daß 
die jugendlichen Personen, welche ein Handwerk 
erlernen. eine ungleich sorgfältigere Ausbildung 
genießen müssen als die sonstigen Lehrlinge; sie 
stellen daher an die Qualifikation des Lehrherrn 
außer den vorhin angeführten noch besondere An- 
sprüche sowohl hinsichtlich seines Alters als auch 
seiner Ausbildung. 
Nach § 129 der Novelle zur Reichs-Gemeinde- 
ordnung vom 30. Mai 1908 muß er das 24. Le- 
bensjahr vollendet und die Meisterprüfung 
(7 133) bestanden haben. Hierdurch ist der sog. 
kleine Befähigungsnachweis eingeführt. 
— Handwerker, welche nach dem 1. Okt. 1901 
die Meisterprüfung nicht bestanden, haben dem- 
nach die Befugnis zum Anleiten von Lehrlingen 
nicht, selbst dann nicht, wenn sie diese Befugnis 
auch nach dem Gesetze vom 26. Juli 1897 bis- 
heran schon besaßen oder wenn sie nach den Über- 
gangsbestimmungen desselben Gesetzes den Meister- 
titel führen durften. — Die Verwaltungsbehörde 
kann aber für die Übergangszeit Milderungen auf 
Antrag eintreten lassen, besonders hinsichtlich jener 
Personen, die infolge besonderer Umstände obige 
Bedingungen nicht erfüllen können (§ 129 neuer 
Fassung), auch dort, wo mehrere Gewerbe in einem 
Betriebe vereinigt sind, sowie beim Todesfalle eines 
Gewerbetreibenden, wenn die Witwe oder minder- 
jährigen Erben das Geschäft fortsetzen wollen. 
Die Dauer der Lehrzeit für den Hand- 
werkerlehrling ist durch § 130 a auf mindestens 
drei, höchstens vier Jahre je nach den von den 
Handwerkskammern erlassenen Bestimmungen zur 
Reglung des Lehrlingswesens für die verschie- 
denen Handwerke festgesetzt. 
Die Zurücklegung der Lehrzeit kann auch in 
einem dem Gewerbe angehörigen Großbetrieb er-
	        
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