Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

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folgen und durch den Besuch einer staatlichen, 
staatlich unterstützten oder vom Staat anerkannten 
Lehrwerkstätte oder sonstiger gewerblichen Unter- 
richtsanstalt ersetzt werden. Die Landeszentral- 
verwaltungen können den Prüfungszeugnissen von 
solchen Lehrwerkstätten die Wirkung der Zeugnisse 
über das Bestehen der Gesellenprüfung beilegen 
(6129 V.). 
Während der § 131, Abs. 1 der neuen 
Fassung dahin geändert worden ist, daß der Lehr- 
ling nach Ablauf der Lehrzeit sich der Gesellen- 
prüfung unterziehen soll und Lehrherr und In- 
nung ihn dazu anhalten sollen, also eine Soll- 
vorschrift konstruiert hat, enthält der § 131 a Be- 
stimmungen über die Zusammensetzung der Prü- 
fungsausschüsse und § 131b über diejenigen 
Gegenstände, auf die sich die Prüfung zu erstrecken 
hat. Damit die Prüfung gqualitativ die Bedeu- 
tung erlange, wie sie in Anbetracht der Verhält- 
nisse geboten erscheint, ist den Handwerkskammern 
nicht nur ein großer Einfluß auf die Auswahl der 
Prüfungsmeister, sondern auch eine Kontrolle 
über die Prüfung selbst zugestanden. Ferner gibt 
das Gesetz der Handwerkskammer die Befugnis, 
allgemeingültige Vorschriften über die nähere 
Reglung des Lehrlingswesens in Handwerks- 
betrieben zu erlassen sowie die Durchführung dieser 
durch Beauftragte überwachen zu lassen 
(6 103e). Im § 1038 ist auch die Mitwirkung 
der Gesellenausschüsse hierbei vorgesehen, wodurch 
den letzteren eine nicht zu verkennende Bedeutung 
eingeräumt worden ist. So hat das Gesetz die 
Ausbildung des Lehrlings nach allen Seiten zu 
sichern gesucht. 
Diese gesetzlichen Bestimmungen bilden jedoch 
nur die äußere Formz sie müssen ihren materiellen 
Inhalt noch erhalten, und zwar sowohl durch die 
Mitwirkung der Gewerbetreibenden im weitesten 
Sinne, wie der Fabriken, als auch speziell der 
Innungen und sonstigen gewerblichen Korpora- 
tionen. Ohne Mitwirkung dieser ist die Ausbil- 
dung der Lehrlinge nicht durchzuführen. Der 
Innung fällt hierbei aber ohne Frage der un- 
gleich schwierigere Teil der Aufgabe, Sicherung 
des Schutz= und Arbeitsverhältnisses für die Lehr- 
linge, zu. Die Fabrik zieht erfahrungsmäßig das 
bessere Lehrlingsmaterial an sich und überläßt das 
minderwertige dem Handwerk; sie erzeugt damit 
einen Ausleseprozeß, der für das Handwerk nicht 
günstig ist. Er ist aber auch für die Allgemeinheit 
und für die Lehrlinge insbesondere nicht erfreulich, 
weil die Ausbildung der Lehrlinge in der Fabrik 
nur eine einseitige und weniger sorgfältige ist, so- 
wie weil die Lehrlinge infolge dieser einseitigen 
Ausbildung in ein natürliches Abhängigkeitsver- 
hältnis zur Fabrik geraten und in Zeiten nieder- 
gehender Konjunktur die Zahl der Arbeitslosen 
vermehren helfen. — Daneben spricht auch der 
Umstand gegen die Ausbildung der Lehrlinge 
durch die Fabrik, daß diese große sittliche Ge- 
fahren in sich birgt und leicht eine Verwilderung 
Lehrlings= und Gesellenwesen. 
  
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des Nachwuchses erzeugt. Erfahrungsgemäß ent- 
zieht auch die Fabrik dem Handwerker die von 
ihm ausgebildeten Kräfte. Die Handelskammer 
Düsseldorf hat zwar durch eine besondere Er- 
hebung den Nachweis des Gegenteils zu erbringen 
gesucht, daß die Fabriken selber Lehrlinge in hin- 
reichender Zahl ausbildeten, dieser Nachweis ist 
aber höchstens für einen kleinen Handelskammer- 
bezirk erbracht worden, nicht für die Allgemeinheit. 
— Der Innung als der berufenen Vertreterin einer 
gewerblichen Organisation muß die Hauptsache in 
der Lehrlingsausbildung zufallen. Sie kann dar- 
auf besonders fördernd einwirken, wenn sie sich 
nicht nur auf ihre obligcttorischen Aufgaben, wie 
Reglung des Lehrlingswesens und technische Aus- 
bildung der Lehrlinge, beschränkt, sondern wenn 
sie auch die ihr gesetzlich nahegelegten fakultativen 
Aufgaben betätigt, wie Errichtung von Fortbil- 
dungs= und Fachschulen, Veranstaltung von Prü- 
sungen und Ausstellungen usw. 
4. Lehrlingsschulwesen. Für den Hand- 
werker genügen heute nicht mehr allein Werkstatt- 
kenntnisse und technische Fertigkeiten, sondern er 
muf sich auch fach= und kaufmännische Kenntnisse 
erwerben, um im wirtschaftlichen Kampfe gerüstet 
zu sein. Die Fortbildungs= und speziell die Fach- 
schule ist deshalb ein dringendes Erfordernis und 
die Ergänzung der Werkstattlehre. — Allgemein 
ist diese Ansicht heute durchgedrungen, und ein 
großer Teil der Kommunen, Innungen usw. 
hat entsprechende Fortbildungsanstalten geschaffen. 
Während aber die ersteren sich mehr der Errich- 
tung teils obligatorischer teils fakultativer Fort- 
bildungsschulen zuwenden, in welche in der Regel 
alle jugendlichen Arbeiter unter 17 Jahren ein- 
bezogen werden, suchen die Innungen und Ge- 
werbevereine vornehmlich Fachschulen einzurichten, 
um dem Nachwuchse die nötigen theoretischen 
Fachkenntnisse im Zeichnen, Modellieren, in der 
Buchführung usw. beizubringen. Das Mißliche 
hierbei liegt aber in der Regel einerseits in dem 
Mangel finanzieller Mittel, um die nötigen Lehr- 
kräfte und Lehrmittel zu beschaffen, anderseits in 
der beschränkten Zeit der Lehrlinge zum Besuche 
dieser Schule, sowie sehr oft auch in dem finan- 
ziellen Unvermögen der Lehrlinge zur Bestreitung 
der Schulgelder usw. Man hat diesem Übelstand 
durch Gewährung staatlicher und privater Sti- 
pendien zwar zu steuern gesucht, indessen sind diese 
Leistungen durchgehends weit hinter dem wirklichen 
Bedürfnisse zurückgeblieben. Immerhin haben 
aber verschiedene Regierungen schon den Anfang 
hiermit gemacht, so Baden, Bayern, Württemberg, 
Preußen, Sachsen, Mecklenburg-Schwerin usw.; 
es ist zu erwarten, daß die Leistungen der Regie- 
rungen alljährlich steigen werden. 
5. Ausstellungen von Lehrlings- 
arbeiten. Neben den Schulen bzw. in Ergän- 
zung ihrer Wirksamkeit haben die verschiedenen 
gewerblichen Korporationen zur Förderung des 
Lehrlingswesens Ausstellungen von Lehrlings-
	        
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