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hältnisses zwischen Meister und Gesellen. An
Stelle der Interessengemeinschaft treten jetzt
Interessengegensätze und verschärfte soziale Diffe-
renzierung.
ie Gesellen ziehen die Konsequenz aus ihrer
Abdrängung von der Selbständigmachung und
beanspruchen reichlichere Lohnabfindungen, kürzere
Arbeitszeit usw. sowie eine Reihe von bestimmten
persönlichen Freiheiten. Da das nicht gewährt
wird, so schließen sie sich mehr und mehr zunächst
zu lokalen, dann interlokalen und internationalen
Verbänden zusammen. Es wurde ihnen dieses
um so leichter, als die meisten derselben bereits
kirchlichen Bruderschaften angehörten und durch
die Wanderschaft Beziehungen zu fernstehenden
Organisationen anknüpfen konnten. Je nach ört-
licher Erstarkung der Gesellenverbände nimmt der
Kampf zwischen Meister= und Gesellenschaft einen
verschiedenartigen, jedoch zumeist infolge ihrer
interlokalen und internationalen Verbreitung für
die Gesellen günstigen Verlauf bis in die Mitte
des 16. Jahrhunderts.
Mit Entwicklung der Gesellenverbände setzte
die soziale Differenzierung in verschärfter Form
ein, und damit ist die Entwicklung des Klassen-
kampfes gegeben, und nunmehr steht der Geselle
nicht mehr als gleichwertiger Arbeitsgenosse und
einstiger Nachfolger des Meisters da, sondern als
Arbeiter im scharfen Gegensatze zum Meister als
Arbeitgeber. (Näheres s. Art. Handwerk.)
2. Die Gesellen verbände entwickelten sich
schon sehr früh, wahrscheinlich bald nach der
Städtebildung mit dem Ausbau der Zunft, zu-
nächst jedoch wohl nur als kirchliche Bruderschaf-
ten mit ausgesprochen religiösem und charitativem
Charakter gegenüber erkrankten Gliedern. Erst
später, als das Verhältnis der Gesellen zu den
Miistern sich zu schärfen beginnt, entstehen daneben
außerkirchliche Verbände. Während die Meister
den kirchlichen Bruderschaften im allgemeinen
günstig gegenüberstehen, weil sie die Gesellen in
Zucht halten und ihnen daneben einen Teil ihrer
sozialen Pflichten gegenüber den erkrankten Ge-
sellen abnehmen, ist dieses gegenüber den weltlichen
Verbänden nicht der Fall. Diese sind zum Teil
unter heftigem Widerstande der Meister gegründet,
vorerst jedoch weniger zum Zwecke gemeinsamer
Interessenvertretung denn als gesellige Verbände;
später erst hebt sich die genossenschaftliche Inter-
essenvertretung immer schärfer hervor und wird
nach und nach zur Hauptsache. Mit der Zeit
nehmen auch die kirchlichen Bruderschaften zum
Teil gleichen bzw. ähnlichen Charakter an.
Die Organisation der Gesellenverbände
war gleich der der Zünfte. Sie waren Zwangs-
korporationen und hatten eigne Statuten und
Rollen; sie wählten eigne Vorstände aus ihrer
Mitte und übten in genossenschaftlichen Angelegen-
heiten eigne Gerichtsbarkeit; sie erhoben Beiträge
und Strafgelder. Die Altgesellen als Vorsitzende
sind die Leiter, ihnen zur Seite stehen Fürgesellen
Lehrlings= und Gesellenwesen.
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für das Wanderwesen, Nebengesellen zur Abhal-
tung der Umfragen, Ladengesellen zur Uberwachung
der Gesellenlade, Beisitzer, Meisterknechte usw. Alle
werden mit verschiedener Amtsdauer von der Ge-
samtheit gewählt. — Der Mittelpunkt war die
Ürte, die Trinkstube, Herberge; hier war die Kon-
zentration des Verkehrs, hier sprachen die Gesellen
unter sich Recht und gegenüber den Meistern.
Ihre „Gerichtsbarkeit“, dieser Zankapfel bei allen
Genossenschaften, das Palladium auch der Ge-
sellenverbände, war durch Jahrhunderte ein Gegen-
stand erbitterter Kämpfe zwischen den Arbeitern
auf der einen, den Meistern und den städtischen
Obrigkeiten auf der andern Seite. „So unschein-
bar sie auch erscheint, so bedeutungsvoll war sie
in den Händen der Gesellen. Die Gewalt, das
Urteil vor Genossen zu fragen und zu finden,
Strafen zu verhängen und zu vollstrecken, die
Möglichkeit, auf diese Art eine eiserne Disziplin
zu üben und das Bewußtsein der Zusammen-
gehörigkeit zu wecken und zu pflegen, die Schulung
in der Pflichterfüllung gegenüber der Genossen-
schaft, die Erziehung zur Standesehre, der Drill
zum Korpsgeist, das sind sozialpädagogische Mo-
mente von hervorragender Wichtigkeit“ (B. Schön-
lank). Die Grundlage dieser Erfolge war die
Schaffung besserer Arbeitsbedingungen für die Ge-
sellen (vgl. d. Art. Handwerk). Das ganze 15. Jahrh.
und ein Teil des 16. Jahrh. war eine Ara der
Lohnkämpfe; diese sowie Reglung der Arbeitszeit
und des Arbeitsvertrags in Verbindung mit ihrer
großartigen interlokalen Organisation, welche die
der Meister unendlich weit überragte und gegen
Ende des 16. Jahrh. sich über ganz Deutschland
erstreckte, bildeten den Kitt der Gesellenverbände.
Die Kämpfe der Gesellenverbände hatten dort zum
großen Teil Erfolg, wo die Gesellenschaft ge-
schlossen ihre Forderungen durchsetzen konnte; wo“
dagegen die Meister den einzelnen Gesellen gegen-
überstanden, unterlagen diese.
Die von der Obrigkeit und der Meisterschaft
versuchte Unterdrückung der sich immer mehr zu
gewerkschaftlichen Verbänden entwickeln-
den Gesellenverbände war im allgemeinen jedoch
ohne Erfolg; ihre allseitige Anerkennung erfolgte in
der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Das Ge-
sellenrecht ward kodifiziert und dadurch zu einem
Bestandteile des städtischen Gewerberechts. Die
anerkannten Verbände traten nunmehr in die
Blüteperiode ein. Diese ist jedoch nicht von langer
Dauer sie fällt etwa in die Zeit von 1475/1590,
örtlich jedoch sehr verschieden. — Nunmehr setzt
eine Periode der Stagnation ein, welche der Vor-
läufer des beginnenden Verfalls ist. Die gewerb-
lichen Umwälzungen des 16. Jahrh., besonders
das allmähliche Einsetzen der kapitalistischen Pro-
duktionsweise, die Veränderung der Verkehrswege,
die Ausdehnung des Marktes, die Entwertung
des Geldes durch die ÜUberschwemmung Europas
mit Edelmetall, die kirchlichen Wirren usw., alle
diese Momente zusammen wirken dahin, daß eine